Heilen ohne Medikamente. Andreas Winter
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Alles, was wir vereinfachen, kann unser Gehirn direkt abrufen. Der Verstand verarbeitet zwar nicht so große Datenmengen wie das verborgene Bewusstsein, kann sich aber leider über fast den gesamten Rest der Wahrnehmung und Koordination hinwegsetzen, indem er die Aufmerksamkeit bewusst kon-zentriert, also zusammen- und dadurch von anderen Dingen abzieht. Der Zugriff auf das Einfache wird dabei dem Komplexen vorgezogen. Deswegen sind Gefühle auch so schwer in Worte zu fassen – die Datenmenge ist oft zu groß, um sie zu vereinfachen.
Und genau hier offenbart sich ein weiterer ideologischer Kraftakt: Wir müssen nicht nur akzeptieren, dass wir ein Unterbewusstsein haben, das mit weit über 90 Prozent den größten Anteil der Datenverarbeitung einnimmt, sondern dass die unterbewussten Gedanken zudem logisch und präzise sind. Wir sind uns unserer Gedanken nicht bewusst, diese steuern aber unseren Körper und unser Verhalten, und das auch noch intelligent und nachvollziehbar. Doch genau damit tun wir uns fast alle so unglaublich schwer. Lieber schlagen wir uns dreimal am Tag mit der flachen Hand vor den Kopf und schimpfen, wie dumm wir doch wären, weil wir mal wieder den Haustürschlüssel vergessen haben, uns die Suppe angebrannt ist oder wir beim Einparken das Auto beschädigt haben. Wir fluchen über unsere unzuverlässige Verdauung, jammern über Kopfschmerzen und rennen wegen einer Katzenhaarallergie zum Arzt, obwohl Katzenhaare an sich keinen Menschen der Welt krank machen können. Wir, das Wunderwerk der Evolution, die Krone der Schöpfung, fühlen uns hilflos wie Kleinkinder, obwohl wir das handlungsfähigste Wesen der Erde sind.
In den ersten 36 Monaten des Lebens (ab Zeugung) verfügt der Mensch über keinerlei rationales und zeitliches Erfassungsvermögen. Weder Zukunft noch Vergangenheit fließen in die kontextuelle Orientierung des Kindes mit ein. Begriffe wie morgen, gleich oder vorhin sind noch bedeutungslos. Bis die zeitlich-kontextuelle Wahrnehmung sich zu entwickeln beginnt, werden beispielsweise auch momentane Gefahren als absolute und andauernde Gefahren empfunden. Emotionales Erleben wird stets als Gegenwart eingeordnet. Was es nicht wahrnimmt, existiert für das Kind nicht. Untermauert wird diese Beobachtung durch die Forschung verschiedener Entwicklungstheoretiker. Sicher einer der bekanntesten ist der Pionier der Entwicklungspsychologie, der Schweizer Psychologe Jean Piaget (1896 – 1980). In seinem theoretischen Modell der kognitiven Entwicklung beschreibt er, dass ein Kind vor dem zweiten Lebensjahr (ab Geburt) noch nicht in der Lage ist, Gegenstände außerhalb seines Sichtfeldes zu vermuten. Es hat keine sogenannte Objektpermanenz, das bedeutet: aus den Augen, aus dem Sinn.
Im Umkehrschluss heißt das aber: Was erlebt wird, ist permanent präsent. Zur Erinnerung: Ein Kind hat kein teleologisches (zeitlich nach vorn gerichtetes und absichtlich aufrufbares) Bewusstsein. Alles Erlebte wird im verborgenen Unterbewusstsein abgespeichert. Deshalb werden genau in dieser Zeit unterbewusst Verhaltensmuster aufgrund von Erlebnissen und Erfahrungen gebildet, die ein Leben lang aufrechterhalten bleiben können. Ein Kleinstkind nimmt seine Umwelt rein emotional wahr – nicht rational. Da Gefühle stets als gegenwärtig empfunden werden, glaubt ein Kleinkind, seine Erlebnisse dauerten ewig – es kennt noch keine Zukunft, kein Vergehen, kein Abwarten. Deshalb weinen Kinder auch oftmals so herzzerreißend, wenn ihnen etwas Angst macht oder wehtut. Sie glauben, dieser Zustand würde ewig bestehen.
Macht ein Kind innerhalb genau dieser drei Jahre traumatische Erfahrungen – dazu gehören bereits Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen genauso wie frühkindliche Krankenhausaufenthalte oder schmerzhafte Erlebnisse –, so bildet sich hierdurch beim Kind eine besonders hohe Sensibilität für potenzielle Gefahrensituationen aus. Hier liegt der Ursprung von Traumatisierungen. Nicht später! Die Wochen um die Geburt herum scheinen der Zeitraum zu sein, in welchem die Schwelle für empfundene Lebensgefahr am niedrigsten ist. Gefahren oder schlechte Nachrichten haben deshalb generell in unserer Wahrnehmung einen höheren Stellenwert als gute Nachrichten, weil ein Mensch ohne Positivmeldungen zumindest überleben kann – in Gefahr ist dies jedoch fraglich. Bis ins dritte Lebensjahr hinein verfügt ein Kind noch nicht im Geringsten über die kognitiven Fähigkeiten, die uns Menschen so erfolgreich Erlebtes verarbeiten lassen, aber dennoch – und das ist das Tragische – merkt sich das kindliche Gehirn alles, was es erlebt, und es vergisst nichts – schon gar nicht Angst machende Dinge. Im Zeitraum von rund drei Monaten ab der Geburt scheint die Sensitivität für Traumatisierungen sogar am höchsten zu sein.
Doch bereits in der dritten Schwangerschaftswoche – zu dieser Zeit weiß eine Mutter meist noch gar nicht, dass sie schwanger ist – beginnt das Herz zu schlagen, und die ersten Nervenzellen entwickeln sich. Mit Letzteren sind wir in der Lage, chemische Unterschiede aus dem mütterlichen Blut in unserer Umgebung zu registrieren. Allerdings gibt es in der Gebärmutter noch nicht allzu viele spürbare Unterschiede – es ist für den Follikel immer einigermaßen gleich warm und gleich dunkel. Doch ab diesem Zeitpunkt ist der kleine Zellknubbel, der zweieinhalb Wochen später unser Nervenzentrum ist, bereits in der Lage zu spüren, ob sich Stresshormone, Glückshormone, Schlafhormone oder etwa Drogen in seiner Umgebung befinden. Das Kind tritt in Interaktion mit dem mütterlichen Körper. Es beginnt – im weitesten Sinne – zu denken. Nach weiteren sechs Wochen etwa nennt man diesen kleinen Haufen von Nervenzellen, der sich stetig weiterentwickelt, bereits Gehirn.
Im Alter von etwa fünf Monaten bekommt das Kind sogar eine ganz genaue Vorstellung davon, ob es im Bauch willkommen oder etwa ungewollt ist. Es braucht sich lediglich beim mütterlichen Organismus bemerkbar zu machen, beispielsweise indem es sich herumdreht oder von innen gegen die Bauchdecke der Mutter tritt. Das tut es ab diesem Zeitraum für gewöhnlich und bekommt darauf die Antwort seiner Mutter in Form von Neurotransmittern, die durch die Nabelschnur direkt zum embryonalen Gehirn rasen und ihm die gleichen Gefühle ermöglichen, die seine Mutter empfindet. Entweder sie freut sich, ihr Kind zu spüren, dann bekommt dieses einen Endorphinstoß, der als Glücksgefühl wahrgenommen wird, oder sie ist verzweifelt, weil sie gar kein Kind will, dann spürt der Embryo einen Adrenalinstoß. Dieses Stresshormon wird von einem Ungeborenen fast wie ein Stromschlag empfunden. Wenn das Kind diese Erfahrung ein paar Mal gemacht hat, schlussfolgert es, dass es offenbar eine ganz schlechte Idee ist, sich allzu deutlich bemerkbar zu machen. In der Zeit vor der Geburt ist Stress nicht subjektiv interpretierbar und wird daher vom Embryo als absolut wahrgenommen! Die Ursache aller stressbedingten Symptome ist folglich hier zu finden.
Konditionierung
Damit sind wir im Bereich der Reiz-Reaktions-Verknüpfungen oder auch Konditionierungen. Das Prinzip der Konditionierung lässt sich recht einfach beschreiben: Sie spüren etwas (etwa einen kleinen Stromschlag), worauf Sie mit dem unbeschreiblichen Gefühl eines Elektroschocks (starkes Unwohlsein und Erregtheit) reagieren, und zeitgleich nehmen Sie etwas Bestimmtes wahr, das Ihnen bislang völlig gleichgültig war (vielleicht die an sich bedeutungslose Lautfolge Zick). Je öfter das geschieht, desto eher glauben Sie, dass das bislang Gleichgültige Ihr Gefühl erzeugte: Das heißt, Sie zucken bereits zusammen, wenn Sie nur das Wort Zick hören. Durch das ständige Zusammentreffen beider Reize wird die emotionale Bedeutung des ersten Reizes einfach auf einen weiteren Reiz ausgeweitet. So kommt es, dass Menschen tatsächlich glauben, Zigarettenrauch würde das Ausschütten von Glückshormonen erzeugen, obwohl ihnen jeder Nichtraucher beim Einatmen von Qualm etwas husten und somit bestätigen würde, dass der Qualm keineswegs glücklich macht. Der Raucher ist darauf konditioniert, dass Rauchen offenbar nur Erwachsenen erlaubt ist und in kleinen Pausen stattfindet: Er fühlt sich, sobald er qualmt, frei von Erwartungsdruck.
Dabei zeigt sich, dass wir voller Konditionierungen sind. Beispielsweise bekommen fast alle Menschen einen Adrenalinstoß, wenn man sie anschreit – dabei ist eine laute Stimme keinesfalls bedrohlich, wie jeder bestätigen kann, der schon einmal einen Operntenor live singen hörte. Das eigentlich Bedrohliche an einer lauten Stimme haben Menschen oftmals bereits im Mutterleib erfahren, wenn die eigene Mutter von Eltern, Partnern oder jemand anderem angeschrien wurde oder selbst Grund zum erregten Schreien hatte. Mütterliche Stresshormone werden zeitgleich mit der lauten Stimme, die das Kind im Bauch ja deutlich vernimmt, ausgestoßen – und das auch