Nacht im Kopf. Christoph Heiden

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Nacht im Kopf - Christoph Heiden страница 4

Автор:
Жанр:
Серия:
Издательство:
Nacht im Kopf - Christoph Heiden

Скачать книгу

Der erste Kuss seit drei Jahren. Doch Frank stellte den Likör ungeöffnet ab und drängte sich neben sie. »Kann ich da mal ran?«

      Erika trat beiseite und er bekam den Flaschenöffner zu fassen. Mit einem Nicken reichte er Tom Kowalski ein Bier über den Tresen und seine Miene rutschte zurück in die alte Form. Tom bedankte sich, legte das Geld auf die Theke und begab sich in Richtung Fensterplatz, ehe Erika ihm ein Hütchen hätte verpassen können. Frank kniete wieder vor dem Kühlschrank und zählte die Flaschen. Erika lehnte sich gegen die Anrichte und kippte sich den Jägermeister hinter die Binde. »Wie oft willst du das noch machen?«

      »Ich hab nur Angst, dass es nicht reicht.«

      »Das sagt ausgerechnet der, der null Bock auf alles hat.«

      »Das verstehst du eh nicht.«

      »Ich versteh nicht, warum du dich nicht amüsierst.«

      Frank starrte unbeirrt in den Kühlschrank, wobei die Schirmmütze sein Gesicht verdunkelte. Sein Haar hatte sich frühzeitig gelichtet, bereits in den ersten Jahren ihrer Ehe. Irgendwann hatte er begonnen, Mützen jedweder Art zu tragen: In seinen 20ern hatte er mithilfe von schwarzen Hüten den coolen Barkeeper markiert, dem war eine Phase hipper Wollmützen gefolgt, die er so weit auf den Hinterkopf geschoben hatte, dass seine letzten Haarsträhnen hervorlugten. Danach hatten Baseballkappen seine Stirnglatze kaschieren und gleichzeitig das Image eines kernigen Truckers bedienen sollen. Während einer Englandreise hatte Erika ihm eine Schiebermütze gekauft, und so war ein Trucker auf die Insel gekommen, um sie als landloser Bauer zu verlassen. Heute ähnelte Franks Kopf einer behaarten Kniescheibe, die er höchstens im Schlafzimmer lüftete. Mit betont ironischem Tonfall fragte sie ihn, ob er einen Taschenrechner brauche.

      Er schloss den Kühlschrank und hievte sich hoch. »Wann kommt eigentlich unser Geburtstagskind?«

      »Jannes und Lotte wollten um sechs hier sein.«

      »Ich hoffe, sein Drache weiß ihn zu bändigen.«

      »Geht das jetzt den ganzen Abend so?«

      Erika sah das Ehepaar Schauder in die Kneipe treten, schnappte sich die Tüte mit den Hüten und Brillen und steuerte geradewegs auf Yvonne zu. Indem ihr Mann zwei Finger hob, signalisierte er Frank seinen Bierdurst, dann drückte er Erika, noch bevor sie ihn oder seine Frau begrüßt hatte, einen Beutel in die Hand. »Stell mal kalt«, sagte Christian und allein das Gewicht des Beutels verriet ihr den Inhalt. Früher hatte Frank die Gäste davor gewarnt, eigene Getränke mitzubringen; doch weil es sich nicht mehr rentierte, ein breit gefächertes Sortiment anzubieten, war aus der Warnung irgendwann ein erhobener Zeigefinger geworden und aus dem Zeigefinger bald ein Schulterzucken.

      Erika hängte sich den Beutel in die Armbeuge und streifte Yvonne ein Papierhütchen über. Mit ihren 40 Jahren zählte ihre Freundin zu den Jüngeren im Dorf. Ihr kräftiges Haar hatte sie hochgesteckt, außerdem trug sie einen knallroten Lippenstift, der die Narbe unter ihrem linken Mundwinkel verblassen ließ. Yvonne nahm Erika die Tüte ab, angelte eine Papierbrille heraus und schob sie Christian auf die Nase. »Jetzt könnte man dich glatt für klug halten.«

      »Wenigstens etwas«, erwiderte er. »Dein Hut nützt dir gar nichts.«

      »Erwartest wohl ’nen Anruf aus Hollywood?«, fragte Erika mit Blick auf sein Smartphone. Er schaltete das Display aus und schob das Handy in die Hose. Auf seinen Unterarmen schimmerte das dunkle Blau seiner Tattoos. Yvonne und Christian pflegten offenbar einen Wettstreit, wer die kleinste nicht tätowierte Stelle am Körper besaß.

      »Ist Rauchen erlaubt?«, wollte Yvonne wissen.

      Erika wackelte unschlüssig mit dem Kopf.

      »Hey, Meister!«, brüllte Christian in Richtung Tresen. »Ist das heut ’n Räucherstübchen?«

      Wie zu erwarten gewesen war, antwortete Frank nicht. Erika meinte zu Schauders, dass sie rasch das Mitbringsel wegschaffen wolle, und rückte hinter die Bar. Während sie den Wodka in den Kühlschrank schob, spürte sie im Rücken Franks Blick, dessen Botschaft nicht eindeutiger hätte sein können. Sie drückte den Kühlschrank wieder zu, wobei ihr das Foto ins Auge fiel. Frank behauptete gern, das Bild habe sein Vater geknipst und ihnen zur Eröffnung der Kneipe geschenkt; in Wahrheit war seine Mutter die Fotografin gewesen, sie hatte das Bild auch gerahmt und in Geschenkpapier verpackt; sein Vater hatte es ihnen lediglich überreicht, im Gesicht ein falsches Lächeln, in seinem Schweigen der blasierte Kommentar, sie müssten selber wissen, auf was sie sich einließen, sie seien erwachsene Menschen und für sich selbst verantwortlich. Nach einem Streit, bei dem der Rahmen zerbrochen war, hatte Frank das Foto an den Kühlschrank angebracht.

      »Hast du die CD?«, fragte sie ihn und hoffte gleichzeitig, er habe ihren Blick auf das Foto übersehen.

      »Die liegt, wo sie immer liegt.«

      Neben der kleinen Kompaktanlage türmte sich ein Stapel CDs. Sie fingerte einen Silberling ohne Hülle heraus und säuberte die untere Seite an ihrem Hosenbein. Frank hatte die Scheibe gebrannt, irgendwann Ende der 90er, und mit einem Edding beschriftet. Das Beste zum Geburtstag. Damals hatte Frank beinahe wöchentlich ein Album erstellt, hatte Songs hin- und hergeschoben, gegeneinander ausgetauscht und jedem Booklet eine lustige Skizze verpasst. Leider hatte von seiner Musikbegeisterung nichts die letzten Jahre überdauert; vermutlich war diese Leidenschaft ebenso verschüttgegangen wie sein Lächeln. Sie legte die CD in die Anlage und erklärte Frank, er müsse bloß auf Play drücken.

      »Kann das nicht jemand anderes machen?«

      »Du bist der Chef, also.«

      »Viel zu melden hab ich anscheinend nicht.«

      Er nickte über den Tresen, und sie wusste sofort, auf was er anspielte. Trotz des Rauchverbots qualmten die Gäste munter drauflos. Frank sprach oft davon, dass die Kneipe zu einem Gemeinderaum verkommen sei und ihn niemand mehr als Chef und Eigentümer wahrnehme. Erika zupfte eine der Papierbrillen aus der Tüte und trat so dicht an ihn heran, dass ein Kuss zwischen ihnen von der Meute unbemerkt geblieben wäre; dann klemmte sie ihm die Bügel hinter die Ohren. In dem Rahmen glichen seine Augen pechschwarzen Samen in einer rosaroten Blüte. Sie riet ihm, einfach an die Zukunft zu denken.

      »Und wenn sie das ganze Projekt abblasen?«

      »Die Sache ist längst unter Dach und Fach.«

      »Politiker können sich umentscheiden.«

      »Die rennen genauso der Knete hinterher wie wir.«

      »Und das verdammte Grundwasser?«

      »Was soll damit sein?«

      »Das brauchen die zur Produktion der Batterien. Wenn das Umweltamt kein Okay gibt, ist es aus und vorbei.«

      »Hat dir das Tom erzählt?«

      »Ja, der ist bestens informiert.«

      »Lass dich von dem bloß nicht vollquatschen.« Sie blinzelte zum Fensterplatz, wo Tom Kowalski allein vor sich hin brütete. Dann schob sie ihm die Mütze aus der Stirn und das Licht offenbarte das Blau seiner Augen. »Das sind alles Hirngespinste. Dumme Verschwörungstheorien.« Sie wandte sich um, konnte nirgends das Geburtstagskind entdecken und gab ihm einen Kuss.

      You Should Be Dancing

      Tom Kowalski ließ sich das Papierhütchen auf den

Скачать книгу