Goetheherz. Bernd Köstering

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Goetheherz - Bernd Köstering

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      Zurück zur Onlineseite der Offenbach-Post: Dem Artikel über Elisabeth M. war ein Textkasten beigefügt, in dem ältere Patienten ermahnt wurden, wichtige Herzuntersuchungen nicht auf die lange Bank zu schieben. Dazu die Telefonnummer eines Herzspezialisten.

      Hendrik überlegte: Eine ältere Dame starb, 68 Jahre, kein hohes Alter, aber bei der von der Tochter genannten Vorerkrankung nicht ungewöhnlich. Dennoch, etwas störte ihn. Wie so oft konnte Hendrik nicht sagen, was es war. Er wusste jedenfalls, dass dieses »Etwas« existierte und ihn noch beschäftigen würde.

      Schweren Herzens schrieb er Siggi und Richard eine ausführliche E-Mail, in der er erklärte, dass es keinen Sinn mache, Hanna derzeit zu besuchen. Er fuhr den Rechner herunter und ging ins Wohnzimmer.

      Seine Liebste stand auf dem Balkon und starrte hinunter in den kleinen Park. Sie sah schmal aus. Ihre blonden Haare fielen wirr durcheinander. Für Hanna, die sonst immer viel Wert auf ihre Frisur gelegt hatte, war das sehr ungewöhnlich.

      Er öffnete die Balkontür einen Spalt breit. »Hallo, Hanna, soll ich dir etwas zu essen machen?«

      Sie schüttelte den Kopf.

      Trotzdem wärmte er die Hühnersuppe auf.

      *

      Marianne Schmidt

      Frankfurt a. M., Donnerstag, den 9. Oktober, nachmittags

      Obwohl der anwesende Arzt einen natürlichen Tod bescheinigt hatte, war das K 11 hinzugezogen worden. Das waren Routineabläufe der Polizeiarbeit. Kriminalhauptkommissar Richard Volk verließ gegen 14 Uhr an diesem Donnerstag den Aufzug des Mietshauses im Goldbergweg und betrat die Wohnung der Toten im dritten Stock. Sein junger Kollege Kriminalkommissar Pascal Simon empfing ihn. Er war lässig gekleidet und trug eine rote Mütze.

      »Tag, Herr Volk. Der Arzt ist noch da, er wird wohl gleich fertig sein. Die Tote heißt Marianne Schmidt, 62 Jahre alt, wohnte allein, keiner im Haus kannte sie, außer einer Nachbarin hier nebenan auf dem Flur. Der Briefkasten von Frau Schmidt ist leer, ihr Papierkorb ebenso. Sie hat keine weiteren Verwandten.«

      »Wie lange sind Sie schon vor Ort?«

      »Etwa ’ne halbe Stunde.«

      »Und in dieser Zeit haben Sie das alles herausbekommen?«

      »Äh, ja.«

      »Gut, Pascal, das haben Sie gut gemacht!«

      Sein Mitarbeiter grinste.

      Der Kriminalhauptkommissar nickte dem Arzt zu und blieb vor der Leiche stehen. Der Anblick von Toten bereitete ihm nach all den Jahren keine Schwierigkeiten mehr. Frau Schmidt lag rücklings auf dem Wohnzimmerteppich und sah hinauf zur Zimmerdecke. Sie hatte einen entspannten, fast zufriedenen Gesichtsausdruck. Für Richard Volk war das gleichbedeutend mit einem schnellen Tod, bei dem sie nicht gelitten hatte. In der Hand hielt sie eine Zahnbürste. Er wusste, dass viele ältere Menschen durch Blutgerinnsel starben, die sich durch die Erschütterungen des Körpers beim Rasenmähen, beim Bohren oder eben beim Zähneputzen lösten und zu einem Herzinfarkt oder Schlaganfall führten.

      »Todeszeitpunkt?«, fragte er den Arzt, der bereits dabei war, seine Sachen einzupacken.

      »Noch nicht lange her. 12 Uhr plus/minus eine Stunde.«

      Volk sah auf. »Sicher?«

      »Sicher!«

      »Sind Sie Gerichtsmediziner?«

      »Nein, aber Pathologe.«

      Richard nickte ihm zu. Ein Zeitfenster von 11 bis 13 Uhr passte nicht zu der Zahnbürste. Ein Todeszeitpunkt in den Morgenstunden wäre logischer gewesen. Es sei denn, Frau Schmidt hatte sich auch nach dem Mittagessen die Zähne geputzt – möglich, aber unwahrscheinlich.

      »Keinerlei Anzeichen für einen gewaltsamen Tod«, sagte der Arzt.

      »Okay, danke!«

      Wieder eine Frau in den 60ern. Wieder zu früh verstorben.

      Pascal Simon riss ihn aus seinen Gedanken. »Die Flurnachbarin hat ausgesagt, dass sie gegen 12.30 Uhr eine Wohnungstür gehört hat, sehr wahrscheinlich die von Frau Schmidt.«

      »Sehr wahrscheinlich? Was heißt das?«

      »Sie war sich ziemlich sicher. Die beiden kennen sich und ihre Wohnungstüren.«

      »Gut, Sie warten auf die Kollegen von der Kriminaltechnik, die sollen nach Fingerspuren auf der Zahnbürste suchen!«

      »Auf der Zahnbürste?«

      »Ja, wir müssen davon ausgehen, dass …« Sein Mobiltelefon klingelte. Er nahm ab.

      »Hier ist Dr. Bergen, Uni Gießen, Rechtsmedizin.«

      »Ach, gut, einen Moment bitte …«

      Volk gab Simon ein Zeichen, verließ die Wohnung und ging ins Treppenhaus. Das Gespräch dauerte nicht lange. Dr. Bergen war sehr hilfsbereit. Auch die Nachricht, dass es sich inzwischen um die Obduktion von zwei Frauenleichen handelte, schockierte ihn nicht. Richard Volk konnte sich nicht des Eindrucks erwehren, dass zwischen Almuth Feller und Dr. Bergen eine besonders gute Beziehung bestand. Er lächelte. Dann rief er Pascal Simon zu, dass er dringend zum Oberstaatsanwalt müsse, und verabschiedete sich.

      *

      Sebastian Bergen

      Gießen, Samstag, den 11. Oktober, morgens

      Dr. Sebastian Bergen war ein Mann, den man im modernen Sprachgebrauch durchaus als smarten Typ bezeichnen konnte: 38 Jahre alt, 1,90 Meter groß, dunkles, wild fallendes Haar, kein übermäßig präsenter Vollbart, sportliche Erscheinung. So weit alles in Ordnung. Aber wenn er einer Frau erklärte, dass er in der Rechtsmedizin arbeitete, und die Frage, ob er »Leichen aufschnitt«, bejahte, dann war es meistens vorbei mit dem Interesse. Einmal hatte er sich selbst als »Aufschneider« bezeichnet, in der Meinung, das sei lustig. Die entsprechende Dame hatte jedoch nicht gelacht, sondern sich verabschiedet.

      Bei Almuth Feller war das anders gewesen. Sie war einige Jahre älter als er, erfahren und abgeklärt. Ihr auffallend schönes, gewinnendes Lächeln faszinierte ihn. Und als Krönung dieses Lächelns präsentierte sie ihre makellos geformten weißen Zähne. Zudem hatte sie selbst in der Rechtsmedizin gearbeitet, zwar im Verwaltungsbereich, dennoch waren alle Vorgänge im Institut für sie alltäglich gewesen, und sie hatte sich nicht gescheut, ihn ab und zu im Sektionssaal zu besuchen. Leider hatte sie vor einem halben Jahr Gießen verlassen, um ihre kranken Eltern in Kelsterbach zu pflegen. An der Universität Frankfurt hatte sie eine Halbtagsstelle gefunden. Obwohl die Entfernung nicht allzu groß war, hatte sich ihre Beziehung seitdem abgekühlt, sie sahen sich nur noch selten.

      Für Dr. Sebastian Bergen bestand kein Zweifel, dass er Almuth den Gefallen tun würde, die beiden toten Frauen zu obduzieren. Voraussetzung war, dass er dies am Wochenende erledigte, wenn der Sektionssaal nicht belegt war. Nachdem Dr. Bergen die Freigabe seines Institutschefs erhalten hatte, teilte er die Entscheidung dem ermittelnden Beamten, Kriminalhauptkommissar Richard Volk, mit. Volk wiederum hatte den Frankfurter Oberstaatsanwalt von einer Obduktion überzeugt, ohne Bergen mitzuteilen, wie ihm das gelungen war. Der Oberstaatsanwalt hatte sich daraufhin

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