Von Casanova bis Churchill. Barbara Piatti

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Von Casanova bis Churchill - Barbara Piatti

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vergleichbar – Lebenswege und Schicksale, in ihm sind Träume, Pläne, Ängste und Ärgernisse, Entdeckungen und Inspirationen an bestimmte geografische Punkte gebunden. Und manche der Geschichten, die in diesem Buch erzählt werden, von Casanova bis Churchill, von 1760 bis 1946, sind durch unsichtbare Fäden miteinander verknüpft.

      Knotenpunkte, Kreuzungen, imaginäre Begegnungen

      Ein paar Beispiele: Arthur Conan Doyle und René Schickele versuchen sich beide auf Skiern, 1893 in Davos und 1918 im Diavolezza-Gebiet, beide erzählen von Stürzen im Schnee, beide sind grosse Schriftsteller und schildern dementsprechend diese Vorgänge auf hinreissende Weise, durchaus mit einer Prise Selbstironie. Conan Doyle beschreibt seine Versuche so: «Aber du ziehst sie [die Skier] an und wendest dich mit einem Lächeln nach deinen Freunden um, um zu sehen, ob sie dir auch zuschauen – und dann bohrst du im nächsten Augenblick deinen Kopf wie verrückt in einen Schneehaufen hinein und strampelst wahnsinnig mit beiden Füssen, um, halb aufgestanden, von neuem wieder im gleichen Schneewall unrettbar zu ertrinken; so gibst du deinen Freunden ein Schauspiel, dessen sie dich niemals für fähig gehalten hätten.» – «Ich bin, Kopf voraus, in den Schnee geflogen und lag, mit verquerten Skiern, das Gesicht nach unten, seltsam gekreuzigt auf dem Schnee, ohne mich rühren zu können […]», scheint Schickele zu antworten.

      In Genf bekamen zwei Musen grosser Männer ihre Kinder: Marie d’Agoult, die Geliebte von Franz Liszt, brachte 1835 eine Blandine zur Welt, 1867 schenkte Anna Dostojewskaja ihrer Tochter Sonja das Leben – Blandine sollte nur 27 Jahre alt werden, Sonja starb schon als zehn Wochen altes Baby. Felix Mendelssohn Bartholdy und Richard Wagner hätten sich auf dem Faulhorn begegnen können, in einer anderen Raum-Zeit-Dimension. Als Mendelssohn die Wanderung im Jahr 1831 unternahm, war das Gasthaus auf dem Gipfel noch im Bau, und er musste auf Stroh in einer Nebenhütte übernachten. Wagner hingegen fand 1853 den vollen Komfort eines Hotels auf fast 2700 Metern vor, mitsamt weiss eingedeckten Tischen und Silberbesteck. Und beinahe wäre ihnen 1918 Walter Benjamin gefolgt – in Begleitung seines Freundes Gershom Scholem. Aus unbekannten Gründen ist diese Wanderung zwar brieflich genau geplant, dann aber doch nicht durchgeführt worden.

      Leo Tolstoi und Gustave Flaubert wären sich in ihrem Desinteresse für die Rigi und überhaupt für Aussichtspunkte einig gewesen. Franz Liszt und Theodor Fontane stiegen beide im Hotel Storchen in Basel ab – mit vierzig Jahren Abstand, 1835 und 1875. Liszt reiste mit Marie d’Agoult über den Walensee, in einem Ruderboot, denn das erste Dampfschiff wurde auf diesem Gewässer erst zwei Jahre später eingesetzt. 1841 reiste dann aber prompt Friedrich Engels mit dem Dampfboot auf exakt derselben Route. Giacomo Casanova, Karl Friedrich Schinkel und James Fenimore Cooper, alle drei vergnügten und reinigten sich im Berner Bad im Mattequartier an der Aare. Casanova leistete sich ein Upgrade, Baden plus käufliche Liebesdienste, Schinkel war über ein eben solches Angebot masslos empört («Entsetzlich war es aber, dass wir beim Eintritt ins Bad gefragt wurden, ob wir ein bain garni, das heisst mit einem Frauenzimmer, verlangten […]»), Cooper hingegen berichtet ganz erfreut davon: «Ich zahlte zwanzig Cents für ein warmes Bad unter einer Leinwandbedachung, mit Seife, warmen Tüchern, warmem Badeanzug, alles nach Wunsch. […] Das ist die wohlfeilste Art zu baden, die mir jemals vorgekommen ist.» Nur zehn Jahre trennen August Strindberg und Winston Churchill voneinander – der Schwede bezog mit seiner Familie 1884 eine Wohnung in Ouchy, der Brite wäre als Neunzehnjähriger, 1894, beinahe bei einer Bootstour ertrunken, die ebendort startete.

      Im glutheissen Jahrhundertsommer 1911, in dem es zwischen April und Oktober kaum regnete, waren J. R. R. Tolkien, Franz Kafka und Walter Benjamin gleichzeitig in der Schweiz unterwegs. Es ist nicht anzunehmen, dass sie sich irgendwo begegnet sind, obwohl ihre Routen sich teilweise kreuzten.

      Es gibt sogar Verknüpfungen ausserhalb der Schweiz: Die US-amerikanische Journalistin und Kunstkritikerin Elizabeth Robins Pennell, die die Schweiz 1898 durchquerte, schrieb eine Biografie über Mary Wollstonecraft, Mutter von Mary Godwin, der Reisenden aus dem Jahr 1814. Und Leni Riefenstahl, deren Schweizer Episode aufs Engste mit dem Piz Palü verbunden ist, war ebenso wie Richard Strauss (seine Reise führte ihn 1893 auf den Gornergrat beim Matterhorn) präsent bei den Olympischen Spiele 1936 in Berlin – sie als Hitlers Regisseurin, er als Komponist und Dirigent der Eröffnungshymne.

      Die Reihe der Beispiele liesse sich noch lange fortsetzen. Überraschend sind auch diese Trios: Was verbindet John Ruskin, Leo Tolstoi und August Strindberg? Die Verehrung für die Sprache und die Erzählkunst von Jeremias Gotthelf. Was Elizabeth Main, Walter Benjamin und Leni Riefenstahl? Die Begeisterung für Giovanni Segantini. Was Heinrich von Kleist, Hans Christian Andersen, Leo Tolstoi? Der Ekel vor der Grossstadt Paris, das Gefühl, dort unterzugehen – und die Idee, dem Moloch den Rücken zu kehren und in die nahe Schweiz zu reisen. Tolstoi hatte zudem eine öffentliche Hinrichtung mit der Guillotine erlebt, die ihn bis ins Mark erschütterte. «Ich lebte 1 ½ Monate in Sodom, und in meiner Seele hat sich schon viel Unrat gesammelt, sowohl zwei Strassenmädchen wie die Guillotine und der Müssiggang und die Gemeinheit.» Auch für Franz Liszt und Marie d’Agoult beginnt die Reise in die Schweiz mit der Flucht aus Paris. Bei ihnen hat das aber andere Gründe, es ist eine Flucht aus Verhältnissen und Konventionen, die ihnen nicht erlaubt hätten, in wilder Ehe zusammenzuleben. Auf einer Reise durch die Schweiz und später in Genf konnten sie es.

      Dieses Schweizer-Reisen-Panorama spannt sich vom 18. bis ins 20. Jahrhundert auf. Tourismusgeschichtlich ergibt das absolut Sinn: Casanova hatte noch kein Auge für die Landschaft, er steht ganz am Anfang der Epoche, die Landschaft, vor allem die alpine und voralpine, erst im grossen Stil als visuellen Genuss entdecken wird; Winston Churchills Landschaftsmalerei basiert hingegen auf exakt dieser kulturgeschichtlichen Ära, ja wäre ohne sie nicht denkbar.

      Aspekte des Reisens

      Weshalb haben diese Berühmtheiten die Schweiz besucht, was haben sie hier gesucht, was haben sie gefunden, welche unmittelbaren Wirkungen oder Nachwirkungen hatte der Aufenthalt – künstlerisch, biografisch? Die Fragen scheinen einfach, die Antworten darauf sind es oft nicht.

      Immer wieder treten uns neue Aspekte des Reisens entgegen: Was heisst es, durch ein Gemälde zu reisen statt durch eine reale Landschaft (Theodor Fontane), eine literarische Pilgerfahrt zu unternehmen (Jens Immanuel Baggesen), in der Schweiz Inspiration pur zu finden (Richard Wagner, Arthur Conan Doyle, Ernest Hemingway und viele andere), ein berufliches Projekt zu verfolgen, das mit Urlaub nicht viel zu tun hat (Leni Riefenstahl, Anderl Heckmair), inkognito zu reisen (Kaiserin Elisabeth von Österreich)?

      Manchmal kommt sehr konventionelles Vokabular zum Einsatz (Karl Friedrich Schinkel), dann wieder verblüffende Bilder, Formulierungen, die einen die (Schweizer) Welt mit neuen Augen sehen lassen (Franz Kafka). Manche Reisenden inszenieren sich in allererster Linie selber, anderen ist die Landschaft das Wichtigste. Das ist zum Teil der Epoche geschuldet, zum Teil aber auch individuell bedingt.

      En passant lässt sich ablesen, wie sich die Infrastruktur, die Reisemöglichkeiten

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