Die Salbenmacherin und der Fluch des Teufels. Silvia Stolzenburg

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Die Salbenmacherin und der Fluch des Teufels - Silvia Stolzenburg

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fort, bis das Heilig-Geist-Spital vor ihr auftauchte. Auf den spitzen Dächern hockten Zugvögel, die schimpfend das Weite suchten, als sich ein Flügel des großen Tores mit einem lauten Schlag hinter einem Fuhrwerk schloss. Obwohl der übliche Andrang von Mägden, Knechten, Werkleuten und Bedürftigen herrschte, gelangte Olivera rasch in den Hanselhof, in dem es auch an diesem Tag geschäftig zuging. Sie fröstelte, als sie in die Schatten des riesigen Gebäudekomplexes eintauchte, hinter dem die Pegnitz rauschte. Zu ihrer Linken ragte die Spitalkirche in den Himmel, deren Glocke in diesem Moment die halbe Stunde schlug. Eine Gruppe von Insassen des Spitals war mit Holzhacken beschäftigt, andere kehrten oder holten Wasser aus dem Ziehbrunnen. Einige der stärkeren Männer halfen beim Entladen des Fuhrwerks, das unter einer alten Linde zum Stehen gekommen war. Die Kranken und Schwachen waren in der Siechenstube untergebracht, in der Tag und Nacht die Kusterin und mehrere Mägde über ihr Wohlergehen wachten. In den beiden größten Gebäuden des Spitals, die parallel angeordnet waren, befanden sich die Stuben. Daran grenzten je eine Küche für die Patienten der unteren und oberen Stuben an, ein Waschraum, eine Badestube für die Männer und eine für die Frauen und das heimliche Gemach für die Insassen. Außerdem waren hier die Einrichtungen für die armen Pfründner, das Narrenhäuslein und die Unterkunft für die Findlinge und Waisen untergebracht.

      Da sich Matthäus meist in der Siechenstube aufhielt, wandte sich Olivera dorthin und betrat kurz darauf den Vorraum der großen Halle. Den Gestank von Schweiß, Kot und Urin nahm sie kaum mehr wahr, weil sie sich inzwischen daran gewöhnt hatte. Die Halle wurde von Säulenreihen in zwei gleich große Bereiche geteilt, in denen die Frauen und die Männer lagen. Bettkasten reihte sich an Bettkasten, viele der Kranken stöhnten leise vor sich hin oder schrien vor Schmerz. Die weißen Wände der Stube wurden von wenigen Fensterschlitzen unterbrochen, durch die schwaches Sonnenlicht auf den sauberen Boden fiel. Am Kopfende des langen Raumes befand sich eine Kanzel, von der ein Kaplan die Messe für die Bettlägerigen lesen konnte.

      Nachdem sich ihre Augen an das Dämmerlicht in der Stube gewöhnt hatten, entdeckte Olivera Matthäus am Bett eines alten Weibleins, an dessen Hinterteil er sich zu schaffen machte. Die Frau litt unter Hämorrhoiden, die laut Hippokrates durch die Erhitzung des Blutes am After infolge von überschüssigen Gallensäften entstanden. Mithilfe eines Instrumentes führte Matthäus ein Zäpfchen in den Anus der Kranken ein, um ihre Beschwerden zu lindern. Da Hämorrhoiden diejenigen, die an ihnen litten, vor Lungenentzündung und anderen Krankheiten schützen konnten, vermied man es so weit wie möglich, sie zu verätzen oder zu veröden.

      »Olivera«, begrüßte er sie, nachdem er die Alte auf den Rücken gedreht und zugedeckt hatte.

      »Ich muss mit dir über Martin Groß’ Tochter reden«, kam Olivera ohne Umschweife zur Sache.

      »Hat die Arznei geholfen?«

      Sie schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, sie leidet an dem, was Hippokrates die Heilige Krankheit nennt.«

      Matthäus runzelte die Stirn. »An der Fallsucht?«

      Olivera nickte.

      Der Medicus nagte nachdenklich an seiner Lippe.

      »Hast du sie bei deinem letzten Besuch geschröpft?«, erkundigte sich Olivera.

      »Ich hatte sie zur Ader gelassen, aber das hat wenig Wirkung gezeigt.« Er rieb sich das Kinn. »Ich kenne die hippokratische Schrift zu dieser Krankheit. Er spricht auch davon, dass der Schädel zu öffnen ist, wenn Schröpfen und Purgieren sich als nutzlos erweisen. Du könntest recht haben mit deiner Vermutung«, gab er zu.

      »Kannst du ihr helfen?«

      Er zuckte mit den Schultern und warf einen Blick auf die lange Reihe der Betten. »Ich habe hier noch eine Weile zu tun«, sagte er. »Bereite ihr eine Arznei aus Helleborus und Wolfsmilch. Ich komme zu ihr, sobald ich kann.«

      Olivera nickte und machte Anstalten zu gehen.

      »Ich hoffe, deine Vermutung trifft zu«, seufzte Matthäus. »Eines der Waisenkinder hier im Spital zeigt dieselben Symptome wie das Mädchen.«

      Olivera spürte eine böse Vorahnung in sich aufsteigen. Was, wenn sie sich irrte? Was, wenn eine neue Pest drohte? Noch war nicht klar, ob das Leiden tödlich verlief. Aber was, wenn es so war? Mit einem unguten Gefühl verließ sie die Siechenstube und kehrte in die Burgstraße zurück, um die Arznei zuzubereiten, um die Matthäus sie gebeten hatte.

      Kapitel 7

      Eine Stunde später war der Trank fertig und Olivera wieder auf dem Weg zu Martin Groß. Als sie am Rathaus vorbeikam, sah sie Götz aus dem Gebäude treten, zusammen mit einigen anderen Mitgliedern des Größeren Rates.

      Er winkte ihr zu, löste sich von der Gruppe und kam zu ihr. »Was ist los?«, fragte er nach einem Blick in ihr Gesicht.

      »Ein krankes Mädchen«, erklärte sie. »Kennst du Martin Groß?«

      Götz’ Augen weiteten sich. »Jeder kennt Martin Groß. Wieso?«

      »Seiner Tochter geht es sehr schlecht.«

      »Du bist auf dem Weg zu seiner Tochter?«

      Olivera nickte.

      »Wie schlimm ist es?«

      »Schlimm.«

      »Was fehlt ihr?«

      Olivera zuckte mit den Schultern. »Ich bin mir nicht sicher. Vermutlich leidet sie an der Fallsucht.«

      »Fallsucht?«

      Olivera erklärte ihm, worum es sich bei dieser Krankheit handelte.

      Götz stöhnte. »Der arme Kerl! Erst seine Frau, jetzt seine Tochter …«

      »Was ist mit seiner Frau?«

      »Sie ist letzten Winter an einem Fieber gestorben«, erwiderte Götz. »Nach ihrem Tod hat er den Posten als Bürgermeister aufgegeben und sich fast vollständig aus dem Rat zurückgezogen. Er ist bei Sitzungen kaum mehr zu sehen. Manche sagen, er ist mehr in der Kirche als in seinem Kontor.«

      »Ich hoffe, Matthäus und ich können dem Kind helfen«, sagte Olivera, verabschiedete sich von Götz und setzte ihren Weg fort. Vor dem Haus des Patriziers zögerte sie einen Augenblick und überlegte, ob sie auf den Medicus warten sollte, entschied sich jedoch dagegen. Je schneller das Mädchen die Arznei bekam, desto besser waren die Aussichten.

      Es dauerte nicht lange, bis auf ihr Klopfen hin die Tür geöffnet wurde. Nachdem sie dem Bediensteten erklärt hatte, wer sie war, führte er sie durch die Eingangshalle in einen Raum, in dem sich ein großes Kruzifix und ein Altar befanden.

      Martin Groß kniete vor dem Altar und betete.

      »Herr?«

      Der Patrizier schien ihn nicht zu hören.

      »Herr? Die Salbenmacherin ist hier.«

      Martin Groß hob den Kopf, bekreuzigte sich und kam mühsam auf die Beine. Sein Gesicht war bleich, die Hände zitterten.

      »Wie geht es Eurer Tochter?«, fragte Olivera.

      »Der Herr straft die Sündigen«, erwiderte Groß. »Warum muss Clara so furchtbar leiden? Sie ist doch nur ein unschuldiges Kind!«

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