Mörderisches vom Niederrhein. Regina Schleheck
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Der Auslöser der Detonation blieb unklar. Die Schiffsladung – Bitumen und Schweröle – war, bevor der Tanker in die Werft gebracht wurde, vorschriftsmäßig gelöscht worden. Die Ursache daher rätselhaft. Gas? Woher sollte es kommen?
Man suchte das Hafenbecken ab. Fischte im vier Meter tiefen Wasser im Trüben. Trotz der geringen Strömung war durchaus denkbar, dass der Körper durch Schiffsbewegungen abgetrieben war. Polizeiboote fuhren tagelang den Rhein ab.
Erwin blieb verschwunden.
*
Der Gedanke, dass unter uns eine Leiche im Strom liegen mochte, die sich vielleicht irgendwo verfangen hatte, stimmte mich nicht zuversichtlicher. Bis – ja, bis wir plötzlich ein Motorboot hinter uns hörten. Es war Leander. Und er war nicht allein. In null Komma nichts hatten sie uns aus den Fluten gefischt, das Boot vertäut, wir kriegten warme Wolldecken und das Maul nicht mehr zu, während Leander uns seine Story erzählte.
Natürlich war er heillos abgesoffen! Aber immerhin hatte er seine Süße vorher per Whatsapp informiert. Und die war Kind genug, es ihren Eltern brühwarm zu erzählen. Woraufhin Vater König samt seinem trächtigen Balg sofort die Geburtstagsparty verlassen und mit einigen zufällig anwesenden Mitgliedern des Homberger Ruderklubs Germania zu deren Bootshaus an der Schifffahrtschule geeilt war, um den Untergang seines Schwiegersohns in spe live zu erleben. Und natürlich hatte er ihn mit Heras Hilfe und der der Ruderkumpane trotzdem rausgefischt, als sie ihn fanden. Irgendwie muss es ihm imponiert haben, dass dieser Idiot das Leben für sein Töchterchen aufs Spiel gesetzt hatte.
So konnte es auch gehen.
*
Fast ein Jahr war damals verstrichen, als wir uns zum Grillen verabredet hatten. Am Fuß der Rheinorange-Skulptur, gleich hinter den Buhnen, auf denen wir als Teenager geangelt hatten. Das Angeln hatten wir nie mehr aufgenommen. Aber ein anderes Hobby gelegentlich gemeinsam gepflegt: Mit Metallsonden das Rheinufer, die Brachen rund um die großen Industrieanlagen, das Gelände um den Bahnhof und natürlich die Gegend um die Werften abzusuchen. Ich hatte mir zwei richtig gute Detektoren zugelegt. Und mir einiges angelesen, vor allem die Sicherheitsbestimmungen studiert. Und Kartenmaterial. Ich ging es systematisch an. Entsprechend wurden wir fast immer fündig. Nicht immer legten wir selbst Hand an, wenn klar war, was wir freigelegt hatten oder im Begriff waren freizulegen. Bei den richtig großen Oschis alarmierten wir die Polizei. Die immer wieder komplette Stadtteile evakuierte, im letzten Jahr Beeckerwerth und Neuenkamp. In Duisburg war 1944 tüchtig was runtergekommen, insbesondere im Oktober durch alliierte Bomber. Doch auch die Kesselschlacht hatte Spuren hinterlassen. Rund 1.500 US-Soldaten waren dem Kampf um das Ruhrgebiet noch in der letzten Kriegsphase Anfang 1945 zum Opfer gefallen – neben 10.000 Deutschen, Wehrmachtsangehörigen wie Zivilisten. Ganz zu schweigen von den Massenmorden der Gestapo, der Generalfeldmarschall Model hunderte Zuchthausinsassen, darunter politische Häftlinge, Kriminelle und Zwangsarbeiter, in den letzten Kriegstagen zwecks »Überprüfung« – sprich Liquidierung – zuführen ließ. Tausende Jugendliche waren an Panzerfäusten ausgebildet und mit Schusswaffen ausgerüstet worden, deren sie sich entledigt hatten – genau wie die desertierten Soldaten und Parteigenossen beim Einmarsch der alliierten Streitkräfte –, indem sie sie wegwarfen oder im freien Gelände verbuddelten, wo niemand sie zuordnen konnte. Der Duisburger Boden war voller Kriegshinterlassenschaften. Von Munition über Granaten, Gewehre, Patronen, Messer, Parteiabzeichen, Erkennungsmarken, Gürtelschnallen und natürlich auch Münzen fanden wir alles.
Erwin war es nicht nur um Metallschrott gegangen. Er hatte insbesondere Militaria und Drittes-Reich-Devotionalien auf einschlägigen Seiten angeboten. Und er tat das immer noch, wie ich feststellte, als ich mich über ihn schlaumachte. Nach Jurastudium und Zweitem Staatsexamen hatte ich gerade in einem Notariatsbüro angefangen, das ich später übernehmen sollte. Ich traf Erwin eines Tages zufällig vor der Zahnarztpraxis, die im selben Haus untergebracht war, wir kamen ins Gespräch und es gelang mir, ihn dazu zu bewegen, dass ich für ihn ein Testament aufsetzte. Nicht dass er der Mensch war, dem es danach dürstete. Im Gegenteil, ich musste ihn ganz schön um den Finger wickeln. Versprach, es werde ihn keinen Cent kosten, ich täte es gern, aus alter Verbundenheit, erinnerte an unsere gemeinsamen Ausflüge und fragte ihn beiläufig aus. Das Testament war mir ein Anliegen. Tatsächlich war da nicht viel zu holen. Was mir wichtig war: Es gab keine Erben außer Lars. Warum nicht ein bisschen nachbessern? Zumindest, was den Zeitpunkt anging.
Nachdem wir die Formalitäten erledigt hatten, schwärmte ich von unseren Sondengängen, ließ fallen, dass ich heute noch gelegentlich … und da auf etwas gestoßen sei, das ich ihm gerne zeigen würde. Mir selbst sei das zu brisant …
Man sah förmlich das Wasser in seinem Mund zusammenlaufen.
Wir einigten uns darauf, dass ich Besagtes jederzeit in seinem Holzschuppen deponieren könne. Der sei frei zugänglich und dennoch blickgeschützt, sodass mein Fund von Passanten nicht entdeckt werden könne. Er werde ihn begutachten, gegebenenfalls entschärfen und entsorgen.
Was Letzteres anging, machte ich mir keine Gedanken. Es war mir auch egal, ob er lediglich den Metallwert oder den Höchstpreis auf irgendwelchen sinistren Hehler- oder Waffenmärkten erzielte. Gut, im Sinne einer vertrauensbildenden Maßnahme kaufte ich als Erstes über die Seite, auf der er selbst seinen Krempel anbot, eine Granate, die ich Erwin in den Schuppen legte. Als ich ihn nach einer Woche darauf ansprach, hatte ich sie bereits in seinem Warensortiment gefunden. Er erzählte mir, er habe sie dem Kampfmittelräumdienst übergeben.
Lars sagte ich nichts von Erwin, aber ich überredete ihn, dass er das ein oder andere Mal mit mir loszog. Alles, was wir an Waffen entdeckten, barg ich, wenn die Größe und der Zustand es erlaubten, nach allen Regeln der Kunst und legte es im Holzschuppen ab – oder ich verständigte gleich die Polizei. Natürlich ging ich ein gewisses Risiko ein, doch im Gegensatz zu Erwin – da bin ich mir sicher – hatte ich mich sehr gut informiert. Gewiss war er des Lesens mächtig. Viel mehr traute ich ihm allerdings nicht zu. Er war ein Mensch, der sich vor allem durch vermeintliche Bauernschläue auszeichnete und dessen Erfahrungsschatz genau diesen Namen verdiente: die Summe seiner Erfahrungen. Nicht mehr. Ich hingegen musste nicht jede Bombe ausgebuddelt haben, um zu verstehen, wie sie funktionierte. Man kann sich anderweitig schlaumachen. Es ging mir darum, ihn zu fordern. Ihn mit unterschiedlichsten Waffen zu konfrontieren, die er nicht kannte. Man mag das einen Sport nennen. Wer mir bösere Absichten unterstellt, wird wohl nicht ganz falschliegen. Aber ich tat ja nichts, was er nicht wollte. Er sammelte diesen Mist schließlich. Ich habe ihm die Waffen lediglich überlassen. Was er damit machte, war seine Sache. Ich schwöre, es entzieht sich meiner Kenntnis komplett, was an jenem Tag am Hafenbecken B passiert ist. Ja, ich hatte bei ihm am Vortag eine deutsche Elektron-Thermit-Stabbrandbombe abgeliefert, nicht groß, keine 40 Zentimeter, allerdings mit einer zusätzlichen Sprengladung am Kopf, die mit Verzögerung von ein paar