Mord im Wendland. Klaas Kroon
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Читать онлайн книгу Mord im Wendland - Klaas Kroon страница 10
Der Keller. Dieses Haus hatte doch sicher einen Keller, vermutlich als Kühlkammer genutzt. Sabine stürmte die Treppe hinunter. Sie war wie besessen von dem Gedanken, hier noch eine lebende Seele zu finden. Am Ende des Flures im Erdgeschoss entdeckte sie, was sie suchte. Eine in den Boden eingelassene Klappe aus massivem Holz. Sie versuchte, die Klappe anzuheben, doch sie war mit einem Stahlbeschlag und einem Vorhängeschloss an der Wand versperrt. Sabine zögerte nicht lange, setzte die Pistole an und schoss. Es gab einen infernalischen Knall und das Schloss war gesprengt. Brocken von Putz und Holzsplitter verteilten sich auf dem Flurboden.
Die Klappe war schwer, und Sabine hatte Mühe, sie zu öffnen. Kalte, feuchte Luft wehte ihr entgegen. Es roch faulig, der typische Geruch alter Keller. Vorsichtig stieg Sabine die steile Treppe, eigentlich eher eine Leiter, hinunter. Wie erwartet erschien der Keller kleiner als das gesamte Haus. Der Gang endete nach wenigen Metern. Drei Türen befanden sich hier und eine frei zugängliche Öffnung. Darin war eine alte Ölheizungsanlage mit einem Tank untergebracht. Sie wirkte trocken und verstaubt. Es roch auch nicht nach Öl. Vermutlich war die Zentralheizung seit Langem kaputt. Das erklärte auch den Stapel mit Brennholz an der Wand. Hinter zwei der Türen fand Sabine Vorräte. Eingekochtes Obst und Gemüse, eine Kartoffelkiste mit wenigen ausgekeimten Kartoffeln, verstaubte Weinflaschen. In einem Regal waren Konservendosen aufgereiht. Sie waren nicht so verstaubt. Tomaten, Sauerkraut, rote Bohnen, grüne Bohnen und vieles mehr. Sechs Flaschen mit Speiseöl. Im Regal daneben stapelten sich gut 20 Papppackungen mit verschiedenen Nudeln. Außerdem große Plastikbeutel mit Reis. Mindestens zehn Stück mit je fünf Kilo Inhalt. Ein Sack mit getrockneten Kichererbsen, einer mit Linsen. Verhungern würde auf diesem Hof so schnell niemand, dachte Sabine.
Die letzte der Türen war aus Stahl und sicher lange nach der Errichtung des Bauernhauses eingebaut worden. Sie war mit einem dicken Riegel verschlossen, der ebenfalls mit einem Vorhängeschloss versperrt war. Wenn sich ein Kind, oder wer auch immer, in diesem Haus versteckte, dann sicher nicht dahinter. Es sei denn, der Mensch ist eingesperrt worden.
Sabine wollte dieses Geheimnis lüften, bevor die Kollegen eintrafen. Was war es, was sie da trieb? Der Minderwertigkeitskomplex einer Dorfpolizistin? Wollte sie mit am großen Rad drehen, obwohl das in ihrem Dienstplan nicht vorgesehen war? Ja. Vermutlich. Die Kollegen von der Polizeidirektion Lüneburg würden meckern, mehr aber auch nicht.
Hier im Keller war der Schuss noch lauter, und es klingelte Sabine in den Ohren. So hörte sie die Geräusche vor dem Haus erst spät. Motoren, Stimmen, Schritte. Der Lärm eines Hubschraubers, der über den Hof flog. Jemand polterte die Treppe hinunter.
Sabine blickte in die Mündung einer Maschinenpistole, die ein vermummter und behelmter Beamter ihr entgegenstreckte. Zwei weitere Männer im gleichen Outfit drängten sich hinter ihm. Als der SEK-Mann realisiert hatte, dass er es mit einer uniformierten Kollegin zu tun hatte, senkte er die Waffe.
»Was zum Teufel machen Sie hier?«, rief der Beamte wütend. Seine Stimme klang dumpf durch die Maske. »Ich hätte beinahe geschossen.«
»Haben Sie aber nicht, weil Sie ein erfahrener und besonnener Beamter sind. Danke dafür«, sagte Sabine und lächelte. »Ich bin Polizeiobermeisterin Sabine Langkafel von der Polizeistation in Gartow. Ich habe die beiden gefunden.«
»Welche beiden meinen Sie?«, fragte der Mann, der seine Sturmhaube nun so weit heruntergezogen hatte, dass Sabine sein junges, freundliches Gesicht erkennen konnte. »Die oben im Flur oder die in Ihrem Streifenwagen?«
»Genau genommen alle vier. Ist ne lange Geschichte. Ich sehe mich hier gerade um und in diesem Raum war ich noch nicht.«
»Was glauben Sie denn, dort zu finden?«, rief eine Frauenstimme von der Kellertreppe. Eine Frau um die 40 in Zivil stieg die Stufen hinunter und zwängte sich an den SEK-Beamten vorbei. Es war Melanie Gierke von der bei Verbrechen dieser Größenordnung zuständigen Polizeidirektion in Lüneburg. Eine legendäre Polizistin. Jeder kannte sie. Sabine hatte in ihrer Lüneburger Zeit nie mit Morden zu tun gehabt, deshalb war sie ihr nur einmal eher zufällig begegnet. Die Gierke erinnerte sich bestimmt nicht an Sabine. EmGe, wie sie hinter vorgehaltener Hand genannt wurde, eilte der Ruf voraus, genial, effizient und verdammt unfreundlich zu sein.
»Äh, guten Abend, Frau Gierke«, stammelte Sabine, die sich augenblicklich fühlte wie eine Schülerin, die unerlaubt den Pausenhof verlassen hatte. »Es deutet einiges darauf hin, dass ein Kind in diesem Haus lebt. Vielleicht versteckt es sich irgendwo.«
»Hinter Türen, die man aufschießen muss?«, fragte EmGe und lachte höhnisch. Sie war so groß wie Sabine, etwas fülliger und hatte sehr kurze wasserstoffblonde Haare. Sie war ungeschminkt. Bekleidet war die Gierke mit einem blaukarierten Flanellhemd, das nur am Bauch in der Hose steckte, und einer hellblauen Jeans. »Na, dann lassen Sie uns mal gucken, ob das Kind da drin ist«, sagte Melanie Gierke.
Sabine entfernte das zerschossene Schloss und schob den schweren Eisenriegel nach oben. Die Stahltür ging nach außen auf, sodass alle ein paar Schritte zurücktreten mussten. Dann leuchtete Sabine in den Raum.
»Ach du Scheiße«, entfuhr es Sabine und EmGe nach einigen Sekunden gleichzeitig.
Kapitel 6
»Ey, Kiste, das war doch schon wieder ein Schuss, haste das gehört?«
Olaf war fast eingeschlafen, als ihn der Knall erschreckt hatte. Es war warm und stickig im Streifenwagen, das Beifahrerfenster stand nur einen schmalen Spalt offen. Da kam nicht viel Luft herein.
»Ja, klar habe ich das gehört. Was ballert die da rum? Meinste, die braucht Hilfe?« Karsten versuchte, die Autotür aufzumachen, doch die war natürlich verriegelt.
»Du willst der Polizei helfen? Da muss ich aber lachen, Kiste, echt jetzt.«
»Wieso schießt die da rum? Da war doch keiner mehr. Jedenfalls keiner, auf den man noch schießen muss.« Nach einer kurzen Pause rief er: »Scheiße, ich brauch ne Kippe.«
Der Kerl ging Olaf auf die Nerven. Sie saßen schon zu lange zusammengepfercht in diesem Streifenwagen. Das war heute entschieden zu viel Kiste für Olafs Geschmack. Vor allem, wenn es nichts zu saufen gab. Kistes Gelaber war auf Dauer nur mit Alkohol zu ertragen. Ebenso genervt war Olaf von dieser durch und durch misslungenen Aktion. Sie hatten keinen Wolf geschossen und saßen trotzdem in einem Polizeiwagen. Die 5.000 Euro waren zum Teufel. Eine zweite Chance würde der Bauer ihnen nicht geben. Außerdem würden ihm die Bullen sicher die Flinte abnehmen. Eine satte Geldstrafe stand ihm auch bevor. So ein Mist. Er war total pleite.
In diesem Moment wurde es laut. Eine Menge Fahrzeuge mit Blaulicht kamen auf den Hof gerast, über ihnen ratterte ein Hubschrauber. Der würde hier nicht landen können, dachte Olaf.
Eine Gruppe bewaffneter und mit schusssicheren Westen, Helmen und Helmlampen ausgestatteter Männer, wie sie Olaf nur aus dem Fernsehen kannte, rannte auf das Haus zu. Einige der Männer glotzten im Vorbeilaufen in den Streifenwagen.
»Wir müssen ihnen das von dem Kind erzählen«, sagte Olaf schließlich. Er war so durcheinander gewesen, dass er der Polizistin seine Beobachtung verschwiegen hatte.
»Was für ein Kind?«,