Die Göttinnen: Die Geschichte der Herzogin von Assy. Heinrich Mann

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Die Göttinnen: Die Geschichte der Herzogin von Assy - Heinrich Mann

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Teufel bin! Auf den Thronen, Frau Herzogin kennen doch das, da geht's auch nicht heiter zu. Mich haben's die letzte Zeit so arg hergenommen – und immer hab ich an Sie gedacht wie an Unsere Liebe Frau. Wenn Sie mich nicht wollen, dann stirb ich, ich hab schon so trübe Ahnungen. Gewähren's mir ... das ...«

      Sie setzte sich auf den Bettrand. Ihre Kraft war erschöpft; sie empfand in dem, was sie erlebte, nichts Widerwärtiges mehr und kaum noch etwas Lächerliches. Aus Gier nach der tierischen Berührung mit ihrem Fleische hatten in Paris die kalten, feinen Kavaliere sich selbst und einander umgebracht. Es war natürlich, daß das dürftige Geschöpf dort am Boden daran starb. Aber lohnte es sich der Mühe, sein Gejammer länger anzuhören? Um was er bat, das war so nichtig ... Vor Müdigkeit, vor Überdruß und vor unsäglicher Verachtung dachte sie beinahe daran, es ihm zu gewähren. Da erschien ihr das weißliche Antlitz Friederikens von Schweden, flehend mit versagender Stimme.

      Der Prinz hatte seine Tränen abgewischt und sich erhoben. Sie fragte jetzt ganz gleichmütig:

      »Werden Sie gehen, Königliche Hoheit?«

      »Ich geh schon.«

      Er nickte traurig.

      »Frau Herzogin wollen also wirklich nicht?«

      Sie nahm die Klingelschnur in die Hand.

      »Geh ja schon«, murmelte Phili. »Daß nur am End zwischen uns kein fâché draus wird.«

      Und er verschwand.

      In den Morgenstunden schlummerte sie. Des Thronfolgers erinnerte sie sich darauf kaum noch. Tagelang beschäftigte sie sich nicht mit Pavic. Dagegen machte sie eine Menge alter Erlebnisse noch einmal durch. Gespräche, einst in Paris oder Wien geführt, vernahm sie wieder vom ersten bis zum letzten Wort: nun hatten alle eine unerwartete Bedeutung bekommen. Die Personen standen aufs neue vor ihr. Das waren ja Liebhaber ... und das auch. Und jener dort ein betrogener Gatte. Damals hatte sie lächelnd wie im Traume dies alles mit angesehen. Der Schlüssel zu jenen wertvollen Träumen war ihr erst jetzt zufällig in die Hände gefallen. Nun öffnete sie einen jeden. Sie ging höchst belustigt umher und ließ aus den Winkeln ihres Gedächtnisses einen vergessenen Scherz nach dem andern hervorsteigen und verstand sie plötzlich alle. Wie ein um Jahre verspätetes Echo hallte ihr einsames Lachen durch die Säle.

      III

       Inhaltsverzeichnis

      Die Prinzessin Friederike bat die Herzogin von Assy mehrmals zu ihrem cercle intime. Da dies nichts half, schickte sie den Kammerherrn Baron Percossini, um ihr freundschaftliche Vorstellungen zu machen. Percossini deutete an, Ihre Königliche Hoheit sei der Meinung, daß die Herzogin sich vom Hofe fernhalte, um dem Thronfolger Versuchungen zu ersparen. Sie wisse ihr für soviel Delikatesse des Herzens unendlichen Dank; doch sei zur Zeit nichts zu fürchten. »Man entzieht Seiner Königlichen Hoheit zeitweilig die geistigen Getränke«, erklärte vertraulich der Kammerherr, »und Seine Königliche Hoheit sind sofort vollkommen inoffensiv.«

      Ein anderes Mal erkundigte er sich im Namen der Prinzessin, warum die Herzogin noch niemals zu den Strickabenden bei den Dames du Sacré-Cœur erschienen sei. Es würde so wertvoll sein für sie beide, wenn sie Fühlung miteinander gewinnen würden bei der gemeinsamen Arbeit für das Volk. Percossini setzte skeptisch lächelnd hinzu: »Hiermit meinten Ihre Königliche Hoheit die Suppen und die wollenen Westen.«

      Prinz Phili sandte ihr mehrere kläglich lautende Briefe. Er wisse wohl, sie arbeite am Untergang seines Hauses, doch verlange er es gar nicht besser. Wenn sie ihm nur verzeihen wolle!

      Der König Nikolaus knüpfte mit der schönen Frondeuse Verhandlungen an, die erfolglos blieben. Er verlieh Pavic und Rustschuk seinen Hausorden. Der Tribun nahm ihn gar nicht an, der Finanzmann schickte ihn nach dreitägigem Seelenkampfe zurück. Sooft ihr Wagen den des Königs kreuzte, begrüßte der alte Herr sie mit nachsichtigem Schmunzeln. Beate Schnaken drückte das Doppelkinn sehr tief in den Spitzenkragen. Ihre Gebärde besagte die herzliche Achtung einer anmutig sich Unterordnenden. Bei einem Konzert des Pablo de Sarasate verließ sie, allen sichtbar, ihren Vorzugsplatz, um ihn der eben eintretenden Herzogin von Assy anzubieten.

      Die Gutmütigkeit all dieser Leute erbitterte die Herzogin. Sie wollte Kampf und fühlte sich gelähmt durch das höfliche Wesen von Gegnern, die sich gar nicht wehrten. »Wie lange muß ich euch kitzeln?« fragte sie. »Schließlich will ich euch doch noch wütend sehen! Eure Behaglichkeit widert mich an. So weiche Herren wie ihr dürfen nicht länger ungestört herrschen; es wäre ungerecht. Und sei es nur meine Laune! Ehemals, in Paris, reizte ich den Leopold Tauna so, daß er mich töten wollte. Und ich wußte nicht einmal, wodurch mir das gelang: ich spielte nur. Jetzt will ich auch euch dahin bringen, das ist mein Spiel.« Ihr »Hausjude« hörte manchmal auf, sie zu belustigen, ohne Genugtuung empfing sie die Meldungen von wiederholten Scharmützeln zwischen Bauern und Truppen und von meuternden Regimentern; Pavic' Tiraden machten sie gähnen. Aber dann tauchten aus dem Nebel von Langeweile und Beschränktheit, hinter dem sie versunken waren, die Freunde des Thronfolgerpaares hervor. Sie sah wieder die schwerfälligen Geister sich spreizen und vorsichtig schwanken zwischen Massacres und weiblichen Handarbeiten, und sogleich fühlte sie mit frisch erregtem Blut einen neuen verlockenden Sinn in den Worten Freiheit, Gerechtigkeit, Aufklärung, Wohlstand.

      Es fanden sich in ihrem Lager die ersten Begeisterten ein, junge Leute aus guten Häusern, die für den Fortschritt schwärmten und für das bleiche, kühne Haupt der Herzogin von Assy. Die ersten Leutnants verrieten ihren Fahneneid und schritten, blaß und entschlossen, zu den kleinen, hochverräterischen Zusammenkünften an der Piazza della Colonna. Allmählich kamen die Klugen, hohe Beamte und Hofleute, denen es nicht länger rätlich schien, ihre Zukunft bedingungslos dem Glücke der Dynastie Koburg anzuvertrauen. War irgendwo im Lande das Militär erfolgreich, so verschwanden mehrere von ihnen.

      Früher noch als die Enthusiasten versicherte der Baron Percossini die Herzogin seiner vollständigen Ergebenheit. Jeder Besuch, den er ihr im Auftrage der Prinzessin machte, fügte seinem glatten Treubruche etwas hinzu. Unmerklich, unter lauter obenhin gelispelten Fadheiten, langte er bei Kundschafterdiensten an. Übrigens war die Herzogin sich bewußt, er spioniere ebensogut sie selbst aus wie seine Herrschaft. Er plauderte ihr von den Versuchen vor, die die von ihr Bedrohten endlich zu ihrer Vernichtung unternahmen. Sie erfuhr ohnehin von Freunden an allen Höfen, die Vertreter des Königs Nikolaus führten Klage über sie. Sie erreichten nichts; denn durch ihre eigenen Verbindungen im internationalen Hochadel war die Herzogin besser geschützt als die regierende Familie durch den Willen einiger europäischer Staatsmänner. Die Partei Koburg hatte für sich überall nur die Kabinette, die Partei Assy die Kamarilla. Das Geld Rustschuks wirkte in den fremden Hauptstädten rascher als die aus Zara eintreffenden Depeschen. Auch war der Weltfriede wichtiger als das Schicksal der Nikolaus, Friederike, Philipp, Beate. Von diesen vier erwies Beate sich am stärksten. Sie brach ohne weiteres auf, behufs Gewinnung des Ministers einer Großmacht, der eben in Italien reiste. Es war ein weicher, frommer Herr; fast hätte sie ihn auf die gleiche Weise gerührt wie ehemals den König Nikolaus. Im Augenblick vor seinem Falle besann er sich auf die Pflicht und floh in großen Tagemärschen vor der Verführerin.

      Die Herzogin nahm diese Geschichte heiter auf. »Wenn der Mann weniger stark gewesen wäre«, so meinte sie, »was dann? Ich hätte mit dem Fräulein Schnaken in Wettbewerb treten müssen, und alles wäre auf die Frage hinausgekommen: bevorzugt Seine Exzellenz die blonden Haare oder die braunen? Meine Herren, die weibliche Politik ist wenig verwickelt.«

      Aber die Partei Assy ward stärker und fing an, Fehler zu machen. Der erste war eine jähe Verbesserung der herzoglichen Güterverwaltung. Sie war sinnreich

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