Extra Krimi Paket Sommer 2021. A. F. Morland
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Читать онлайн книгу Extra Krimi Paket Sommer 2021 - A. F. Morland страница 16
»Ja, ich kann’s mir gut vorstellen, Grem hält Sie nämlich für eine Simulantin.«
»Und Sie? - Glauben Sie auch, ich spiele Theater?«
»Nein«, erwiderte er friedfertig.
»Gott sei Dank«, murmelte sie. »Aber Sie sind doch nicht vorbeigekommen, um mir das zu sagen?«
»Nein, ich wollte Sie einmal sehen, mir ein Bild von Ihnen machen.«
Das schien sie zu erheitern, aber sie antwortete nicht.
Mehrere Minuten liefen sie schweigend, sie bog in den Reschenpark ab und erkundigte sich ernsthaft: »Gehe ich zu schnell?«
»Nein, noch kann ich mithalten.«
»Dieses Stehen - ich hab hinterher das Gefühl, meine Beine sind doppelt so dick.«
»Können Sie sich zwischendurch nicht mal setzen?«
»Doch, natürlich, aber heute war wieder ein Betrieb, man ist gar nicht dazu gekommen.«
»Ja. Frau Weber, eine Frage hätte ich allerdings: Als Sie in Jödels Auto auf gewacht sind — wie haben Sie das alles betrachtet, das Auto, die Autobahn, dann die Polizei? Ist Ihnen das fremd vorgekommen? Oder vertraut?«
»Darauf sind die Psychiater auch herumgeritten. Nein. Ich war natürlich erstaunt und verwirrt, eine ganze Zeit auch ängstlich, aber nicht wegen der Gegenstände oder Personen, sondern wegen meiner Situation.«
»Sie sprechen ein völlig akzent- und dialektfreies Hochdeutsch.«
»Alle vermuten - oder gehen davon aus, dass ich auch vor meinem grauen Loch in Deutschland gelebt habe.«
Er nickte zufrieden. Auch Grem hatte in seiner persönlichen Beurteilung ihre schnelle Auffassungsgabe und Intelligenz hervorgehoben. Aber weil Grem sich in den Gedanken verrannt hatte, sie täusche den Gedächtnisverlust vor, war er nie auf die logische Alternative verfallen: Entweder schwieg Inge Weber über ihre Vergangenheit, weil ihr Gedächtnis tatsächlich blockiert war - oder sie schwieg, weil sie etwas zu verbergen hatte; in beiden Fällen durfte er von ihr keine Informationen erhoffen.
Der Reschenpark war nicht groß, zweihundert Meter lang, um die fünfzig breit, ein grüner Fleck in dem dicht bebauten Viertel. Am Ausgang Collinistraße hielt Inge Weber sich links, jetzt schlenderte sie sehr viel langsamer.
»Was werden Sie tun, Herr Rogge?«
»Das weiß ich noch nicht«, wich er aus. »Mit Leuten reden.«
»Verhaften Sie diese Psychiater!«
»Warum denn das?«
»Weil die mich wahnsinnig machen. Reden geschwollen daher, stehlen meine Zeit und produzieren nur warme Luft.«
»Vorsicht, Frau Weber, wenn das ein Haftgrund wäre, gäbe es viel Platz in der Stadt.«
»Nix dagegen!« Sie lachte fröhlich, blieb stehen und nahm die Brille ab. »Ich bin da. Es hat mich gefreut, Sie kennen zu lernen, Herr Rogge.«
»Ebenfalls, Frau Weber. Und viel Spaß bei der Gymnastik.«
Auf dem Rückweg zu seinem Auto setzte Rogge sich für eine Zigarettenlänge auf eine Bank im Park. Wenn Inge Weber heuchelte, hatte er es mit einer beachtlichen Gegnerin zu tun. Und dieser Spaziergang hatte nicht nur seiner Gesundheit genutzt, sondern ihm auch einen Anhaltspunkt gegeben: Sie war kräftig und energisch, keine Frau, die man rein durch Einschüchterung dazu bekam, ein Kleid und die Schuhe auszuziehen, brav in einem Auto sitzen zu bleiben und sich dann widerstandslos auf einem Parkplatz abladen zu lassen wie ein überflüssiges Möbelstück. Schön, vor der Mündung einer Pistole reduzierte sich jeder Mut, aber neben der körperlichen Kraft, eine Gegenwehr zu versuchen, verfügte sie auch über das nötige Temperament, um viel zu riskieren.
Auf der Rückfahrt ins Präsidium musste Rogge vor einer Ampel einmal hart auf die Bremse steigen, weil er das Umspringen auf Gelb verdöst hatte. Hinter ihm kreischten Reifen, instinktiv sah er in den Rückspiegel, es hatte gerade noch gereicht, aber zwischen beide Stoßstangen passte wahrscheinlich nur noch ein Blatt Papier. Entschuldigend hob er eine Hand, doch der Fahrer senkte rasch den Kopf, als wolle er verbergen, was er von dem Trottel vor ihm wirklich dachte.
»Blödmann!«, grummelte Rogge verärgert. Einer dieser unerträglich schönen Sonnenbrillentypen.
Den Rest der Strecke fuhr Rogge vorsichtiger, schaute häufiger in den Rückspiegel, aber er begann sich erst zu wundern, als er vom zweiten Ring in die Einbahnstraße abgebogen war und dieser Schönling immer noch hinter ihm hing. Wollte der was von ihm? Doch als er auf den Parkplatz des Präsidiums steuerte, gab der Knabe Gas und röhrte ganz knapp hinter seinem Heck vorbei. Es gab schon seltsame Geschöpfe auf Gottes weiter Welt!
Von den zehn Planstellen des Ersten Kommissariats waren drei nicht besetzt. Kollege Schubert lag nach einem Autounfall immer noch in der Klinik, der Trümmerbruch wollte einfach nicht verheilen. Nach der Versetzung der Kollegin Ackermann musste ihre Stelle im Zuge der Sparmaßnahmen sechs Monate frei bleiben. Für den Kollegen Henrich, der zu einem Lehrgang abgestellt war, gab es erst recht keinen Ersatz. Früher hatten zwei Frauen die Sekretariatsarbeiten im Dienstzimmer erledigt; seit dort der Computer Einzug gehalten hatte, war eine Stelle gestrichen worden. Es klemmte an allen Ecken und Kanten und die Schutzpolizei verlangte lautstark, mehr als bisher bei der Kripo zu sparen. Das immer schon wenig harmonische Verhältnis hatte einen bösen Knacks bekommen, nachdem das Tageblatt Anfang des Jahres ein von der Schutzpolizeiführung ausgearbeitetes Organisationskonzept veröffentlicht hatte. Danach sollten das Präsidium drastisch verkleinert und auf allen Revieren selbstständige Kriminalwachen eingerichtet werden. Uniform macht dumm und machtgeile Imperialisten hatte der Bund der Kriminalbeamten in seinem BdK-Verbandsorgan zurückgekeilt, was genau den falschen Auftakt für eine, wie Rogge fand, längst überfällige Reformdiskussion abgab. Im Moment wurde geschimpft, wann immer sich eine Gelegenheit dazu bot. Unmittelbar vor den Personalratswahlen hatte der BdK in einer Öffentlichkeitsaktion die ob der steigenden Kriminalität verunsicherten Bürger aufgefordert, Möbel und technisches Gerät für die völlig unzureichend ausgestattete und deshalb so erfolglose Schutzpolizei zu spenden; die Erfinder der Aktion rieben sich die Hände, es flössen tatsächlich Spenden, und die Schutzpolizeiführung, die zähneknirschend diese Wohltaten in Empfang nehmen musste, überlegte krampfhaft, wie sie diese Gemeinheit heimzahlen konnte. Seit einiger Zeit kursierten Memoranden und Unterschriftenlisten aller möglichen Gruppen im Präsidium und Rogge wollte nicht darauf wetten, dass seine Leute seine dienstliche Anweisung befolgten, sich aus diesem Zank herauszuhalten und keine Stellung zu beziehen. Natürlich war dieser Befehl längst im ganzen Haus bekannt und einte wahrscheinlich die Zerstrittenen wenigstens in einem Punkt, nämlich in ihrer Abneigung gegen den Leiter des Ersten K., der sich bis jetzt geweigert hatte, seine Meinung kundzutun. Grem gehörte zu den lautstarken Verteidigern der Kripo und reagierte wie der Stier auf das rote Tuch, wenn er nur die Wörter Gewerkschaft der Polizei hörte. Und er verfocht mit Grem’scher Sturheit die These, dass jeder gegen ihn sei, der sich nicht explizit für ihn aussprach.
Oberkommissar Hans Kirchbauer hatte alle zu der üblichen Abendbesprechung zusammengerufen. Obwohl Rogge sich hundertprozentig auf ihn verlassen konnte, war Rogge mit seinem Vertreter, der überall seine Ohren aufsperrte, das Gras wachsen hörte und jede Intrige im Voraus witterte, nie recht warm geworden. Das behinderte