Extra Krimi Paket Sommer 2021. A. F. Morland
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Читать онлайн книгу Extra Krimi Paket Sommer 2021 - A. F. Morland страница 28
»Das hat so viel gebracht?«
Nach einer Weile schaltete Wibbeke und lachte gutmütig: »Vergessen Sie die Quote nicht.«
»Welche Quote?«
»Die Milchquote. Offiziell betrieb der alte Vogt einen Milchwirtschaftshof mit hundert Stück Großvieh. Im Sinne des Gesetzes war er Bauer und Eigentümer. Und für die Quote soll der alte Lehnert eine Unsumme gelöhnt haben, wie man munkelt, aber die Bauern geben sich dumm und sind gerissen, die wissen ganz genau, wann sie schweigen müssen.« Über seine Grimasse musste Rogge laut lachen. »Übrigens auch vor der Polizei und dem Finanzamt.«
»Olli und Angie haben keine Kinder?«
»Nein ... Herr Rogge, Ihren mitleidigen Blick sparen Sie sich lieber auf.“ Angi könnte gehen, wenn sie wollte, so viel Angst vor dem Gerede der Leute und der Schwäche seiner Tochter hatte der alte Vogt nun auch nicht. Es gibt einen Ehevertrag, der Bär gehört ihr und Olli ist nur Angestellter seiner Frau.«
»Was Sie so alles wissen«, stichelte Rogge und Wibbeke schmunzelte: »Viel Wissen ersetzt die halbe Arbeit.«
»Haben Sie eigentlich mal im Bellhorner Motel nach Inge Weber recherchiert?«
»Ich nicht und so viel ich weiß, Grem auch nicht. Aber ich glaube, die wären zu mir gekommen, wenn diese Frau dort Gast gewesen wäre.«
»Warum sollten die das tun, Herr Kollege?«
»Weil die beiden Eigentümer wissen, dass wir einen Blick auf sie und ihre Gäste haben. Wenn da Volljährige ihre Nächte miteinander verbringen, geht uns das nichts an, aber manche Schläferinnen sehen etwas sehr jung aus, und den Skandal möchte sich das Motel nicht leisten, dass wir da eines Nachts laut klopfen und brüllen: Ziehen Sie sich etwas über und halten Sie Ihre Personalausweise bereit!«
»Fahren Sie bitte einmal hin und erkundigen Sie sich offiziell? Ich möchte mich da nicht blicken lassen.«
»Geht in Ordnung, Herr Rogge.«
Vor dem Revier gab Rogge seinem inneren Schweinehund einen Tritt und marschierte den Weg zurück nach Stockau am Bach entlang. Simon würde schäumen, wenn er hörte, wie sein Erster Hauptkommissar den Fall anging, mit langen Wanderungen und Schlossbesichtigungen, doch wenn Simon ihm diese Urlaubsmasche verbieten wollte, musste er mit der vollen Wahrheit herausrücken.
Wibbeke würde im Motel nichts erreichen, aber es war gut, wenn möglichst weit gestreut wurde, dass die Kripo den Fall Inge Weber nicht ad acta gelegt hatte.
Vor Stockau wurde Rogge von einem Fahrradfahrer überholt, der mächtig strampelte; Rogge hatte sich bei dem Klingeln ziemlich erschrocken. Der Knabe zischte in einem Affentempo an ihm vorbei, sein Haarschopf wehte regelrecht hinter ihm her. Ein alter Bekannter!
In Stockau begegnete Rogge ihm wieder, diesmal schob er manierlich sein Rad und redete eifrig auf eine junge Frau ein, die kannte Rogge auch, sie war von dem Quartett mit offener Missachtung begrüßt worden. Beide waren so in ihr Gespräch vertieft, dass sie ihn gar nicht beachteten; Rogge musterte die beiden unauffällig. Er war etwa 1,75 Meter groß, wog um die siebzig Kilo, braune Haare, schmales Gesicht. Sie hatte ein herzförmiges, puppenhaftes Gesicht, brünette, halblange Haare, 165 Zentimeter, um die sechzig Kilo. Braune Augen, wie Rogge feststellte, als sie ihn flüchtig ansah. Rein äußerlich passten sie gut zusammen.
Wibbeke hatte Rogge daran erinnert, dass Kühe kein Wochenende kannten, der Bauer also jeden Tag zum Melken recht früh aufstehen musste, und deswegen stockte er einen Augenblick, als er die Gaststube betrat. So voll hatte er den Bären noch nicht erlebt, Gertrud stellte neue Rekorde auf und die Wirtin half beim Servieren aus. Rechts, auf den Junggesellen-Radaubrüder-Bänken, hatte sich das Quartett niedergelassen und schien fest entschlossen, Gertrud zur Verzweiflung zu bringen. Olli zapfte und spülte pausenlos und stützte sich ausnahmsweise nicht mit einer Hand ab. Unter der Decke bildete sich bereits der schmutzig blaue Baldachin aus Zigaretten- und Pfeifenrauch. Bald würde es heiß und stickig werden, Rogge schauderte und zwang sich zu einem Lächeln, als Gertrud ihm eine Kusshand zuwarf. Und wieder erhaschte er einen hasserfüllten Blick des Hinkenden, der ihn, wahrscheinlich vom Bier beflügelt, sekundenlang böse anglühte.
Rogge bestellte Heringsstip nach Art des Hauses und befolgte die Regel, dass Fisch schwimmen müsse, aber der immer noch zunehmende Lärm und die schlechte Luft gingen ihm schwer auf den Geist. Verstimmt brach er bald auf und atmete vor der Tür tief durch.
Danach wusste er selbst nicht, warum er wieder zur Feltenwiese hinaufbummelte, vielleicht, weil er den Weg kannte und seine Lungen lüften wollte. Alle, die ihm vorwarfen, er rauche zu viel, begriffen nicht, dass Raucher besonderen Wert auf frische Luft legten. Der Halbmond wurde von Wolken bedeckt, es war unangenehm dunkel und Rogge trat vorsichtig auf, um nicht in einem der Löcher umzuknicken.
Das Auto entdeckte Rogge nur durch Zufall, weil plötzlich seitlich ein roter Punkt aufleuchtete. Irritiert blieb er stehen, der Punkt wurde dunkler, verschwand aber nicht, und dann schaltete Rogge: Da hatte sich jemand eine Zigarette angezündet. Der dunkle Streifen vor ihm musste schon der Buschsaum sein, das Auto parkte keine zwanzig Meter neben dem Wirtschaftsweg. Unschlüssig zupfte Rogge an seinem Ohrläppchen, es sah ganz so aus, als vergnüge sich da ein Pärchen, und Voyeurismus verabscheute er. Doch die Entscheidung wurde ihm abgenommen, im Auto leuchtete die Innenlampe auf, weil eine Tür geöffnet worden war, und fast hätte der Hauptkommissar vor Überraschung gepfiffen. Die junge Frau, die da ausstieg, war nackt, bückte sich nach hinten zur Rückbank und holte ein Bündel heraus, das sie auf die Motorhaube legte. Ihre Kleidung, im Stehen zog es sich bequemer an.
Rogge klemmte die Mundwinkel ein und schlich noch etwas weiter in den Schatten der Büsche. Striptease paradox bekam er nicht alle Tage geboten. Jetzt stieg auch der Mann aus. Er schien wesentlich älter zu sein und holte seine Brieftasche hervor, ging um den Wagen herum und gab ihr etwas, das sie in den Ausschnitt stopfte. Nun ja, eindeutiger ging’s nicht. Der Mann versuchte, die Frau zu umarmen, was sie mit einer obszönen Geste abwehrte, daraufhin ließ er sie rasch stehen und flüchtete hinter das Steuer. Der Motor sprang an, die Scheinwerfer leuchteten auf und Rogge klopfte sich innerlich auf die Schulter: Die jetzt angestrahlte junge Frau kannte er, die Kassiererin aus dem Supermarkt. Das Auto wendete, im letzten Moment duckte der Hauptkommissar sich vor dem Licht, der Kegel wanderte weiter und Rogge richtete sich schnell auf, um das Kennzeichen zu lesen. Landkreis Neuenburg. Knapp vierzig Kilometer über die Autobahn. Liebe und Triebe überwanden auch lange Strecken.
Als sich seine Augen wieder auf die Dunkelheit eingestellt hatten, sah er gerade noch, dass die Frau dem Auto Richtung Parkplatz folgte, also nicht ins Dorf hinunterlief. Was hatte das nun wieder zu bedeuten?
Rogge ließ ihr zwei Minuten Vorsprung, bevor er in bester Indianermanier hinter ihr herpirschte. Unter den Bäumen konnte er nichts sehen und die Autobahn übertönte ihre Schrittgeräusche. In der letzten Kurve vor dem Parkplatz blieb er stehen, überlegte und tastete sich dann nach links zwischen den Stämmen durch. Es war finster, dazu knackten pausenlos trockene Zweige unter seinen Schuhen, zum ersten Mal dankte er für den Lärm der Autos, es rauschte gleichförmig. Die Menschheit eilte freitags heim ins Wochenende und endlich erkannte Rogge auch zwischen den Stämmen und dem Krüppelgehölz die vorbeigleitenden Lichtpunkte.
Aber wo war die Frau abgeblieben?
Fast hätte Rogge sich zu weit vorgewagt und huschte erschrocken zurück hinter einen Baum. Sie saß allein auf einer der Bänke und rauchte, das Glutpünktchen hatte ihn gerade noch rechtzeitig gewarnt. Was zum Teufel trieb sie hier um diese Zeit? Wartete sie auf jemanden?