Dreißig Stufen zum Paradies. Wunibald Müller
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Du machst die Erfahrung, dass es in dir selbst eine Welt gibt, in die du dich begeben und in die du dich verankern kannst; es in dir einen Kern gibt, der mehr ist als das, was du äußerlich darstellst; es wichtig ist, immer wieder mit deinem Kern in Berührung zu kommen, von dort her dein Leben zu sehen und zu leben.
Komme mit deinem Kern in Berührung.
Du bist mehr als deine Karriere,
deine Beziehungen, dein Scheitern, deine Defizite.
3. STUFE
Richte den Blick auf den Himmel
in dir und über dir
Die Sehnsucht nach Gott verdrängt die Sehnsucht nach den Eltern.
Der Aufstieg nach oben geht steil aufwärts. Die Richtung, die Johannes Klimakus vorgibt, ist klar. Es ist nichts weniger als der Himmel. Weg vom Irdischen, hin zum Überirdischen. Dabei müssen beide Augen zum Himmel ausgerichtet sein, nicht etwa das eine zum Himmel und das andere zur Erde. Er verlangt einen radikalen Schnitt. Eine radikale Kehrtwendung. „Eine Widmung des Menschen an den Himmel“ (40).
Für mich heißt das: eine Kehrtwendung nach innen. Die Leiter führt, so paradox das klingen mag, über den Abstieg in die Tiefe in die Höhe des Himmels. Johannes Klimakus geht es bei der dritten Stufe um „ein Denken in der Tiefe der Seele“; „einen Verzicht auf den Ruhm der Welt“; „einen Abgrund des Schweigens“. „Die Zurückziehung aus der Welt ist die Mutter der Tugend, durch welche wir keinen Sinn für das Irdische haben“ (42). Rückzug, Exil, um uns von allem zu trennen, was uns daran hindern könnte, um ganz auf Gott ausgerichtet sein zu können.
Es geht dabei um das, was der Tiefenpsychologe C. G. Jung die Person Nr. 2 nennt. Die Person Nr. 1 ist die Person, die ihren Platz in der Welt und in der Gesellschaft hat beziehungsweise sucht, im Unterschied zu der Person Nr. 2, die nach innen hört, ein reiches Innenleben führt, eintaucht in ihre Tiefe, wo sie mit ihrer Sehnsucht nach dem Grenzenlosen, dem Ewigen in Kontakt kommt. Die Pflege dieses inneren Lebens ist nicht weniger wichtig als die Pflege und Gestaltung des äußeren Lebens, ja nach Klimakus sogar wichtiger.
Der Kontakt mit Gott, die Pflege der Beziehung zu Gott, wird von der äußeren Person wahrgenommen etwa durch die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft oder einer Kirche, die Teilnahme an Gottesdiensten, das persönliche Beten. Allein die innere Person trägt dafür Sorge, dass der äußere Versuch, mit Gott in Kontakt zu kommen, zu einem inneren Geschehen wird, bei dem die Verbindung mit Gott innerlich erfahrbar wird. Wir jetzt schon in uns etwas von der Sehnsucht nach dem Himmel, hinter der letztlich die Sehnsucht nach Gott steht, anfanghaft erfahren dürfen. Diese Sehnsucht nach Gott aber verdrängt, so Johannes Klimakus, die Sehnsucht nach dem, was uns an Irdischem geschenkt worden ist, einschließlich unserer Eltern und Freunde.
So wirst du in der dritten Stufe auf der Leiter zum Paradies dazu aufgefordert, dich von der Sehnsucht nach dem Größeren, der Sehnsucht nach Gott, leiten zu lassen. Der Melodie zu folgen, die vom Himmel kommt. Alles zu vermeiden, was dich davon abhält, dieser Melodie zu folgen. Auch nicht von Überzeugungen, die dir einflössen, gebraucht zu werden, die anderen nicht im Stich zu lassen. „Wenn wir uns eine geringe Fähigkeit im Leben oder oberflächliche Kenntnisse erworben haben, so meinen wir, wir müssten nun zur Belehrung und Rettung der Welt in die Welt zurückgehen – ja, damit auf dem Meere wieder verloren gehe, was im Hafen gesammelt ist“ (43).
Das alles könnte auch als Egotrip missverstanden werden, und die Gefahr, dass es zu einem Egotrip wird, besteht. Es geht dann nicht um Egotrip, wenn du dabei das für dich tust, was du für dich tun kannst, um deiner Sehnsucht nach Gott die Bahn zu brechen, um glücklich zu werden. Du nicht glaubst, das Heil und das Glück, gar die Erlösung der anderen hingen von dir ab. Du dich von Allmachtsphantasien frei machst, die dich letztlich von der Auseinandersetzung mit dir selbst abhalten.
Folgst du aber deiner Sehnsucht nach Gott, folgst du der Stimme deiner Seele, angefeuert von der göttlichen Flamme. „Beeile dich also, wenn du die göttliche Flamme erhalten hast, denn du weißt nicht, wann sie erlischt und dich in Finsternis lässt“ (41).
Schenke deinem Innenleben genauso viel
Aufmerksamkeit wie deinem äußeren Leben.
4. STUFE
Höre und gehorche
Aus dem Gehorsam entsteht die Demut und aus ihr die selige Ruhe des Geistes.
Umgürte deine Lenden mit dem Schoßtuche des Gehorsams.“ Mit dieser Aufforderung lädt Johannes Klimakus dazu ein, die vierte Stufe auf der Leiter, die zum Paradies führt, zu besteigen. Man muss, um Johannes Klimakus zu verstehen und sich nicht von seinen drastischen Beispielen geleisteten Gehorsams abschrecken zu lassen, das Ziel immer vor Augen haben, Seelenruhe zu finden und Gott immer näher zu kommen.
Da heißt es bei ihm zum Beispiel: „Der Gehorsam ist das Grab des eigenen Willens“ (41).
Letztlich geht es darum, das eigene Denken und Wollen dem Willen Gottes zu unterstellen. Dabei kommt dem Seelenführer nach Johannes Klimakus eine wichtige Rolle zu. Diesen gilt es, bevor du ihn dir als Begleiter wählst, mit aller Vorsicht zu prüfen und zu beobachten, „damit wir nicht einen gewöhnlichen Matrosen statt eines Steuermanns, einen Kranken für einen Arzt, einen sündhaften für eine sündlosen Mensch, das gefahrvolle Meer für den Hafen der Ruhe in unserer Unwissenheit wählen“ (52).
Haben wir uns aber für einen Seelenführer entschieden, dann sollen wir „über unseren guten Lehrmeister nicht mehr zu Gerichte sitzen, selbst wenn wir an ihm – denn auch er ist ein Mensch – einige kleine Schwächen wahrnehmen“ (52). Ihm sollen wir alle Dinge bekennen, unsere Verschuldigungen und Wunden, „denn Wunden, die man offen zeigt, werden dadurch nicht schlimmer, sondern vielmehr geheilt“ (54).
Ob Johannes Klimakus mir zustimmt, wenn ich ihm sage, dass Gehorsam auch von Hören, sprich Zuhören kommt, weiß ich nicht. Für mich gehört das jedenfalls zum Gehorsam. Da hört jemand – zum Beispiel der Seelenführer und die Seelenführerin – mit mir hin, was Gottes Wille ist. Er nimmt sich die Zeit dafür. Ist wirklich daran interessiert, was Gott von mir will. Hält sich zurück, versucht nicht, mir seine Interessen schmackhaft zu machen usw.
Interessanterweise tauchen bei Johannes Klimakus in diesem Kapitel Begriffe wie „Glück“, „Ewige Freiheit“ und „Geistige Ruhe“ auf. „Die sich dem Herrn in Einfalt des Herzens unterwerfen, wandeln auf dem Weg des Glücks“ (54). Wer sich einmal dem Schicksal überlassen hat, der ist befreit, sagt viele Jahrhunderte nach Johannes Klimakus Hermann Hesse. Das aber heißt: Du entscheidest dich, Gott in der Einfalt deines Herzens zu unterwerfen. Du überlässt dich dem Schicksal. Du könntest dich auch anders entscheiden – und bleibst trotzdem dem Schicksal überlassen.
Überlässt du dich aber dem Schicksal, überlässt du dich der Führung Gottes, kehren selige Ruhe, Gelassenheit in dein Leben ein. Dann bist du „ruhig und gefasst (es ist das Schönste und wiewohl Seltenste) im Geiste inmitten der Sorgen und Verwirrungen“ (71), die dich umgeben.
Ja, das riecht tatsächlich nach Glück. Also klettere weiter auf der Leiter, die zum Glück, zur Herzensruhe, führt.
Höre auf die Stimme deines Herzens.
Überlasse dich der