Der Psychocoach 5: Der Geist aus der Flasche. Andreas Winter
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Ein Wort vorab
Bereits kurz nach Veröffentlichung meines ersten Buches der Psychocoach-Reihe „Nikotinsucht – der große Irrtum“ im Mai 2007 machte ich eine verblüffende Erfahrung, die sich beim Thema Alkoholismus im Vorfeld bereits zu wiederholen scheint: Betroffene und Hilfesuchende waren von meinem Ansatz zur Suchtauflösung oftmals begeistert und empfanden ihn als große Hilfe. Auch Psychologen staunten über die Effizienz der Methode. Ärzte hingegen waren skeptisch oder verfielen in starren Unglauben. Doch diejenigen, die es eigentlich wissen müssten, Mitglieder der Selbsthilfegruppen, also ehemalige Betroffene, waren entsetzt und wetterten gegen meine Thesen. Die Begründung war immer die gleiche: eine Sucht nur mit einem Gespräch und ohne Abstinenz zu besiegen – das könne doch nicht sein, das ginge nicht so einfach. Den Zwang zum Rauchen innerhalb eines Gespräches aufzulösen und bei gelegentlichem Rauchen noch nicht einmal rückfällig zu werden – das widerspreche allen medizinischen Erkenntnissen.
Ja, liebe Leser, ich stimme zu: Den herrschenden „medizinischen Erkenntnissen“ widerspricht das tatsächlich. Doch genau darum geht es mir, denn die medizinische Betrachtungsweise gesundheitlicher Probleme ist nicht die einzig mögliche, und medizinische Erkenntnisse sind daher auch nicht immer der Weisheit letzter Schluss. Vor allem dann nicht, wenn die therapeutische Effizienz dem Aufwand diametral entgegengesetzt ist, der therapeutische Aufwand bei der Suchtbekämpfung also immer höher und das Ergebnis immer unbefriedigender wird. Wenn sich eine These in der Praxis mit hoher Erfolgsquote bewahrheitet, wenn sich das Ergebnis einer Therapie in vollem Umfang mit den Erwartungen deckt, dann wird es höchste Zeit, dass man die bisherige vorherrschende Lehrmeinung auf den Prüfstand stellt, anstelle die ideologischen Scheuklappen anzulegen. Im Sinne der Volksgesundheit wäre eine selbstkritische Betrachtung also mehr als wünschenswert.
Viele Fragen – eine Antwort
Glauben Sie, dass Alkoholismus eine Krankheit ist?
Wenn ein Mensch sich in Anbetracht hoher Arbeitsbelastung, fehlender Berufsmotivation, schlechten Betriebsklimas und enormer Überforderung betrinkt, nicht nur am Wochenende, nicht nur sonntagabends oder nach Feierabend, sondern bereits während der Arbeitszeit – glauben Sie, dass Abstinenz und ein paar Medikamente gegen Stimmungstiefs wirklich eine Therapie darstellen, die diesem Menschen dauerhaft hilft? Und wäre es diese Form der Behandlung darüber hinaus wert, die Krankenkassen, in die wir alle einzahlen, mit rund 10.000 Euro zu belasten?
Glauben Sie, dass ein Mensch, der aus tiefstem Herzen glücklich, organisch kerngesund, partnerschaftlich erfüllt und beruflich erfolgreich ist, abhängiger Alkoholiker werden kann – und das, nur weil er über ein paar Jahre der körperlichen Aufnahme von Alkohol ausgesetzt war?
Glauben Sie, dass ein Küfer, der regelmäßig Wein abschmeckt, oder ein Brauereiaußendienstler, der zu Geschäftsabschlüssen seine Biermarke dem Kunden gegenüber vertritt und ein Glas mittrinkt, zwangsläufig eines Tages Schmerzen und Krämpfe bekommt, wenn er sich nicht bis spätestens zur Mittagszeit zwei Promille angetrunken hat?
Ich glaube es nicht nur nicht, sondern ich weiß es: Alkoholismus ist keine Krankheit, sondern eine spezielle Kompensation von Angst! Warum Menschen zu Trinkern werden, ist keine Folge eines Unfalls, einer Infektion und erst recht nicht die Folge von gelegentlichem Kontakt mit Alkohol. Den Alkohol einfach aus dem Körper wegzulassen verhindert zwar alkoholbedingte Organschädigungen, befreit einen Menschen aber nicht von der Ursache der Sucht.
Aus diesem Grunde habe ich im ersten Psychocoach-Ratgeber[1] versucht, Folgendes deutlich zu machen: Wir müssen zunächst einmal genau definieren, was eine Sucht überhaupt ist, um sie sachgerecht behandeln zu können. Wenn Einigkeit darüber herrscht, dass eine Zwangshandlung keinerlei körperliche Ursachen hat, sondern auf der Ebene der Verhaltensmotivation zu finden ist, wird klar, dass wir beim Auslöser für das Trinken nach dem Entzug tatsächlich nicht von einem medizinischen Problem sprechen, sondern von einem rein psychologischen. Bei einer Zwangshandlung braucht der Entwöhnungsbereite weder Medikamente noch monatelange Trainings noch Willensstärke oder Disziplin. Er braucht lediglich eine Erkenntnis, um nicht mehr rauchen oder trinken zu müssen. Diese Erkenntnis kann innerhalb weniger Stunden durch ein aufklärendes Gespräch vermittelt werden. Um also zu verstehen, wie aus dem „Muss“ zum Trinken ein „Kann“ werden kann, prüfen Sie bitte mit wissenschaftlicher Aufgeschlossenheit, ob die bisherigen Ansätze zur Suchttherapie tatsächlich das Wesen des Leidens exakt treffen. Klären wir zunächst einmal ein paar notwendige grundsätzliche Dinge.
Zur wissenschaftlichen Vorgehensweise in diesem Buch
Hin und wieder höre ich den Vorwurf, meine Behauptungen seien wissenschaftlich nicht genug fundiert. Ich würde die Fakten, die meinen Hypothesen zugrunde liegen, nicht durch Studien überprüfen.
Nun, zum einen gibt es noch viel mehr Möglichkeiten, als unter Laborbedingungen wissenschaftlich zu forschen. So integriert beispielsweise die teilnehmende Beobachtung den Experimentator ins Geschehen, damit er nicht als beeinflussender Fremdkörper die Forschungsergebnisse verzerrt. Nach diesem Verfahren arbeitete beispielsweise die Schweizer Naturforscher-Familie Christophe und Hedwige Boesch, die mit ihren Kindern insgesamt zwölf Jahre lang wie Tarzan im Tai-Nationalpark an der Elfenbeinküste unter Schimpansen lebte, um das Sozialverhalten dieser Tiere zu studieren. Erst nach fünf Jahren verhielten sich die Affen so, als wären die anwesenden Menschen ihresgleichen, und ließen sich in ihrem natürlichen Verhalten erforschen. Dies wäre unter Laborbedingungen schlichtweg nicht möglich gewesen.
Zum anderen arbeite ich nolens volens erfolgsorientiert. Ich kann mir nicht den bequemen Luxus leisten, eine Beratung anzubieten, die mit Glück vielleicht etwas Linderung bringt und ansonsten sowieso von der Krankenkasse bezahlt wird. Nein, der Erfolg meiner Beratung wird am Erfolg meiner Kunden gemessen. Um diesen Erfolg auch zu erzielen, begleiten wir in unserem Institut unsere Kunden so lange, bis sie selbst ganz subjektiv das Gefühl haben, keine Hilfe mehr zu brauchen. Somit bekommen wir auch nach Jahren noch heraus, ob unser Coachingziel erreicht ist oder nicht.
Zudem bin ich von Haus aus Sozialwissenschaftler – und damit jemand, der nicht im weißen Kittel mit Spritze und Stoppuhr bewaffnet Ratten und Mäuse untersucht, sondern klinisch arbeitet, also direkt am menschlichen Geschehen empirische Feldforschung betreibt. „Empirisch“ bedeutet hier „erfahrungsgemäß“: Erkenntnisse werden hier aufgrund von Erfahrungen und nicht aufgrund von theoretischen Überlegungen gewonnen. Das impliziert aber, dass die Erfahrungen möglichst übertragbar sein sollten, um Allgemeingültigkeit zu gewährleisten. Dabei wäre es sehr fahrlässig, die Individualität des Menschen außer Acht zu lassen – nicht jeder Mensch reagiert in derselben Situation gleich. Doch wenn jeder Mensch meine Thesen an sich selbst überprüfen und beweisen kann, welchen Zweck sollten dann noch isolierte Laborbedingungen haben?
Die Forschung unter Laborbedingungen versucht per se störende Faktoren, wie etwa den Einfluss des Forschers, auszuschließen und den Forschungsgegenstand aufs Extremste zu reduzieren. Bei Doppelblindstudien zur Erforschung des Placebo-Effektes sehen wir beispielsweise, dass weder der Proband noch der Arzt wissen, ob das zu verabreichende Medikament nun Placebo oder Medikament ist. Dabei geht es doch genau darum zu vermeiden, dass die Überzeugung des Arztes sich auf den Heilerfolg des Patienten auswirken kann. Wenn ein Arzt nun nicht weiß, ob ein Medikament wirkt oder nicht, beeinträchtigt er damit die therapeutische Wirkung. Diese Art von Forschung hat somit derart wenig mit der vielschichtigen Realität zu tun, dass ich von einer direkten Übertragung ihrer Ergebnisse auf menschliche Alltagssituationen im Allgemeinen abrate.
Beispielsweise hat die Berliner Tierärztin Dr. G. K. Pirk zu beweisen versucht, dass Alkohol unabhängig von Sozialfaktoren zur Sucht verleite, und dabei allen Ernstes behauptet, man