Mörderisches vom Niederrhein. Regina Schleheck

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Mörderisches vom Niederrhein - Regina Schleheck

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Theke, das sich bei näherer Betrachtung als Sparbuch entpuppte. Jemand hatte es gelocht und mit mehreren Schnitten versehen. Ich klappte es auf und registrierte regelmäßige monatliche Eingänge über die Jahre 1990 bis ’94 von um die 500 Euro – und einen Betrag von knapp 20.000 Euro, letzte Woche abgehoben, woraufhin das Sparbuch aufgelöst worden war. Ich blätterte zurück: Erwins Name.

      »Und?«, fragte ich.

      Lars schnaubte. »Mein Geld. Er hat es mir immer wieder gezeigt und gesagt, er zahlt meinen Unterhalt da ein. Ich dürfte es meiner Mutter nicht verraten, der gegenüber er behauptete, er könnte nichts für mich abdrücken. Er wollte nicht, dass sie es sich unter den Nagel reißt. Mir stattdessen damit das Studium finanzieren.«

      »Und jetzt?«

      »Ich hab ihm wie vereinbart das Zeugnis gezeigt, und er hat mir das Sparbuch ausgehändigt. Es täte ihm leid, aber er hätte das Geld selbst dringend gebraucht.«

      »Wofür?«

      »Meinst du, das hätte ich gefragt?«, meinte Lars. »Der hat mich jahrelang beschissen – wie er meine Mutter beschissen hat. Und ich hab ihn gedeckt und ihm sogar dabei geholfen – du genauso!«

      »Hä?«

      »Überleg mal, was wir für den aus dem Boden geholt haben! Der hat das samt und sonders versilbert. Und mir erzählt, dass er es für mich anlegt!«

      All die Jahre haben wir uns weiterhin getroffen. Und gesoffen. Und gewettet. Soweit es ihn selbst anging, ließ Lars sich dadurch nicht herausfordern. Er hat nie studiert. Seine Ausbildung nicht beendet. Aber auch wenn unsere Welten auseinanderdrifteten – er blieb mein bester Kumpel.

      *

      Genau genommen hatten wir es ja Leander zu verdanken. Er war der Hero. Der König. So hatte er sich zumindest vorgestellt: Leander König. War mit Moped und Fässchen Köpi an unserem Grillplatz vorgefahren, weil er sich just da, wo wir uns nach der Bootstour ein paar Würstchen einverleibten, sinnlos besaufen wollte. Sein großzügiges Angebot, das Fässchen mit uns zu teilen, nahmen wir – nichts Böses ahnend – an, bereuten es schon nach der ersten Runde, als er anfing, uns einen vorzuheulen von seiner Schlampe drüben in Alt-Homberg auf der anderen Rheinseite und ihrer Mischpoke. Er hatte sie geschwängert. Leider stellte sich nachher raus, dass sie ihn angelogen hatte und erst 15 war. Ihre Familie fand das gar nicht witzig. Er kriegte Haus- und Kontaktverbot, und sie sollte abtreiben. Das war zumindest der Plan der Eltern. Aber im Zeitalter von Handys und Internet konnte kein Stubenarrest verhindern, dass die beiden sich kurzschlossen. Leander machte ihr einen Heiratsantrag und danach unter Berufung auf Paragraf 1303 BGB Absatz 2 eine Eingabe beim Familiengericht auf Zustimmung, die die Einwilligung der Eltern erübrigte, sobald sie 16 würde. Am nächsten Tag war wohl ihr Geburtstag. Die ganze nichtsahnende scheinheilige Familie saß drüben im Restaurant Rheingarten und futterte sich die Wänste voll, um um Mitternacht mit dem missratenen Kind anzustoßen. Klar, dass er nicht zur Feier eingeladen war. Stattdessen soff er sich gegenüber auf der Landzunge der Ruhrmündung im Schatten der Rheinorange-Skulptur die Hucke voll und erkaufte sich unser Wohlwollen mit einer Runde nach der anderen und feurigen Ansprachen. Mit steigendem König-Pilsener-Pegel wurde er immer größenwahnsinniger. Ob wir wüssten, was sein Name bedeute? »Du bist der König!«, grölten wir im Chor. Er wehrte ab. Klar war er der König. Aber der Leander König! Leander komme von »leon«, dem Löwen, und »andros«, dem Mann. »Du bist der Löwe, Mann!«, schrien wir. Na, und darum lasse er es sich jetzt auch nicht nehmen, seiner Süßen zum Geburtstag zu gratulieren.

      »Wie willst du denn da rüberkommen?«, fragte ich. »Auf dein Moped solltest du dich besser nicht mehr setzen.«

      »Ich schwimme«, sagte er, und wir lachten uns mindestens eine Viertelstunde lang schlapp. Mit dem Mut eines Löwen besoffen in die Fluten des Rheins! Wenn das keinen Kater gäbe!

      Als klar war, dass er es tatsächlich ernst meinte, habe ich mit ihm gewettet. Dass er es nicht schaffen würde. Ich war ein erstklassiger Schwimmer und kannte den Rhein gut genug, dass ich mir diese Aktion nicht zutraute. Daher sollte uns Lars mit dem Botchen begleiten. Wir hatten das Teil ein paar Stunden vorher an der Anlegestelle an der Straße Am Bört kurz vor dem Landzipfel aufs Trockene gezogen, von wo aus wir am nächsten Morgen zurückfahren wollten. Die Wette lautete, dass Leander niemals das andere Ufer erreichen würde und auf jeden Fall weniger weit käme als ich. Ich war von uns dreien mit Sicherheit der Nüchternste und auch alkoholisiert der Vernünftigste. Schließlich war ich Notar. Und doch immerhin besoffen genug, um mich auf eine derartig bescheuerte Wette einzulassen.

      »Wie heißt deine Süße eigentlich?«, fragte ich ihn, als wir, nur mit Unterhose bekleidet, ins Wasser stiegen. »Hera«, bibberte er, denn nach dem Rumhocken an der Feuerstelle war das Wasser doppelt kalt, »Hera König.«

      »Wieso willsten die noch heiraten?«, bibberte ich zurück, »die trägt doch eh schon deinen Namen.«

      »Es ist der falsche«, grollte er, »der ihrer Eltern. Wir sind beide zwei Königskinder, nur aus verschiedenen Familien!«

      Es war eh zu spät, ihm die Heirat, den Geburtstagsbesuch und die Rheinüberquerung auszureden. Wir hatten um 1.000 Euro gewettet, schriftlich. Mir ging es dabei gar nicht ums Geld. Aber Ordnung musste sein, zumal wenn er es nachher möglicherweise nicht mehr würde bestätigen können. Er hatte nicht alle Tassen im Schrank. Das stand mal fest, und es ging um nicht mehr und nicht weniger, als dass er das zugab. – Wie konnte ein erwachsener Mann einem verlogenen minderjährigen Gör derartig verfallen? Hera König. Fast so schön wie Hera Lind. Die reinste Schmonzette. Leander auf dem Weg zu seinem Nymphchen! Und ich Idiot hatte mich darauf eingelassen. – Jetzt ging es ums nackte Überleben!

      Es war nichts los auf dem Rhein. Nur der Mond war unser Zeuge. Und der guckte eher griesgrämig aus den Wolken. Okay, bei Schiffsverkehr wären wir ja gar nicht losgeschwommen. In dem Moment hätte ich mir allerdings den einen oder anderen Bootsmann gewünscht, der unseren Weg gekreuzt und uns aus dem Wasser gefischt hätte, bevor wir einer Melusine oder Undine, oder wie sie alle heißen, anheimfielen. Oder einem Fisch? Moby Dick fiel mir ein. Der weiße Wal. 1966 bei Duisburg, 300 Kilometer vom Meer entfernt, er schwamm fast bis Koblenz. Zuletzt bei Hoek van Holland gesichtet. Er musste den Weg zurück ins Meer gefunden haben. Dass wir unseren Weg ans andere Ufer fanden, schien angesichts der Strömung, die an uns riss, immer unwahrscheinlicher. Wo war Leander abgeblieben?

      Ehe ich endgültig mit dem Leben abschloss, unternahm ich einen allerletzten Versuch, mich unserem Beiboot zu nähern, und der Wellengang war mir gewogen. Ich kriegte die Bordwand zu fassen und konnte mich festklammern. Lars hing an der anderen Seite, keuchte und spuckte.

      »Alles klar, Kumpel?«, rief ich aufmunternd rüber.

      »Nie war ich so nüchtern wie heute!«, stöhnte er. Ich habe die Gelegenheit genutzt, ihn zu fragen, wie er es mit seinem Testament halte. Sollte ich dieses Abenteuer überleben – und ich schätzte meine Chancen höher ein als seine –, würde es einiges zu regeln geben. Das ist ja nun mal mein Job. Ich will jetzt nicht sagen, dass ich bei meinem Freund Kundenakquise betrieb. Ich denke, es ist psychologisch nicht verkehrt, wenn man so kurz vor dem Hopsgehen Klarschiff macht. Viel war ohnehin nicht bei ihm zu holen, dennoch fragte ich die Eckdaten ab. Außer der Mutter und dem Stiefbruder war niemand mehr da, den er bedenken konnte. Abgesehen von ein paar Haushaltsgeräten gab es nur das Botchen. Und wie es aussah, würde das früher oder später an einem der Pfeiler der Friedrich-Ebert-Brücke oder spätestens der Beeckerwerther Brücke am Emscherschnellweg geschrottet. Wir inklusive. Die Rheinüberbauung war in Sichtweite gerückt, und es handelte sich um keine freundliche Annäherung. Wir fixierten die Brücke wie Kaninchen die Schlange und wünschten, es wäre umgekehrt.

      *

      Gar

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