Toter Regens - guter Regens. Georg Langenhorst
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„Damals war es doch einer aus dem unmittelbaren Umfeld“, erinnerte sich Beate Kellert an die Tötung des Dekans der Katholischen Fakultät. „Einer seiner Kollegen. Könnte das nicht dieses Mal auch so sein?“ „Das kann stimmen, ja. Täter stammen meistens aus dem direkten Lebenskreis der Opfer“, schloss sich ihr Mann ihrer Vermutung an. „Es ist mehr als wahrscheinlich, dass das dieses Mal ähnlich ist. Nur: Was heißt das bei diesem Regens? Was heißt ‚Lebenskreis‘ bei einem zölibatär lebenden Mann in einem Priesterseminar?“
„Woher weißt du denn, dass der wirklich zölibatär gelebt hat? Man liest ja heute alles Mögliche, wie die so leben“, gab Beate Kellert zu bedenken: „Vielleicht liegt genau da ja auch das Motiv. Wer weiß?“ „Klar, daran habe ich natürlich auch schon gedacht“, entgegnete ihr Mann, „oder er war schwul, wurde erpresst oder was weiß ich. Solche Storys kennt man inzwischen nun wirklich zur Genüge. Aber irgendwie kann ich mir das nicht vorstellen. So blöd ist die Kirche doch nicht! Ausgerechnet bei einem Mann, der so sehr im Fokus der Öffentlichkeit steht, werden die sich schon sehr genau überlegen, wen sie dafür auswählen.“
„Und wie geht es dir damit, in diese Männerwelt einzudringen?“, fragte Beate, nachdem sie einen Schluck Mineralwasser getrunken hatte. „Auf Frauen wirst du da wohl kaum stoßen, oder?“ – „Doch, klar gibt es da auch Frauen. Aber du hast schon recht. Natürlich ist das eine Männerwelt. Mit ganz eigenen Gesetzen, scheint mir. Ein bisschen kenne ich das ja von der Polizei. Als ich dort anfing, gab es da auch fast nur Männer. Hat sich ja geändert. Wobei die Typen bei der Polizei und dort im Priesterseminar schon sehr verschieden sind.“
„Das will ich doch schwer hoffen“, gab Beate zurück. Sie lehnte sich zurück, gähnte, legte sich die rechte Hand auf den Mund und blickte ins Leere. Bernd Kellert schwieg, sinnierte seinen Gedanken nach. Auch sein Blick verlor sich in der Dämmerung des abendlichen Wohnzimmers. „Morgen werde ich seine Mitarbeiter noch mal genauer befragen“, fügte er dann an. „Und ich will mit einigen der Studenten aus dem Haus sprechen. Ich brauche einfach einen noch viel genaueren Einblick, wie es da zugeht.“
9
Sie saßen wieder in demselben ungemütlichen Besprechungszimmer des Priesterseminars. Dieses Mal aber zu viert: Kellert und Thiele, dazu Spiritual Dietz und Subregens Arenhövel. Die beiden Geistlichen waren zwar nicht begeistert gewesen, als Thiele sie angerufen und mit der Bitte um ein erneutes Gespräch konfrontiert hatte, aber natürlich hatten sie sich dann gefügt.
Dietz hatte auch hier auf das Anlegen des Priesterkragens verzichtet, war wie am Vortag eher leger gekleidet. Arenhövel hingegen trug exakt dieselbe Kleidung wie gestern, entweder im buchstäblichen Sinne oder er verfügte über mehrere weitgehend identische Ausstattungen. Die beiden Kleriker saßen zwar nebeneinander auf der anderen Seite des Tisches, den beiden Polizisten gegenüber, fühlten sich aber Seite an Seite offensichtlich nicht besonders wohl. In ihrer Körpersprache wurde der Wunsch nach Distanz sehr deutlich. Die Sitzrichtung sowie die Arm- und Beinstellung wiesen deutlich voneinander fort. Kellert und Thiele fiel das natürlich sofort auf und sie machten sich ihre entsprechenden Gedanken.
Arenhövel hatte es sich nicht nehmen lassen, eine blasse Kerze zu entzünden, die in einem Keramikhalter in der Mitte des Tisches stand. Das gehörte hier scheinbar zum Gesprächsritual. Und erinnerte den Kommissar an die ungelöste Frage, wer denn nun die Kerzen im Büro des Regens ausgelöscht hatte. Wahrscheinlich nach der Tat.
„Ich frage Sie ganz offen und bitte Sie dringend um ehrliche und umfassende Antworten“, begann Kellert in seinem direktiven Tonfall. „Wir müssen alles wissen, was zur Auflösung des Falls beitragen kann, gerade auch in Ihrem Interesse. Und zu entscheiden, was genau dazu dienen kann, das müssen Sie einfach uns überlassen.“ Er blickte hinüber, suchte den Augenkontakt zu den Angesprochenen und entlockte beiden ein zustimmendes Nicken: unbeschwert, lächelnd, mit einem leichten Anflug von Ironie bei Dietz, mit leichter Verzögerung und verkniffen bei Arenhövel.
„Nun denn: Hatte Regens Görtler Feinde? Gab es Streit oder Konflikte, die über das normale Alltagsmiteinander hinausgingen?“ „Sie sind gut“, brach es spontan aus Arenhövel heraus, „was glauben Sie, wie unser Alltag hier aussieht? Natürlich gibt es Streit, natürlich gibt es harte Konflikte. Ständig. Wir entscheiden hier über Lebensläufe. Wir müssen erwachsenen Männern sagen, was geht und was nicht. Wir entscheiden, wer aufgenommen wird, wir entscheiden, wer bleiben darf. ‚Göttliche Berufung‘ – gut und schön; aber wir müssen herausfinden, ob die vorliegt. Und durchträgt.“
Dietz hatte ihm beruhigend die Hand auf den Arm gelegt und unterbrach nun den heftigen, emotionalen Redeschwall. „Wir wollen vor allem natürlich dabei helfen, dass die jungen Männer ihren Weg selbst finden. Wir können sie dabei schon sehr gut unterstützen. Es ist keineswegs so“ – hier wandte er sich vor allem an Kellert – „als ob wir hier ständig nur Probleme hätten. Es gibt auch gute Phasen des Miteinanders. Das ist eigentlich der Normalfall. Wir versuchen vor Gott unser Leben zu gestalten, im Gebet, in Gottesdiensten, im Studium, in gemeinsamer Verantwortung für die Kirche. … Klar“, nun blickte er auf Arenhövel, „sicherlich gibt es auch Konflikte. Wie sollte das anders sein, wenn so viele Menschen auf relativ engem Raum zusammenleben; und wo einige eben das Sagen haben und die anderen sich fügen müssen. Aber das ist doch ganz normal, oder?“
„Schon“, gab Kellert zurück, „das beantwortet aber nicht meine Frage. Bitte konkret, meine Herren. Gab es so etwas wie Feindschaften? Gab es zuletzt besondere Probleme?“ Die beiden Kleriker sahen sich an, rangen sichtlich innerlich darum, was sie erzählen sollten, was nicht.
„Sie wollen also, dass wir Ihnen etwas aus der Gerüchteküche erzählen!“, schnaubte Arenhövel. „Was glauben Sie, was man sich hier so alles erzählt. Und anderswo über uns. Aber das ist zum Teil so unter allem Niveau, davon werden Sie von mir nichts hören. Nichts!“ Spiritual Dietz nickte zustimmend, kratzte sich am Kinn und ergänzte dann: „Das können Sie wirklich nicht erwarten, meine Herren. Aber es gab schon Konflikte, die mehr waren als ein Gerücht. Und darüber, Maximilian“ – hier blickte er zu Subregens Arenhövel –, „können wir schon sprechen, meine ich.“
Arenhövel blickte eher skeptisch auf seinen älteren Kollegen. Sichtlich widerwillig ließ er ihn weiterreden. „Es ist ja kein Geheimnis, dass Regens Görtler Weihbischof werden sollte.“ Arenhövel fuhr empört auf. „Komm, komm, Maximilian, das pfeifen die Spatzen Friedensbergs von den Dächern“, wies ihn Dietz zurecht. Kellert bestätigte, um Arenhövel zu beruhigen und den Redefluss des Spirituals nicht zu stoppen: „Stimmt, das ist auch schon zu uns vorgedrungen.“
„Na siehst du, Maximilian! Nun, es gab – sollte ich besser sagen: gibt? – einen anderen Kandidaten: Domkapitular Dr. Franz Joseph Breskamp. Der vertritt eher, ich sage das jetzt mal so, einen konservativen Flügel im Bistum. Macht uns ständig Druck: ‚Liefert uns Priester, wir brauchen Leute!‘ Wir hier sagen immer: ‚Gern, solange sie wirklich geeignet sind.‘ … Na ja, nur so ein Beispiel, wie unterschiedlich die Positionen sind. Breskamp würde wirklich gern Weihbischof werden. Und es gibt viele im Bistum, die ihn darin massiv unterstützen, glauben Sie mir.“
„Das klingt aber eher nach Konkurrenz als nach Feindschaft“, warf Kellert ein. Arenhövel nickte heftig und demonstrativ. Dietz blickte den Kommissar schräg an und grinste bitter: „Schon, aber die Grenzen sind doch oft fließend, oder? Wo hört Konkurrenz auf, wo beginnt Feindschaft? Jedenfalls: Vor ein paar Wochen gab es einen ziemlichen Eklat.“ „Günther! Das geht jetzt aber wirklich zu weit!“, fiel ihm Arenhövel, der seinem Kollegen die ganze Zeit unruhig auf seinem Stuhl hin