Goetheherz. Bernd Köstering
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2. Woche
Lotte Schneider
Frankfurt a. M., Montag, den 13. Oktober, morgens
Hendrik Wilmut erwachte um halb sieben. Zu seinem Erstaunen saß Hanna bereits in der Küche. Er stand an der Tür und lächelte.
»Kannst du mir bitte einen Espresso machen?«, fragte sie.
Hendrik stutzte. Bisher hatte sie Espresso nie sonderlich gemocht und schon gar nicht danach gefragt. Cappuccino, ja, oder Latte macchiato, aber nichts ohne Milch. Gerade wollte er eine flapsige Bemerkung loslassen, denn früher hatten sie darüber oft gescherzt – die Schöne und das Espresso-Biest oder Ähnliches. Doch dann merkte er, dass Hannas Wunsch ernst gemeint war und ihrem momentanen Seelenzustand entsprach, über den er besser keine Späße machte.
»Natürlich, gerne!« Er schaltete seine italienische Espressomaschine ein.
Sie hatte sich ihren Bademantel übergezogen, trotzdem schien sie zu frieren.
Hendrik sah auf ihre nackten Füße. »Soll ich dir die Hausschuhe holen?«
Sie nickte, er ging in den Flur, kehrte mit den dicken Puschen zurück, kniete vor ihr nieder und nahm ihren Fuß in die Hand. Er konnte nicht anders, als vorsichtig über ihre Haut zu streichen. Die Füße waren kalt, trotzdem genoss er es. Sie legte ihre Hand auf seine Schulter. Vorsichtig streifte er ihr die Hausschuhe über.
Als die Maschine aufgewärmt war, nahm er den Doppel-Siebträger, hielt ihn unter die Kaffeemühle und ließ die voreingestellte Menge Kaffeepulver hineinrieseln. Tamper andrücken, kurz flushen, Siebträger eindrehen, los ging’s.
Zu seinem Erstaunen schien Hanna den Espresso wie ein besonderes Erlebnis zu genießen. War das die »neue« Hanna? Sie kannten sich seit langer Zeit, seit ihrer Jugend. Er überlegte kurz: Damals musste er 14 oder 15 Jahre alt gewesen sein. Er hatte die Sommerferien bei seinen Großeltern in Weimar verbracht. Hanna Büchler hatte nebenan gewohnt. Etwa 45 Jahre war das her. Füreinander bestimmt waren sie schon immer, so jedenfalls Hendriks Ansicht, aber ein wirkliches Liebespaar wurden sie erst vor 12 Jahren, kurz vor den stürmischen Ereignissen, die sie zwangen, Weimar zu verlassen.
Hendrik stand mit seiner Espressotasse neben dem Kühlschrank, er wollte sich nicht setzen. Er warf einen Blick auf die Zeitung, die ungelesen und zusammengefaltet auf dem Küchentisch lag. Immerhin hatte Hanna sie aus dem Briefkasten geholt. Er schielte auf die Titelseite und dachte an die junge Frau aus Wetzlar, die sich das Leben genommen hatte. Er durfte nicht abschweifen, Hanna war der Fokus seines Daseins.
»Möchtest du etwas essen?«, fragte er.
»Nein, danke!«
»Ella hat dir Pralinen geschickt.«
Sie nickte.
Er öffnete die Pralinenschachtel und stellte sie neben Hanna. Sie rührte keinen Finger.
»Du kannst ruhig ins Büro gehen«, sagte sie.
Meine Güte, dachte Hendrik, welche Aufmerksamkeit. Sein unruhiges Herumstehen hatte sie als Aktivitätsdrang interpretiert. Er war froh, dass sie ihre Empathie nicht verloren hatte.
»Danke, Schatz, ich will kurz etwas nachsehen. Dann muss ich los in die Uni.«
Sie lächelte.
Hendrik schlürfte seinen Kaffee, stellte die Tasse ab, verließ die Küche und fuhr den PC hoch. Es handelte sich nur um eine vage Idee, eine Ahnung, eine Befürchtung, die sicher schnell geklärt war. Er öffnete den Internetbrowser und gab in das Suchfeld »Wetzlar, Unfall, Tod« ein. Mit zitternder Hand drückte er die Entertaste.
Junge Frau von Zug getötet
Die 28-jährige Lotte S. wurde am 2. Oktober früh um 5.35 Uhr vom Regionalexpress in Richtung Gießen überrollt. Der Zug hatte wenige Minuten zuvor den Bahnhof Wetzlar verlassen und befand sich in den Lahnauen bei Garbenheim. Warum sich die Frau dort aufhielt, ist unklar. Der Zugführer konnte Lotte S. wegen der Dunkelheit und ihrer schwarzen Kleidung erst im letzten Moment erkennen und den Zug trotz eingeleiteter Notbremsung nicht rechtzeitig zum Stehen bringen. Die Polizei geht von einer Selbsttötungsabsicht aus.
Lotte S. – er spürte einen Schwindel aufkommen. Lotte aus Wetzlar. Der Zweifel an einem Suizid sprang ihn förmlich an. Schnell suchte er nach Todesanzeigen und fand sie sofort: »Unsere geliebte Tochter …« Ihr Name war Lotte Amelie Schneider. Sie stammte aus dem Wetzlarer Stadtteil Blasbach.
Es fiel Hendrik schwer, sich vom Computerbildschirm zu lösen. Er erhob sich, um nach Hanna zu schauen. Sie stand im Bademantel auf dem Balkon und bewegte sich nicht. Auch Hendrik wagte kaum, sich zu bewegen, jedoch eher gedanklich als körperlich.
*
Benzodiazepine
Weimar, Montag, den 13. Oktober, morgens
Siegfried Dorst betrat die Kriminalpolizeistation Weimar. Schon eilte ihm Kriminalkommissar Julian Täntzer mit schnellen, kurzen Schritten entgegen. Er wirkte so jung und unbedarft, als sei er gerade vom Schulhof herübergekommen, um ein Praktikum bei der Polizei zu absolvieren. Täntzer wedelte aufgeregt mit einem Blatt Papier. »Guten Morgen, Herr Dorst! Hier ist der Laborbericht, Frau Becker hatte bei ihrer tödlichen Fahrt keinen Alkohol im Blut, null Komma null!«
Dorst sah sich verstohlen um. »Langsam, Täntzer, lassen Sie uns in Ihr Büro gehen, es muss ja nicht jeder wissen, dass ein pensionierter Polizeibeamter Sie unterstützt!«
»Das ist mir egal, aber gut, kommen Sie rein. Kaffee?«
»Ja, gerne.«
Täntzer schloss die Tür hinter ihnen und riss die Kanne so heftig aus der Kaffeemaschine, dass die braune Brühe auf den Teppich schwappte. Er verteilte den Fleck großzügig mit seinem Schuh, goss beiden ein und setzte sich.
»Da, schauen Sie!«
Siegfried Dorsts Augen flogen über den Bericht. »Das heißt, im Labor wurde nur der Alkoholgehalt im Blut bestimmt?«
»Nein, auch Aufputschmittel, die üblichen Substanzen, auf der Rückseite.«
Dorst drehte das Blatt um. Kein Nachweis von auffälligen Substanzen im Blut von Wilhelmine Becker.
»Sie brauchen noch einen Test auf Benzodiazepine.«
Täntzer hob den Kopf. »K.-o.-Tropfen?«
»Genau. Und Medikamente, die die Fahrtüchtigkeit einschränken. Beides könnte zum Unfallhergang passen.«
»Stimmt, aber mehr hat er nicht freigegeben.«
»Der Herr Kriminaldirektor?«
»Ja. Germer sitzt in seinem Büro in Jena, ich soll hier die Arbeit machen und er wirft mir Äste zwischen die Beine oder wie das heißt.«
Dorst lächelte. »Sie meinen