Was deine Angst dir sagen will. Andreas Winter

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Was deine Angst dir sagen will - Andreas Winter

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mehr Stress erzeugen, als der Tod, so glauben sie.

      Die Absicht von Klaus in oben genanntem Beispiel war, ins oberste Stockwerk zu gelangen. Dem stand die Angst zu ersticken entgegen. Er konnte sein Ziel nur erreichen, wenn er die Treppe nahm und den Aufzug mied. Obwohl die neunzehn Stockwerke ein enormer Aufwand waren, erschien ihm dieser Widerstand geringer als der unterbewusst befürchtete Verlust der Kontrolle über das Leben. Erst als er die Ursache seiner Angst reflektiert hatte, konnte er sein subjektives Empfinden kontrollieren und die Angst vor einem Aufenthalt im Aufzug überwinden.

      Wenn ein Raucher wüsste, dass er auch ohne Zigaretten das Gefühl von Erleichterung bekommen kann, dann könnte er die fünf Euro pro Packung sparen, müsste weder Krankheiten befürchten noch Erniedrigungen durch das Rauchverbot in Kauf nehmen. Aber er weiß es nicht, deswegen raucht er beim Auslöser Bevormundung.

      Wenn ein aufgrund der derzeitigen Migrationswelle verängstigter Bürger wüsste, dass die Menschen, die Tausende Kilometer hinter sich haben, viel mehr Angst haben als er selbst, dann wäre er ganz entspannt. Wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie zum Beispiel nach Singapur emigrieren würden, dort weder die Kultur kennen noch wissen, wie man seinen Wohlstand und seine Existenz sichert? Wenn die Menschen dann noch wüssten, dass der Islam keine trostspendende Religion ist, sondern ein uraltes politisches Konzept, dazu eines, das in einer humanistischen Welt kein Zukunftsmodell darstellt, und diese Menschen nun zu Tausenden in genau die Länder ziehen, in denen autoritäres Einschüchtern, Gewaltbereitschaft, Respektlosigkeit keine zeitgemäßen Werte darstellen, dann wären sie nicht nur entspannt, sondern könnten sich ihrer wichtigen Vorbildfunktion bewusst sein. Genauer, wenn Sie wüssten, dass man von Ihnen sogar gerne lernt, wie man ohne Gewalt und Bevormundung glücklich in Sicherheit erfolgreich wird, hätten Sie keine Angst vor einer islamischen Invasion (die es auch sicherlich nicht gibt). So einfach kann Angst verschwinden. Doch wie entsteht Angst überhaupt?

      Ein Mensch kann vor allem, was ihn real oder eingebildet umgibt, Angst haben: vor Fremden, vor dem Tod, vor Spinnen, Prüfungen, Homosexuellen und Schokolade. Aber nur, wenn er durch genau diese Dinge irgendwann einmal in Gefahr geriet, sie also einen großen Widerstand für ihn darstellen. Da weder Tod noch Spinnen oder Schokolade gefährlich sind, sondern wir das immer nur befürchten, haben wir es genau genommen mit einer Konditionierung zu tun!

      Stellen Sie sich vor, Sie bekämen in Ihrem Büro einen neuen Teppich. Weil Ihr Chef stets auf die Finanzen achtet, hat er einen besonders günstigen Teppich ergattert. Dieser besteht zu 100 Prozent aus Polyacryl und verträgt sich nicht mit Ihren Polyesterschuhsohlen vom Discounter (höchstwahrscheinlich werden Sie bei einem solchen Chef auch auf Ihr eigenes knappes Budget achten müssen). Die beiden Kunststoffe laden sich also bei jedem Schritt elektrostatisch auf.

      Jedes Mal, wenn nun ein Kunde in Ihr Büro kommt und Ihnen seine feuchte Hand gibt, bekommen Sie durch die Entladung einen Stromschlag. Das passiert Ihnen drei-, viermal hintereinander, und Sie beginnen zu beten, dass niemand mehr Ihr Büro betreten und Ihnen die Hand geben möge. Durch das ständige Zusammentreffen beider Reize – Entladung und Handschütteln – wird die emotionale Bedeutung des einen Reizes auf einen bislang neutralen Reiz ausgeweitet.

      Die gesamte Welt der Symbole hat diese Struktur. Ein Symbol besteht immer aus zwei Elementen: Etwas, das ist, und seiner Bedeutung. Die Ursprungsbedeutung des griechischen Wortes Symbállein (συμβαλλειν = Zusammenwerfen) deutet das bereits an.

      So kommt es, dass Menschen tatsächlich glauben, Zigarettenrauch würde das Ausschütten von Glückshormonen erzeugen, obwohl ihnen jeder Nichtraucher beim Einatmen von Qualm etwas hustet und bestätigt, dass Qualm keineswegs glücklich macht. Der Raucher aber ist darauf konditioniert, dass Rauchen offenbar nur Erwachsenen erlaubt ist und in kleinen Pausen stattfindet: Er fühlt sich, sobald er qualmt, frei von Erwartungsdruck.

      Dabei zeigt sich, dass wir voller Konditionierungen sind. So bekommen fast alle Menschen einen Adrenalinstoß, wenn man sie anschreit – dabei ist eine laute Stimme keinesfalls bedrohlich, wie jeder bestätigen kann, der schon einmal einen Operntenor live singen hörte. Noch nicht mal beim Gesang des Rocktenors Peter Hofmann (* 22.08.1944 – † 29.11.2010) bekamen die Menschen Angst. Laute Stimmen an sich erzeugen nämlich keinen Stress!

      Das eigentlich Bedrohliche an einer lauten Stimme haben Menschen oftmals bereits während der Entwicklung im Mutterleib erfahren, wenn die eigene Mutter von Eltern, Partnern oder jemand anderem angeschrien wurde oder selbst Grund zum wütenden Schreien hatte. Mütterliche Stresshormone werden zeitgleich mit der lauten Stimme (die das Kind im Bauch ab etwa dem fünften Schwangerschaftsmonat hören kann) ausgestoßen – und das auch nur, weil früher bei der Kindeserziehung nicht nur geschrien, sondern auch geschlagen und verletzt wurde. Lernprozesse erhalten sich auf diese Weise durch die Mütter über Jahrhunderte hinweg!

      Sie können bereits allein durch diesen Hinweis nun etwas gefasster bleiben, wenn man Sie anschreit.

      Ein Erlebnis meiner Studentin Maria-Theresia Niegel aus Wettringen zeigt, wie differenziert sich Konditionierungen auswirken können – im folgenden Fall war eine brennende Waschmaschine Auslöser für drei Symptome:

      Fallbeispiel: Brennende Waschmaschine

      Vor ein paar Monaten führte Maria-Theresia ein Telefonat mit der Sachbearbeiterin ihrer Krankenkasse. Die freundliche und interessierte Mitarbeiterin fragte sie im Gespräch, wie denn die Arbeit als Coach genau aussehe. Meine Kollegin erzählte ihr von Ursachenanalyse, Symptomauflösung usw., woraufhin die Frau Hilfe suchend ein Gespräch über ihren 7-jährigen Sohn begann, der seit langer Zeit unter Neurodermitis, Asthma und einer besonderen Form von Autismus leide.

      Sie hatten über die Jahre mehrere Therapeuten unterschiedlicher Art aufgesucht mit mäßigem Erfolg. Maria-Theresia stellte ihr am Telefon eine für uns Coaches klassische Analysefrage: ob während der Schwangerschaft irgendein tief greifendes Ereignis stattgefunden hätte. Das machte die Frau nachdenklich. Nach kurzer Überlegung sprach sie von einem Brand in ihrem Haus, bei dem sie fast umgekommen wären, da sich alle im Schlaf befanden. Ein Kurzschluss der Waschmaschine im Keller hatte den Brand ausgelöst. Maria-Theresia analysierte weiter:

       Ich erkundigte mich daraufhin, ob bei ihrem Sohn die Symptome permanent auftauchen oder ob diese auftreten, wenn er unter starkem Stress oder Druck stehe. Sie bestätigte bereits meine Annahme und betonte noch, dass selbst der Autismus sich nur in solchen Situationen bemerkbar macht. Ich klärte sie darüber auf, dass Babys im Bauch ihrer Mutter über die Nabelschnur nicht nur mit Nährstoffen versorgt werden, sondern auch sämtliche Neurotransmitter, also auch Stresshormone abbekommen. Das Baby im Bauch geriet beim Hausbrand also ebenso wie die Mutter unter Stress. Es braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, was einem Menschen in so einer akut dramatischen Situation widerfährt. Todesangst, Panik, Hektik – oft kann man keinen klaren Gedanken mehr fassen und ist nur noch bemüht, das eigene Leben zu retten. Überforderung, Machtlosigkeit, Hilflosigkeit, das Ohnmachtsgefühl, allem ausgeliefert zu sein. Allein der Gedanke an so eine Tragödie erzeugt in uns oftmals bereits Stress.

       Nun weiß ein kleines Baby aber nicht, dass es sich im Bauch seiner Mutter befindet und es deren Gefühle sind, von denen es da gerade überwältigt wird. Es wird wie von einem Blitzschlag aus heiterem Himmel davon getroffen. Was würde man selbst wohl machen, wenn man in einer solchen bedrohlichen Lage wäre? Nur raus hier und weg!

       Daraufhin sagte die Frau am Telefon: „Oh mein Gott, jetzt weiß ich auch, warum ich plötzlich heftige Wehen bekam und in Panik geriet!“ Das Drama hatte also offenbar noch kein Ende. „Jetzt wird mir auch klar, warum mein Sohn, als er anfing zu laufen, immer zur Waschmaschine gegangen ist, auch wenn wir bei Freunden oder Verwandten waren!“

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