Exerzitien - das Leben beleben. Willi Lambert
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Begeistert leben: Früchte des Geistes
Die Formulierung »Geistliche Übungen« legt zunächst die Frage nahe, was mit »geistlich« und »Geist« gemeint sein soll. Der Sprachgebrauch gibt Auskünfte: Teamgeist, Klassengeist, Geisterbahn, Begeisterung, Heiliger Geist, böser Ungeist, geistvoll und geistesgestört. Früher nannte man Priester nicht selten »Geistliche« und es wird um »geistliche Berufe« gebetet.
Ich erinnere mich daran, dass meine Mutter gelegentlich mit einem etwas leisen, andachtsvollen Ton in der Stimme sagte: »Die Tante Maria hält sehr viel vom Heiligen Geist.« Es muss mehr gewesen sein als der Rat, man solle bei einer Prüfung zum Heiligen Geist beten. Was hat es mit dem Heiligen Geist auf sich? Gibt es ihn nur auf der Geisterbahn oder mitten in unserem Leben? Die vielleicht einfachste Annäherung an seine Wirklichkeit ist der Verweis auf die bildhafte Sprache der ersten Christen von den »Früchten des Geistes«. Von Früchten lebt man. Eine Reihe davon zählt Paulus auf: »Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung« (Gal 5,22). Sind diese geistlichen Haltungen nicht lebensspendend und nah am alltäglichen Leben? Ob Menschen einander liebevoll oder missachtend begegnen, macht einen Unterschied und ebenso, ob jemand Mitempfinden hat oder alles an ihm wie an einer Plastikhaut abläuft. So ließe es sich vielfach weiterformulieren. Innere Haltungen äußern sich im konkreten Leben als freundlicher Gruß, als Krankenbesuch, als angemessene Rücksichtnahme auf Nähe und Abstand nicht nur in der Zeit der Pandemie, als Hausaufgabenhilfe, Verlässlichkeit und Treue, verständnisvolles Zuhören, finanzielle Unterstützung und all die vielfältigen Weisen des Begegnens.
Die Wirklichkeit des Geistes zeigt sich auch durch die Nennung der Früchte des Ungeistes, in der Bibel oft mit dem Wort vom verderblichen und verwesenden »Fleisch« bezeichnet. Dazu zählt Paulus: »Unzucht, Unsittlichkeit, ausschweifendes Leben, Götzendienst, Zauberei, Feindschaften, Eifersucht, Jähzorn, Eigennutz, Spaltungen, Parteiungen, Neid und Missgunst, Trink- und Essgelage und Ähnliches mehr« (vgl. Gal 5,13–26). Der doppelte spirituelle Speisezettel stellt die Frage: Wovon nähren wir uns? Sind es Giftstoffe oder lebensfördernde Seelenspeisen? Paulus schreibt in seiner kräftigen Sprache: »Das ganze Gesetz ist in einem Wort zusammengefasst: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Wenn ihr einander beißt und verschlingt, dann gebt acht, dass ihr euch nicht gegenseitig umbringt« (Gal 5,14f.).
Die geistlichen Übungen von Ignatius sind ein Beitrag zur Nahrung des inneren, des seelischen Menschen. Da geht es in erster Linie nicht um Kilokalorien, vegetarisches, veganes Essen, sondern um die spirituelle Gewichtung: »Das Gewicht der Seele ist die Liebe«, so Ignatius. Exerzitien sind eine Art Diät und Reha-Zeit der Seele und beleben mit der Frage: »Wes Geistes Kind bin ich?« Die vielgenannte »Kirchenkrise« ist wesentlich eine Heilig-Geist-Vergessenheit.
Exerzitien – Leben einüben
Exerzitien, exerzieren stammt vom Lateinischen exercere, was »üben« bedeutet, und dies wiederum kommt aus der Formulierung »ex arce«, d.h. aus der Burg herausgehen. Das Heer übt sich, um im Notfall für den Kampf, den Schutz bereit zu sein. Für Ignatius gehörte das Üben von höfischen Sitten, diplomatischer Sprache und Verhandlungsführung, Verwaltungsaufgaben bis hin zum Training mit Waffen zum täglichen Geschehen; Letzteres liebte er besonders.
Leben lebt vom Üben, vom Einüben und Ausüben. Was gibt es, was ohne Üben geht? Sprechen, Singen, Musizieren, Arbeiten, berufliches Tun, Gesprächsführung, Entscheiden, Training beim Sport, Beziehungskultur, Tugenden, innere Haltungen, Wissenschaft mit ihren Experimenten. Gewohnheiten und alles Lernen sind ganz wesentlich verbunden mit Üben. Übung ist ein wiederholtes Tun auf ein bestimmtes Ziel hin und mit bestimmten Methoden. Das mag streckenweise anstrengend, ermüdend, langweilig und langwierig sein und nur mit Geduld und Lernbereitschaft und mit demütigem Repetieren zum Ziel führen. Es ist, wie Otto Friedrich Bollnow in seinem Buch »Vom Geist des Übens« schreibt: »Vom Kennen zum Können führt nur das Üben.« Und eine wesentliche Botschaft ist der vielsagende Titel des Bestsellers von Erich Fromm: »Die Kunst des Liebens«. Viele Liebesbeziehungen scheitern seiner Erfahrung nach daran, dass Liebe mit Verliebtheit verwechselt wird. Liebe wächst nur im gegenseitigen Lernen und Üben; man könnte auch sagen durch Inspiration und Transpiration.
Üben ist ein Akt der Hoffnung
In diesem Wort kommt zum Ausdruck, dass Üben nicht ein stures, sozusagen absichts- und hirnloses Wiederholen ist, sondern einem Sinn und Zweck dient. Dies wird auch deutlich, wenn man der Wortwurzel von Üben, nämlich »uoben«, nachgeht. Es bedeutet laut Lexikon: pflegen, bebauen, verehren. Die vermutlich aus dem bäuerlichen Bereich stammenden Menschen sahen im Prozess des Wachsens sozusagen drei Dimensionen: Man muss ein Feld bebauen, dann das Ausgesäte pflegen und schließlich müssen sie offensichtlich das ganze Geschehen mit einer Art Ehrfurcht wahrgenommen haben. Dieser Dreiklang bestätigt sich durch das lateinische Wort colere. Beim Lernen musste man sich die Sache einprägen: colere heißt pflegen, bebauen, verehren. Das Geschehen von Kultur und Kult kommt von dorther.
Wie differenziert und vielgestaltig das Üben ist, zeigt sich in einem etwas unbekannten Text aus dem zweiten Brief von Petrus. Er liest sich wie eine Treppe, auf der man bei jedem Wort innehalten kann: »Alles, was für unser Leben und unsere Frömmigkeit gut ist, hat seine göttliche Macht uns geschenkt, darum setzt allen Eifer daran, mit eurem Glauben die Tugend zu verbinden, mit der Tugend die Erkenntnis, mit der Erkenntnis die Selbstbeherrschung, mit der Selbstbeherrschung die Ausdauer, mit der Ausdauer die Frömmigkeit, mit der Frömmigkeit die Brüderlichkeit und mit der Brüderlichkeit die Liebe. Wenn dies nämlich bei euch vorhanden ist und wächst, dann nimmt es euch die Trägheit und Unfruchtbarkeit für die Erkenntnis unseres Herrn Jesus Christus« (2 Petr 1,3–8).
Sich disponieren – Gnade und Mitwirken
Die Übungen, so Ignatius, sollen helfen, »sich vorzubereiten« (se disponer), so wie man den Empfang eines Gastes vorbereitet. Wer sich darauf freut, die Begegnung ersehnt, wird tun, was er dafür tun kann. Die Zusage, das Kommen des Gastes sind dessen Entscheidung und Wirken, dessen Geschenk, dessen Gnade. Bedeutsam ist, dass Gott selber den Menschen zu dessen Tun disponiert (EB 20). Diese doppelte Disposition ist kurzgefasst die ignatianische Theologie, in der sich Gottes Gnade und menschliches Mitwirken vereinen. Dies ist eine Sichtweise, die immer wieder auch im ökumenischen Dialog erstaunt und dankbar verstanden und angenommen wird. Dies wird auch noch dadurch verstärkt, dass es in einer Vorbemerkung heißt, die begleitende Person solle »unmittelbar den Schöpfer mit dem Geschöpf wirken lassen und das Geschöpf mit seinem Schöpfer und Herrn« (EB 15).
Das Leben – ein Frommwerden
Das Leben ist nicht ein Frommsein,
sondern ein Frommwerden;
nicht eine Gesundheit, sondern ein Gesundwerden;
nicht ein Sein, sondern ein Werden;
nicht eine Ruhe, sondern eine Übung.
Wir sind’s noch nicht, wir werden’s aber.
Es ist noch nicht getan oder geschehen,
es ist aber im Gang und im Schwang.
Es ist nicht das Ende, es ist aber der Weg.
Es glüht und glänzt noch nicht alles,
es reinigt sich aber alles.
(Martin Luther)
Auf dem Weg des Lebens