Goetheherz. Bernd Köstering

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Goetheherz - Bernd Köstering

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gab der Apfelbaum sie frei. Sie fiel nicht langsam, so wie die Dämmerung zu Hause herabsegelte, sondern schnell wie ein Stein, so wie die Dämmerung am Äquator hereinbricht. Sie fürchtete, auf die Erde zu schlagen, wehrte sich mit Händen und Füßen, schrie, sah, dass alles weiß war um sie herum, schrie noch mehr, bis ein älterer, grauhaariger Herr erschien, sich über sie beugte und mit einer sonoren Stimme erklärte, er hieße Professor … – den Nachnamen verstand sie nicht. Daraufhin wollte sie etwas sagen, war sich allerdings nicht sicher, ob sie sprechen konnte. »Lassen Sie sich Zeit!«, sagte der Professor in einer gütigen Art, und langsam, stockend, fast stotternd brachte sie einen Satz heraus: »Pro…fessor … ist ja … ein komischer … Vorname!«

      Daraufhin hörte sie einige Menschen lachen und verzog selbst den Mund zu einem leisen Lächeln. Zu mehr reichte es nicht, denn ihr Kopf schmerzte. Sie könne noch etwas schlafen, hieß es, doch das wollte sie nicht, denn sie befürchtete, wieder ins Fliegen zu kommen. Sie sprach nicht, sondern beobachtete, wie der Professor sie abhorchte und seinen Finger vor ihren Augen hin und her bewegte. Irgendwann später spürte sie eine Hand in der ihrigen und sie tat das, was sie am besten konnte: lachen und weinen zur selben Zeit. »Willkommen zurück!«, sagte Hendrik.

      1. Woche

      Elisabeth Müller

      Frankfurt a. M., Montag, den 6. Oktober, abends

      Hendrik Wilmut hätte eigentlich ein Literaturseminar für den nächsten Tag vorbereiten müssen. Aber dazu kam es nicht. Stattdessen tigerte er unruhig durch die Wohnung in der Bodenstedtstraße, hatte Hunger, doch der Kühlschrank war leer, suchte ein Restaurant, wollte dort aber nicht allein sitzen. Er überlegte, wen er anrufen konnte.

      Sein Freund Richard Volk, der war ein Kandidat. Richard war eigentlich alleinstehend, derzeit bahnte sich jedoch eine Beziehung mit Monika an. Wahrscheinlich würde er lieber mit ihr ausgehen. Oder das Kommissariat 11 im Frankfurter Polizeipräsidium nahm ihn wieder einmal in Beschlag mit einem Verbrechen gegen Leib und Leben. Im Moment des Zauderns fiel Hendriks Blick auf einen Gutschein, der unter einem bunten Kühlschrankmagneten klemmte: ein 2:1-Coupon, mit dem man zu zweit im französischen Restaurant Le Patron am Mainufer speisen konnte, aber nur eines der beiden Hauptgerichte bezahlen musste. Er griff zum Telefon. Richard sagte sofort zu.

      Ohne den Gutschein wäre Hendrik wohl nicht auf die Idee gekommen, dort zu essen, denn der Patron rief Preise auf, die weder zum Gehalt eines Hochschuldozenten noch zu dem eines Kriminalhauptkommissars passten.

      Sie hatten sich um 19 Uhr vor dem Restaurant verabredet. Hendrik war von seiner Wohnung aus gelaufen, und als er den Treffpunkt erreichte, war es 19.15 Uhr. Richard wartete bereits.

      »Sorry, ich musste noch … was erledigen«, sagte Hendrik. »Und als ich auf die Uhr sah, war es plötzlich sieben. Bin sogar gerannt hierher.«

      Richard gab ihm die Hand und nickte jovial, so als wollte er dadurch zum Ausdruck bringen, dass er Hendriks Unpünktlichkeit gewohnt war.

      Sie nahmen ihre Plätze ein, Richards Stuhl knirschte unter seinem Gewicht, hielt ihm jedoch stand. Sie bestellten das Essen und eine Flasche Rotwein.

      »Erzähl von Hanna, Junge, wie geht es ihr?« Richard schien ungeduldig auf Neuigkeiten zu warten.

      Hendrik lächelte. »Es geht ihr recht gut. Der Professor meint, in Anbetracht der zweiwöchigen Schlafphase gehe es ihr sogar sehr gut. Die ersten Tage konnte sie kaum sprechen, das lag wohl an dem Beatmungsschlauch. Jetzt ist sie seit gut einer Woche wieder wach. Sie läuft auf der Station hin und her, noch recht matt, aber es wird besser. Übermorgen darf sie nach Hause. Ich …« Hendrik konnte nicht weiterreden.

      Richard legte ihm behutsam die Hand auf den Arm. »Ich bin so froh! In erster Linie für Hanna und dich.«

      Hendrik nickte.

      »Siggi und ich waren an diesem Abend allerdings auch im Café«, fuhr Richard fort. »Und … ich hätte es mir nie verziehen, wenn Hanna …«

      Hendrik war zunächst überrascht. Doch dann verstand er. »Ja, ich weiß, was du meinst. Ihr habt nichts falsch gemacht, überhaupt nichts. Dennoch macht man sich Vorwürfe, man glaubt, eine gewisse Schuld zu tragen. Ich kenne das.«

      »Du meinst deine … also die Sache mit Nadine Moser?«

      »Ja, die verfolgt mich immer noch. Sie macht mir einmal schöne Augen und ich falle sofort drauf rein – was war ich für ein Idiot! Und die Folgen für Hanna …« Hendrik schüttelte den Kopf.

      »Stimmt«, sagte Richard. »Aber das hätte vielen Männern passieren können, mir auch. Wir sind da irgendwie … evolutionär benachteiligt.«

      Hendrik quälte sich ein kurzes Lächeln ab.

      »Außerdem hatte Nadine es auf dich abgesehen«, sagte Richard. »Aus Gründen, die mit Männern und Frauen und der Evolution nichts zu tun haben. Sie wollte dich aushorchen.«

      »Ich weiß. Trotzdem quält mich dieses verdammte schlechte Gewissen.«

      »Ja«, sagte Richard. »Hab Geduld, die Zeit wird’s richten.«

      Hendrik nickte. »Hoffentlich. Nietzsche hat mal gesagt, das schlechte Gewissen baut auf Schmerz. Es wird etwas eingebrannt, das nicht aufhört, wehzutun. Genau so fühle ich mich derzeit.«

      Die Kellnerin brachte den Wein und erläuterte mit einem netten französischen Akzent, wo genau aus Burgund der gute Tropfen herkam und in welche Geschmacksrichtung er tendierte. Sie entkorkte die Flasche und goss ein. Die beiden Männer stießen auf Hannas Gesundheit an.

      »Kann sie sich eigentlich noch an den 13. September erinnern?«, fragte Richard.

      Hendrik wiegte den Kopf hin und her. »Sie sagt nein und die Ärztin hält eine Teilamnesie für möglich. Ich bin nicht sicher, vielleicht erinnert sie sich daran, will es aber verdrängen. Wäre ja verständlich.«

      Richard machte eine zustimmende Handbewegung. »Es wird eine Weile dauern, bis sie voll bei sich ist.«

      »Das stimmt, aber ich mache mir natürlich Gedanken, wie es weitergehen soll, mit ihr und mit dem Café.«

      »Ach so, ja …«

      »Momentan läuft alles über Esra, sie war ja schon vorher Hannas große Stütze. Zwei meiner Studenten, Frank und Sascha, die helfen ihr und organisieren regelmäßig Aushilfskräfte. Ich schaue auch ab und zu rein. Das läuft ganz gut … ein paar Wochen, zwei bis drei Monate vielleicht, ist allerdings keine Dauerlösung.«

      Richard nickte. »Meinst du, Hanna kann das Café je wieder betreten?«

      Hendrik hob die Schultern. »Ich weiß es nicht.« Die Szene vom 13. September drängte sich in seine Gedanken, er wollte das nicht, aber die Erinnerung war zu mächtig. Er sah sich selbst im Café stehen und panisch nach Hanna rufen, die in der Küche eine Weinflasche öffnete. Die Weinflasche. Nadine Moser hatte mit einer Kanüle den Korken durchstochen und Gift eingefüllt. Hendrik rannte, Siggi schrie, Richard rief hinter ihm her. Zu spät. Hanna meinte noch, der Wein schmecke gut. Dann sackte sie zusammen. Es fielen Schüsse. Durch die Fenster, er musste sich auf den Boden werfen, konnte Hanna nicht helfen. Nadine Moser war eine gute Schützin, aber Hendrik hatte sie besiegt, mit der List und der Verzweiflung des Liebenden.

      »Woran denkst du?«, fragte Richard.

      »Ach,

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