Mit Charme gewinnen - kämpfend vorangehen. Karl Graf
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Ignatius
Also, zurück zu mir: Ich war das jüngste von 13 Kindern und erhielt im Schloss meines Vaters in Loyola eine gute Erziehung. Ich konnte dank der Beziehungen meines Vaters schon mit 16 Jahren am Hof des königlichen Großschatzmeisters Velázquez de Cuellar in Kastilien meine höfische Beamtenkarriere beginnen. Dort lernte ich Verwaltungsaufgaben und Verhandlungsführung kennen. Diese Fähigkeiten kamen mir später sehr zugute. Wir Pagen wurden zudem mit der ritterlichen Kultur vertraut gemacht, was mich begeisterte. Du kannst dir vielleicht vorstellen, dass mein Leben ziemlich abenteuerlich war. Juan de Polanco, mein Sekretär, schrieb später über mich: »Er hütete sich nicht vor Sünden, sondern war besonders ausgelassen im Spiel und in Frauenabenteuern, in Raufereien und Waffenhändeln.«1 Meine Nachfolger in der Leitung der Gesellschaft Jesu hatten später ihre liebe Mühe mit solchen Schilderungen. Allerdings nicht nur sie. Ich selber konnte mich innerlich immer weniger mit der Kultur der Loyolas identifizieren, die, zusammenfassend auf den Punkt gebracht, patriarchal, an männlich-ritterlichen Idealen orientiert, kriegerisch und auf Ehre (honra) fixiert war. Ich hatte noch einen sehr langen und schwierigen Weg vor mir, um mich selber und meine Berufung zu finden. Aber davon später mehr. Vorerst bin ich gespannt zu erfahren, woher du stammst und wie die Anfänge deines Lebens verlaufen sind.
Teresa
Gerne. Meine Herkunft unterscheidet sich deutlich von der deinen, Ignatius. Das hast du ja schon erwähnt. Deine Kindheit und Jugend scheint problemlos und gleichzeitig abenteuerlich gewesen zu sein. Vor allem öffnete dir deine Abstammung aus einer altchristlichen Adelsfamilie viele Türen wie zum Beispiel die zur Ausbildung am Königshaus in Kastilien. Bei mir wäre das undenkbar gewesen. Mein jüdischer Großvater war mit seiner Familie nach seiner Konversion von Toledo nach Ávila gezogen, um dort nicht erkannt zu werden und der Ausgrenzung zu entgehen. Den konvertierten Juden und Jüdinnen wurde nämlich unterstellt, dass sie weiterhin im Verborgenen ihren jüdischen Glauben praktizieren. Kannst du dir vorstellen, was es bedeutete, Enkelin eines Conversos zu sein? Es hieß zum Beispiel, dass mein Großvater in Ávila durch Bestechung einen Adelstitel erwarb, damit er besser geschützt war und an den entsprechenden Privilegien teilhaben konnte. So musste er auch keine Steuern bezahlen und konnte seine Kinder standesgemäß verheiraten. Mein Vater vermählte sich zuerst mit einer »del Peso« und in zweiter Ehe mit einer »de Ahumada«, einer adligen Altchristin aus der Oberschicht von Ávila. Trotzdem blieb der Makel, jüdischer Abstammung zu sein, wenn auch vielleicht manchmal mehr im Gefühl als in der Realität. Da den Converso-Familien über Generationen hinweg Misstrauen entgegengebracht und ihnen bei jeder Gelegenheit unterstellt wurde, dass sie den neuen Glauben nur vortäuschten, wollten wir ihn besonders eifrig leben und uns gesellschaftlich so weit wie möglich absichern. Einige meiner Brüder haben auf diesem Hintergrund wie viele andere Conversos ihr Glück in Amerika versucht.
Ignatius
Das kann ich mir vorstellen, liebe Teresa, denn ich habe selber erlebt, wie die kirchlichen Autoritäten in Spanien verhindern wollten, dass Conversos in die Gesellschaft Jesu aufgenommen werden. Ich habe mich mit allen Kräften erfolgreich dagegen gewehrt und mit Diego Lainez gehörte sogar ein Converso zum engsten Kreis meiner ersten Gefährten. Die Auseinandersetzung mit Kardinal Silíceo, der mit allen Kräften die Durchsetzung der Statuten des »reinen Blutes« verfolgte, war allerdings sehr heftig. Silíceos Argumentation gegen die Conversos enthielt bedenklichste antijüdische Klischees vom Gottesmord der Juden bis zur jüdischen Weltverschwörung. Ich selber habe einmal gesagt, dass es für mich eine Ehre wäre, jüdischer Abstammung zu sein, weil ich so Jesus näher sein könnte.
Teresa
Das zu hören tut mir gut, lieber Ignatius, und ich schätze es sehr. In meinen neu gegründeten Klöstern durften die gesellschaftliche Herkunft und die Statuten des »reinen Blutes« auch keine Rolle spielen. Stell dir vor, ich hätte ja sonst selber nicht eintreten können!
Doch zurück zu unserer Jugendzeit: Ein weiterer grundlegender Unterschied zu dir war, dass ich als Mädchen keine Chance hatte, ritterliche Abenteuer zu bestehen, eine Beamtenlaufbahn einzuschlagen oder Theologie zu studieren. Wenigstens unterstützten mich meine Eltern immer. Sie lehrten mich sogar Lesen und Schreiben, was damals nur sehr wenigen Frauen ermöglicht wurde und das ich sehr liebte. In der Bibliothek meines Vaters fand ich religiöse Bücher. Später, in der Pubertät, las ich Ritterromane, die Lieblingsbücher meiner Mutter. Das gefiel mir. Ich begab mich in die Welt der vornehmen Damen, liebte schöne Kleider und sorgte dafür, dass ich attraktiv aussah. Du siehst, die ritterliche Welt war uns gemeinsam, für dich allerdings real, für mich im Lesen und im Spiel. Aber nicht nur das: Als kleines Mädchen wollte ich unbedingt als tapfere Märtyrerin im Kampf gegen die Mauren sterben. Ich hoffte, mir so den Himmel zu verdienen und der Höllenstrafe, die für jedes kleine Vergehen drohte, zu entgehen. Und tatsächlich zog ich als Kind eines Tages mit meinem Bruder los. Unser Unternehmen endete allerdings kläglich vor den Toren der Stadt, wo mein Onkel uns entdeckte und nach Hause zurückbrachte. Das war schlimm, denn im Unterschied zu dir blieb mir als Frau in der damaligen Gesellschaft nur die Alternative Heirat oder Kloster. Wenn ich mir dazu das Schicksal meiner Mutter vor Augen hielt, die nach der Geburt des zehnten Kindes – ich war damals 13 Jahre alt – mit 35 Jahren ganz entkräftet gestorben war, war Heirat kein Weg für mich. Andererseits wollte ich auch nicht ins Kloster, denn diese Variante hatte ich bereits kennengelernt. Mein Vater hatte mich nämlich mit 14 Jahren ins Internat der Augustinerinnen gesteckt, damit ich gutes Benehmen lerne und überhaupt alles, was ein junges Mädchen aus gutem Hause wissen musste. Dort begegnete ich zwar glaubwürdigen Ordensfrauen und fühlte mich auch bald wohl, aber ich hatte Mühe mit der Art der dortigen Frömmigkeitsübungen. Zudem hatte ich schon damals Ohnmachtsanfälle und Fieberschübe. Deshalb holte mein Vater mich nach eineinhalb Jahren wieder nach Hause. Aber von da an hatte ich zeitlebens mit Krankheiten zu kämpfen. Das kanntest du, lieber Ignatius, ja nur zu gut mit deinen Beschwerden nach der Kriegsverletzung und den Folgen deiner übertriebenen Bußübungen, wie du später selber schriebst.
Also: Es stimmt, unsere Herkunft und unsere erste Lebensphase waren sehr verschieden. Ich war geprägt durch die Folgen, die die jüdische Herkunft mit sich brachte, und durch die gesellschaftliche und kirchliche Diskriminierung als Frau bzw. die Festlegung auf die Rolle zu heiraten und Kinder zu gebären oder ins Kloster zu gehen. Schließlich plagte mich die verbreitete Höllenangst. Mir setzte das alles sehr zu und es machte mir Angst, obwohl ich eigentlich ein fröhlicher Mensch war.
In diesem Dilemma entschied ich mich mit zwanzig Jahren – gegen den Willen meines Vaters – für das Kloster. Nicht aus Begeisterung, sondern um im Kloster zu büßen und so der Hölle zu entgehen sowie mich der Herrschaft eines Mannes so weit wie möglich zu entziehen.
3. Grenzerfahrungen in der Lebensmitte und was darin gewachsen ist
Herumgetrieben auf dem stürmischen Meer – Die Verwundung und die Folgen
Ignatius
Tatsächlich, Teresa, meine Welt war wirklich eine ganz andere. Nach meiner Ausbildung am Hof hoffte ich auf eine große Karriere und träumte von ritterlichen Großtaten. Bald bot sich anlässlich der Verteidigung der Festung Pamplona gegen die Franzosen eine hervorragende Gelegenheit, meinen Mut und meine Tüchtigkeit zu beweisen. Da die Lage aussichtslos war, dachte die kastilische Truppe bereits ans Kapitulieren. Nun wollte ich meinen Mut unter Beweis stellen. Ein Zeuge berichtete später über mich: »Angetrieben von seiner Kühnheit und seinem heißen Wunsch nach Ehre … sprengte [er] mit einer kleinen Gruppe Soldaten im Galopp in die Stadt hinein.«2 Und was geschah? Eine Kugel zertrümmerte mein rechtes Bein – und es kam noch schlimmer: Nach dem mühsamen Transport in das