Goetheherz. Bernd Köstering
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»Dann muss ihr jemand gefolgt sein«, stellte Richard fest.
»Ja, so sehen wir das auch. Wir haben das Videomaterial von zwei benachbarten Geschäften ausgewertet, ohne Erfolg. Nun die üblichen Fragen: Motiv? Gelegenheit? Mittel? Wir haben alles geprüft, es gibt keinen Verdächtigen. Frau Becker ist geschieden. Ihr Ex-Mann hat vor rund 20 Jahren die Scheidung eingereicht, weil sie damals einen Liebhaber hatte, der wiederum inzwischen verstorben ist. Herr Becker hat kein erkennbares Motiv und ein wasserdichtes Alibi, er war letzte Woche im Urlaub auf Gran Canaria und kam erst am vergangenen Sonntag zurück. Er hat seine geschiedene Frau zuletzt vor einem Jahr gesehen. Ihre beste Freundin arbeitet in Teilzeit als PTA in einer Jenaer Apotheke, daraus könnte man eine gewisse Verbindung zum Temazepam konstruieren, allerdings ist das Zeug ja leider rezeptfrei erhältlich. Sie hätte also die Mittel gehabt, hat aber kein Motiv, und sie war zur Tatzeit in der Apotheke. Drei Kolleginnen können das bezeugen.«
»Danke, Julian. Richard, machst du weiter?«
»Okay.« Volk erläuterte alle Fakten der Fälle Marianne Schmidt und Elisabeth Müller, die Hendrik bereits kannte. Zudem bedankte er sich für den Wochenendeinsatz von Dr. Bergen. Es gab verschiedene Nachfragen zum genauen Verlauf des Schusskanals bei Frau Schmidt und zu der Insulinpatrone in der Wohnung von Frau Müller.
»Zum Thema Insulin habe ich mit Dr. Bergen telefoniert«, sagte Richard. »Er hat mir die Wirksamkeit bestätigt und hält diese Tötungsvariante in Anbetracht seiner Obduktionsergebnisse für realistisch. Da die Tochter von Frau Müller erklärte, dass weder sie noch ihre Mutter je mit Diabeteskranken oder deren Medikamenten in Berührung gekommen seien und sie solch eine Nachfüllpatrone für den Insulinpen nie zuvor gesehen habe, spricht dies eindeutig für eine Fremdeinwirkung.«
Kriminaldirektor Germer räusperte sich. »Und wenn eine Pflegekraft beim Besuch von Frau Müller diese Patrone verloren hat?«
Richard wiegte seinen Kopf hin und her. »Daran haben wir auch schon gedacht. Frau Müller war 68 Jahre alt, noch recht fit, sie hatte keinen Pflegegrad und keine Hauspflege. Außerdem hätte die Patrone dann eher im allgemein zugänglichen Bereich liegen müssen, auf dem Teppich zum Beispiel.«
»Okay«, brummte der Mann mit der Tellerbrille.
»Als Nächstes haben wir den Fall in Straßburg, den erläutert Ihnen mein Mitarbeiter Kommissar Simon.« Richard gab Pascal ein Zeichen.
»Es handelt sich hier um die 52-jährige Friederike Geraldine Meyer, verheiratet, zwei Kinder, wohnhaft in Straßburg, Ortsteil Cronenbourg, so wie das Bier, aber mit C geschrieben. Die Brauerei hatte früher tatsächlich ihren Sitz …«
»Pascal!« Richards Ton war eindeutig.
»Ja, Chef, sorry.« Er beugte sich über seine Papiere. »Frau Meyer wurde am Montag letzter Woche, also am 6. Oktober, im Bassin du Commerce gefunden, das ist eines der großen Becken im Straßburger Rheinhafen. Ich habe mir den Untersuchungsbericht der Kollegen von der Police national schicken lassen.«
»Er kann gut Französisch«, ergänzte Richard.
»Ja, danke, Chef. Jedenfalls sagt der Rapport Folgendes: Als Todesursache wurde Ertrinken festgestellt. Damit lagen ein Unfall oder eine Selbsttötung nahe. Dann jedoch fand die Rechtsmedizin Blutergüsse an beiden Seiten des Halses, dort, wo die Hirnvenen und -arterien verlaufen.« Simon zeigte an seinem eigenen Hals, dass er den Bereich rechts und links des Kehlkopfs meinte. »Ein Spezialist, der früher bei der Fremdenlegion war, hat festgestellt, dass bei Frau Meyer ein Würgegriff angesetzt wurde, und zwar von hinten. Bei mäßigem Druck werden dabei die Halsvenen abgedrückt, und das Blut kann aus dem Kopf nicht zurück zum Herzen fließen. Ein trainierter Angreifer kann auf diese Weise die Frau innerhalb von 10 bis 15 Sekunden zur Bewusstlosigkeit gebracht haben. Bei stärkerem Druck können auch die Arterien blockiert werden, was noch schneller zur Bewusstlosigkeit führt. Die Annahme liegt also nahe, dass jemand Frau Meyer mit diesem Würgegriff außer Gefecht gesetzt und anschließend ins Hafenbecken geworfen hat.«
»Wie lange lag sie denn im Wasser?«, wollte Täntzer wissen.
»Sie wurde um 8.15 Uhr gefunden. Der Todeszeitpunkt wurde auf 3 Uhr plus/minus eine Stunde festgelegt. Sie lag also vier bis sechs Stunden im Wasser.«
»Hm, danke, also nicht allzu lange.«
»Ich habe zusätzlich mit Jean-Pierre Clément telefoniert, Capitaine de Police, das ist gleichzusetzen mit unserem Hauptkommissar. Er leitet die Ermittlungen und hat Frau Meyers privates und berufliches Umfeld komplett durchleuchtet. Es wurden keinerlei Hinweise auf den Mörder gefunden, auch nicht auf ein Motiv. Da solche Würgegriffe bei verschiedenen Kampfsportarten eine Rolle spielen, hat er sogar die entsprechenden Trainingszentren, insbesondere solche für Brazilian Jiu-Jitsu und Luta Livre, im gesamten Elsass geprüft, keine Anhaltspunkte.«
»Wie sind Sie überhaupt mit den Franzosen in Kontakt gekommen?«, fragte der Kriminaldirektor. »Haben die sich bei Ihnen gemeldet und um Amtshilfe gebeten?«
Hendrik wollte etwas sagen, besann sich jedoch schnell und sah Richard an.
»Ich habe mich mit dem Kollegen Siegfried Dorst darüber unterhalten«, sagte Richard Volk. »Da er in Weimar wohnt, kennt er sich ein wenig mit der Klassik und mit Goethe aus. Die Vornamen der getöteten Frauen sind identisch mit denen von Goethes Frauenbekanntschaften und die Fundorte der Leichen stimmen mit den einstigen Wohnorten dieser Frauen überein. Das ist zwar ein sehr gewagter Gedankengang …«
»Allerdings«, erwiderte der Mann mit der Tellerbrille.
»… aber wir sind mit unseren Ermittlungen festgefahren, da müssen wir jede Möglichkeit in Betracht ziehen. Herr Dorst hat mich auf die Idee gebracht, Herrn Wilmut hinzuzuziehen. Er ist ein Spezialist für alles, was mit Goethe zu tun hat, und ich habe ihn gefragt, ob er uns als Experte zur Verfügung steht.«
Hendrik bewunderte Richards diplomatisches Geschick. Von sich selbst als aktivem Polizist führte er zu einem pensionierten Polizisten und von dort zu einem nichtpolizeilichen Experten. Clever gemacht.
»Meinetwegen. Wie kamen Sie auf Straßburg?«
Sandra Prager schaltete sich ein: »Herr Kriminaldirektor, darf ich vorschlagen, dass wir uns zunächst den Bericht zum fünften Fall anhören, dann eine kurze Pause einlegen und danach Herrn Dr. Wilmut zu Wort kommen lassen?«
Germer machte eine Handbewegung, als wolle er der Kriminaloberkommissarin seine Finger zuwerfen. »Von mir aus.«
»Gut«, fuhr Prager fort. »Ich mache es kurz. Lotte Amelie Schneider, 28 Jahre alt, ledig, aus Wetzlar. Sie wurde am Donnerstag, den 2. Oktober, um 5.52 Uhr vom Regionalexpress in Richtung Gießen überrollt. Das geschah in den Lahnauen, kein Mensch in der Nähe, Dunkelheit, sie trug schwarze Kleidung. Keinerlei Hinweise auf Fremdverschulden. Ihre sterblichen Überreste wurden bereits beerdigt. Sie werden sich fragen, warum wir diesen Fall überhaupt diskutieren, dazu hören wir nach der Pause Herrn Dr. Wilmut.« Sie stand auf und ging zielstrebig auf die Kaffeekanne zu.
Hendrik blieb sitzen und überlegte, wer in dieser Runde für oder gegen ihn war. Siggi und Kommissar Täntzer rechnete er zu den Unterstützern. Sandra Prager verhielt sich neutral, ebenso Richard. Simon würde sich wohl seinem Chef anschließen. Der Kriminaldirektor war gegen ihn. Sich selbst mit einbezogen kam er auf eine Quote von 3:3:1. Gar nicht so übel.
Im Toilettenbereich am Waschbecken traf er Richard Volk.