Network. Ansgar Thiel
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»Ins Netz gehen und mit den wiederauferstandenen Netzidentitäten Kontakt aufnehmen, um mehr zu erfahren«, erklärte Di Marco. Es gibt auch noch andere Möglichkeiten, dachte er sich und sah Babic an. Sie schien die Geiselnahme gut verkraftet zu haben, ihrem ironischen Lächeln nach zu schließen. Ihre weißen Zähne kontrastierten schön mit dem sonnengebleichten Haar, das ihr ovales Gesicht umrahmte.
»Di Marco, konzentrier dich«, murrte Hensen. »Es gibt eine Sache, die alles noch zusätzlich erschweren könnte.«
»Komm, mach’s nicht so spannend.«
»Die Netzidentitäten könnten alle auch von nicht-netzarbeitspflichtigen Personen stammen.«
»Und die sind anonym«, schloss Babic, die langsam das Gefühl hatte, dass ihre grauen Zellen wieder funktionierten wie früher.
Sie wusste, dass man sich als Arbeitsloser, wenn man über ein entsprechendes Vermögen verfügte, mit der einmaligen Zahlung einer auf 250.000 Euro festgelegten Summe an die Bundesstaatliche Netzverwaltung und mindestens einer 1,000.000 Euro liquidem Privatvermögen, das jährlich nachgewiesen werden musste, von der virtuellen Arbeitspflicht befreien lassen konnte. Man verlor dabei nicht die Berechtigung, virtuell zu arbeiten oder die Möglichkeiten virtueller Freizeitgestaltung zu nutzen. Man wurde aber nicht mehr kontrolliert.
Babic hatte gehört, dass die von der Netzarbeitspflicht befreiten Reichen deshalb regelrechte Narrenfreiheit im Netz genossen. Sie hatten sogar das Recht auf absolute Anonymität. Beantragte eine solche Person beispielsweise eine Netzidentität, um sich im Netz zu amüsieren oder einer virtuellen Arbeit nachzugehen, dann durfte diese Identität nicht mehr zum Besitzer zurückverfolgt werden, außer die Netzverwaltung hob die Immunität auf, was so gut wie nie geschah.
Die Anonymität ermöglichte den Reichen natürlich einen großen Handlungsspielraum zum virtuellen Ausleben sexueller Neigungen und krimineller Energien. Vor diesem Problem stand die SBBK immer wieder, wenn virtuelle Vergewaltigungen, Körperverletzungen oder Belästigungen auftraten, die nicht zu realen Personen zurückverfolgt werden konnten und die daher nach gängigem Recht ungeahndet bleiben mussten.
»Okay«, Babic fasste zusammen, »wenn wir die Namen der Personen nicht kriegen, dann könnten es entweder unauffällige Networker oder aber Netzarbeitsbefreite sein, die sich im Netz amüsieren wollen. Für unsere Ermittlungen wird dies aber wohl bedeutungslos sein. Oder?«
Sie wartete keine Antwort ab, sondern fuhr fort:
»Jetzt ist mir aber eines noch nicht klar.« Sie lehnte sich zurück. »Warum hat die SBBK in Berlin mit der Sache zu tun? Die Inhaber der eliminierten Netzidentitäten könnten doch von überall herkommen, aus der ganzen Welt?« Babic stellte sich vor, was für ein Aufwand es wäre, durch die ganze Welt reisen zu müssen, um die realen Personen zu befragen.
»Das kommt daher, dass die Netzverwaltung zu einem großen Teil automatisch operiert. Auch bei Computern weiß manchmal die linke Hand nicht, was die rechte tut«, erklärte Hensen. »Wenn gravierende Netzverbrechen geschehen, dann meldet die Netzverwaltung diese Verbrechen automatisch an den SBBK-Bezirk, aus dem die realen Identitäten der Opfer kommen.«
»Obwohl die Identitäten wieder auferstanden sind und deshalb die Auskunft der Namen verweigert wird? Mann, ist das ein komisches System.«
»Exakt.« Hensen hatte schon lange aufgehört, sich über die Praktiken der Netzverwaltung aufzuregen. »Wir erfahren zwar nicht unbedingt, wer geschädigt wurde, was wir aber auf jeden Fall gemeldet bekommen, ist der Bezirk, aus dem die Leute stammen.«
»Und die kamen alle aus Berlin und Umgebung?«
»Genau.«
Hensen richtete sich auf.
»Damit unsere Aufgaben klar sind: Zu versuchen, die realen Identitäten über das Strafregister zu ermitteln, ist eine Pflichtaufgabe, die Di Marco morgen bei der Netzverwaltung erledigt. Falls dies ohne Ergebnis bleibt, wirst du das Verhalten der Netzidentitäten analysieren müssen, damit wir ihre Gewohnheiten und Vorlieben kennen und Strategien entwickeln können, um mit ihnen im Netz Kontakt aufzunehmen.«
Hensen wusste, dass sich das nicht schwierig anhörte. Wer allerdings einmal mit dem Gewirr aus Bürokratie, Filz und Behinderungen zu tun gehabt hatte, das sich vor einem aufbaute, wenn man Virtual-Crime-Fälle untersuchte, dem war klar, dass ein verzwicktes Stück Arbeit auf ihn zukam.
Hensen stand auf und zog ihre Jacke an. Di Marco seufzte, nahm noch einen Schluck Wein, auf den er sich schon die ganze Woche gefreut hatte, und stand ebenfalls auf. Babic blieb nichts anderes übrig, als es den beiden gleichzutun.
»Die Rechnung bitte.« Richie Hensen mochte die Lokale der RYUE, der Rich-Young-Urban-Elite, eigentlich gar nicht. Dennoch gefiel ihr, dass man noch so tat, als würde man tatsächlich mit echtem Cash bezahlen. Kein Abfertigen am Ausgang – Chipkarte rein ins Terminal, Drehtür auf – nein: richtiges Bezahlen, mit Kellner, Rechnung, Creditcard abgeben, Trinkgeld angeben und so weiter. Hensen fühlte sich jedes Mal retro wie in den guten alten Zeiten.
Die ersten Takte des Jailhouse Rock-Refrains erklangen.
Di Marco zog sein Visiophone aus der Tasche. »Was gibt’s, Burger?« Er wandte sich von der Kameralinse ab und zwinkerte Hensen grinsend zu.
»Spinner«, murmelte Hensen.
Je länger das Gespräch, zu dem er allenfalls einen Satz beisteuerte, dauerte, desto angespannter wirkte Di Marco. Schließlich gab er Hensen und Babic ein Zeichen, ihre Jacken anzuziehen.
»Wir sind gleich da, wir bringen Babic mit.«
»Was ist los?«, fragte Hensen beim Rauslaufen.
Di Marco wirkte elektrisiert. »Arthur Mallmann ist ermordet worden.«
»Ui.« Babic hatte, als sie zum ersten Mal wählen durfte, mit ihrem Vater diskutiert, ob man die EPD überhaupt wählen könne. Ihr Vater fand es super, dass endlich das Bürgergeld realisiert wurde. Sie selbst war ziemlich skeptisch gewesen. Mallmann wurde damals Arbeitsminister und nach einer Legislaturperiode von den Medien zum Vater der europäischen Virtual Work ernannt.
Kaum bei der Arbeit und schon ein solcher Hochkaräter.
Rantasten
Hensen, Babic und Di Marco rasten den Stadtring hinunter in Richtung Alexanderplatz, der seit neun Jahren über zwei Wahrzeichen verfügte: den Fernsehturm und das 250 Meter hohe Ludwig-Erhard-Building, in dem die EPD ihre deutsche Zentrale hatte.
Um diese Zeit, es war mittlerweile 19 Uhr, waren kaum mehr Fahrzeuge mit Sonderzulassung unterwegs. Hensen schaffte die Strecke in sieben Minuten.
Nachdem sie das Auto auf einem Sonderparkplatz circa 100 Meter vor dem Ludwig-Erhard-Building abgestellt hatten, ging Di Marco direkt zu einem der letzten Selbstbedienungsautomaten für gedruckte Zeitungen. Als er zurückkam, schwenkte er die neueste Ausgabe der WORD, der großen europäischen Boulevardzeitung.
»Deine Bettlektüre?«, stichelte Hensen.
Di Marco ignorierte sie und tippte mit dem Zeigefinger auf eine Überschrift in roten Lettern auf der unteren Hälfte der ersten Seite.
»Europäische Automobilindustrie entlässt weitere 12.000