Mörderisches aus Sachsen. Petra Steps
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»Der Knabe hat seinen Vater von der Straße abgedrängt, worauf dieser sich überschlagen hat und an der Unfallstelle verstarb. Zeugin ist Birgit, die Lebensgefährtin von Erwin. Der Notarzt hat sie ins Annaberger Krankenhaus bringen lassen. Mir kam der BMW entgegen. Er ist mir aufgefallen, weil er die Kurve schnitt. Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr mit Todesfolge. Vielleicht Mord. Das Motiv? Er hat seinen Vater angezeigt wegen Beihilfe zum Mord, um an das Erbe zu gelangen. Wir ermitteln in der Sache bereits. Vielleicht ging es ihm nicht schnell genug. Oder er hat kein Vertrauen in die sächsische Polizei.«
»Ok, ich gebe das an die Kollegen durch. Ich hoffe, es reicht für einen Haftbefehl«, sagte Olis Mitstreiter. Oli ging die paar Schritte zur Unfallstelle zurück und vergewisserte sich, ob alles den bei derartigen Unfällen vorgeschriebenen Lauf nahm.
Der Bestatter hatte seinen Transporter an der Straße abgestellt. Er lief über das Feld, um sich einen Überblick zu verschaffen und von den Beamten die Papiere für den Transport des Toten zu übernehmen. »Hier können wir nicht heranfahren. Wir kommen mit der Trage und einer Unfallhülle«, erklärte er. Und nach einem Blick auf das Unfallopfer: »Kann uns jemand beim Tragen helfen?« Einer der Beamten der Verkehrspolizei sagte sofort zu.
»In die Rechtsmedizin nach Chemnitz. Ich informiere den Bereitschaftsdienst«, sagte Oli zum Bestatter, der sich auf den Weg zum Auto begab, um seinen Kollegen und die notwendigen Utensilien zu holen.
Es war Zeit für Oli, zu Hause anzurufen. »Adina, ich komme später. Wir sind bei Mildenau. Ein Unfall.«
»Oh Mist, ich habe Rumpsteak gekauft. Ruf mich an, wenn du auf dem Heimweg bist. Ich will das Fleisch nicht totbraten. Mildenau? Sag nicht, dass dein früherer Kollege beteiligt, nein, das Opfer ist.«
»Adina, woher weißt du das schon wieder?«
»Die Fleischverkäuferin, Liane. Sie hat zu einer Kundin gesagt, dass da bestimmt etwas Schlimmes passiert mit dem Sohn und Erwin. Sie hätte so ein Gefühl.«
»Die Gefühle einer Fleischverkäuferin. Aha. Es ist schlimmer, als du denkst. Ich will dir nicht den Appetit verderben, aber ich glaube, blutiges Rumpsteak ist heute nicht das Richtige für mich. Ich liebe dich. Bis dann.«
Oli fuhr zurück nach Mildenau in Birgits Haus und suchte die Dinge, die sie sich für den Krankenhausaufenthalt gewünscht hatte. Ohne Mühe fand er alles, was sie ihm aufgetragen hatte. Ein Umschlag auf dem Küchentisch erregte seine Aufmerksamkeit. Da er offen war, zog Oli das Schreiben heraus. »Aha«, sagte er zu sich.
Im Annaberger Krankenhaus eingetroffen, fragte sich Oli zu Birgit durch. Sie saß auf einem der beiden Stühle am Tisch ihres Einbettzimmers und tippte auf dem Telefon herum. »Mah-Jongg, zur Entspannung«, sagte sie zu Oli. »Ich will an nichts denken.«
»Schauen Sie, ob ich alles habe. Hier ist der Schlüssel. Ich glaube, Sie sind mir eine Erklärung schuldig.«
Birgit begann vor sich hin zu sprechen, ohne Oli anzuschauen. »Es existiert ein Testament. Sie haben es sicher liegen sehen auf dem Küchentisch. Erwins Erbe geht an mich. Den Pflichtteil dürfte sein Sohn heute verwirkt haben. Dabei hat Erwin gerade letzten Sonntag zu mir gesagt, dass er mit ihm sprechen und ihm ein Angebot machen wolle. Ich weiß eh nicht, was ich mit dem ganzen Grundbesitz soll. Am Ende werde ich es verkaufen müssen. Erwin hatte gestern mit seinem Sohn telefoniert. Es ging um Schulden, die der Auswanderer bei seinem Spanienabenteuer aufgehäuft hatte. Der hätte nur ein wenig Geduld haben müssen …«
»Danke, das habe ich aber nicht gemeint. Mich interessiert die Sache mit Erwin und Ihrem früheren Mann. Sie haben oben auf dem Feld etwas gesagt.«
»Ja. Alles lief so ab, wie es damals in der Akte vermerkt wurde. Nur dass Erwin ein bisschen nachgeholfen hat. Er war zufällig in der Wohnung und wollte mit Manfred sprechen, nachdem ich ihm im Revier von den Misshandlungen berichtet hatte. Manfred war wieder einmal blau. Plötzlich sackte er zusammen. Wir dachten, es sei der Alkohol. Im Affekt nahm Erwin die Flasche vom Tisch und flößte ihm zusätzlich eine ordentliche Portion mit ein paar Schlaftropfen ein. Damit wollte er verhindern, dass es wieder mit Schlägen endet. Ich schleifte Manfred zum Bett, wie so häufig, wenn er besoffen war. Erwin war inzwischen gegangen. Den Rest wissen Sie. In der Nacht röchelte Manfred ziemlich laut, und ich rief den Notarzt. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass es mit einem Mal still um mich herum geworden war. Als der Arzt draußen bei uns eintraf, war der Säufermond für Manfred ein letztes Mal untergegangen, für immer. Eigentlich wollte ich all das vergessen. Auf einmal kehrte Erwins Sohn zurück, und ihm folgte Gerede in der Stadt, die Liane und dann die Vorladung auf das Revier. Wissen Sie, wie das ist, wenn man jahrelang vom eigenen Mann misshandelt, geschlagen, vergewaltigt wird und einem keiner hilft, obwohl die Leute rundherum genau Bescheid wissen? Erwin war der Erste und Einzige, der sich um mich gekümmert hat. Und jetzt lassen Sie mich bitte allein. Ich habe nichts getan.«
Es war schon spät, als Oli die Tür zu seiner Wohnung aufschloss. Er setzte sich in den Sessel. »Birgit muss eine Aussage im Revier machen. Dann kann ich die Akte schließen. Der Rest ist Sache der Staatsanwaltschaft. Wenn du erst am Dienstag nach Berlin fährst, begleite ich dich.«
Adina schaute erstaunt auf. Ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. »Ok, dann sage ich meinen Eltern, dass ich nicht allein komme. Du bist ein Schatz!«
2 Das Auto im Schlossteich
Chemnitz
»Da bin ich.« Adina warf ihre Tasche schwungvoll auf den Tisch im Besprechungszimmer der Berliner Marketingagentur. Dann zog sie ihre Jacke aus und hängte sie über den Stuhl.
»Wir sind hocherfreut, dass du uns die Ehre gibst, wo du doch gerade von der Berliner Pflanze zum Erzgebirgsmädel werden willst. Herzlich willkommen«, begrüßte Markus seine Mitarbeiterin. Seit Corona im Land gewütet hatte, verzichtete Adina auf die freundschaftliche Umarmung und winkte Markus stattdessen zu. Sowohl Berlin als auch das Erzgebirge hatten lange Zeit einen vorderen Platz in der Infektionsstatistik eingenommen. Die Vorsicht war zum Alltag geworden.
Markus hatte seinen Laptop angestöpselt und eine Deutschlandkarte an die Wand geworfen. Sie zeigte den Stand der Arbeiten für das Tourismusportal, das die Agentur aufgebaut hatte. Adina sah weiße, rote, grüne oder gelbe Flächen und wurde ganz still. »Du, Markus, ich möchte dir Danke sagen. Die Entscheidung, mich weiter in Sachsen arbeiten zu lassen, ist dir sicher nicht leichtgefallen angesichts der vielen weißen Flecken. Ich bin froh, dass du mich nicht in die Pfalz oder die Eifel schickst.«
»Schau auf die gelben Flächen im Erzgebirge. Hier musst du sicher einiges überarbeiten und auf den neuesten Stand bringen. Und rundherum hast du ein breites Betätigungsfeld.«
»Ich war schon zu ein paar Recherchen unterwegs und muss nur noch den Computer füttern. Parallel dazu werde ich erste Informationen zu den neuen Orten sammeln. Du hast doch sicher gehört, dass Teile des Erzgebirges inzwischen zum grenzüberschreitenden UNESCO-Welterbe Montanregion Erzgebirge/Krušnohoří erklärt wurden. Wir können also einiges für uns entdecken. So ganz richtig scheinen mir die Erzgebirger noch nicht aus den Puschen gekommen zu sein, aber vielleicht kann ich ein wenig nachhelfen. Wenn erst die Besucher strömen, wird sich manches bewegen.«
»Ich glaube, Corona hat sich da sogar positiv ausgewirkt. Der Trend zur Rückbesinnung auf Urlaub in Deutschland ist