Toter Regens - guter Regens. Georg Langenhorst
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Читать онлайн книгу Toter Regens - guter Regens - Georg Langenhorst страница 6
Kellert schüttelte sich und wich nach rechts aus. Nachmittags im Polizeipräsidium – da lief man allen möglichen Kolleginnen und Kollegen über den Weg, ob man wollte oder nicht. Auf gerade diese Begegnung hätte er jedoch gut und gern verzichten können. Ihm war nicht nach kollegialem Small Talk und schon gar nicht nach Scherzen zumute. Wie er überhaupt in der letzten Zeit seine privaten Kontakte deutlich reduziert hatte. Mehr und mehr hatte er sich in seine eigene Welt zurückgezogen.
Etwas gequält fragte er nun zurück: „Hm, KK?“ „Na, Kirchen-Kommissar!“, erwiderte der leicht in die Breite gegangene, etwas feist wirkende Sacherer und brach in lautes Gelächter aus. Ein Lachen auf Kosten Kellerts, das war schon deutlich. „Du hast doch damals schon den Mordfall an der Theologischen Fakultät an der Backe gehabt. Und offensichtlich hast du dich bewährt, gratuliere!“*
„Na danke“, knurrte Kellert, der sich an diesen außergewöhnlichen Fall natürlich gut erinnerte. Gut zwei Jahre war das jetzt her. Er hatte das bislang noch überhaupt nicht mit diesem Fall in Verbindung gebracht. ‚Stimmt aber schon‘, überlegte er nun, ‚da bin ich wieder in demselben Milieu gelandet. Aber ›KK‹. Der spinnt!‘ Mit einem unverständlichen Murmeln entwand er sich der Gegenwart des Kollegen, der ihm immer noch breit grinsend hinterherschaute.
„Hast du etwas über diesen Spiritual herausbekommen?“, fragte er den bereits an seinem Schreibtisch sitzenden Dominik Thiele, als er in das gemeinsame Büro trat. „Jepp“, gab der zurück. „Ich habe ihn für vier Uhr bestellt. Der meldete sich erst beim vierten Versuch auf seinem Handy. Hat was Undeutliches als Entschuldigung vor sich hin gebrabbelt, das habe ich aber nicht richtig verstanden. Na, wir werden ja hören, wo er war.“
„Danke, gut!“, gab sein Chef nickend zurück, lehnte sich nach hinten und sinnierte vor sich hin. „Tja: Mord an einem Geistlichen, der das Priesterseminar leitet. Ein Haus voller junger oder nicht mehr ganz so junger Männer, die selbst Priester werden wollen. Warum auch immer. Irgendjemand muss einen zwingenden Grund gehabt haben, ihn umzubringen. Was war das Motiv? Hass, Verzweiflung, Eifersucht, das Gefühl von Missachtung?“
Thiele blickte über die aneinandergeschobenen Schreibtische hinüber. Beide überlegten. „Ich kann mich da schwer hineindenken, Bernd“, meinte der Jüngere nach einiger Zeit. „Mit Kirche habe ich nichts am Hut, das weißt du ja. Ich bin ja quasi religionslos aufgewachsen. Du bist immerhin katholisch …“
„Jetzt fang du nicht auch noch damit an!“, fiel ihm Kellert ins Wort. Thiele sah ihn verständnislos an. „Katholisch hin oder her, ich kenne mich in dem Laden doch auch nicht aus! Wir müssten einfach mehr darüber wissen, wie so ein Priesterseminar von innen funktioniert. Wer wofür zuständig ist. Welche Spannungen es gibt. Welche Konfliktfelder“, ergänzte der Kommissar, zuletzt wieder ganz sachlich.
„Der Täter“ – er schaute nickend zu Thiele hinüber und ergänzte – „doch, ich glaube schon, dass das ein Mann war, so wie der Mord ausgeführt wurde, und in dem ganzen Zusammenhang mit dieser seltsamen Männerwelt da … Also: Der Täter stammt aus dem Umfeld dort, davon bin ich überzeugt. Wie kommen wir da näher ran?“
„Meinst du, dass die überhaupt irgendetwas nach außen dringen lassen wollen? Gibt es da nicht irgend so eine Art Corps-Geist oder wie das heißt? Haben wir da überhaupt eine Chance, an die heranzukommen?“, gab Thiele zu bedenken. „Kann sein, dass du recht hast mit deinen Befürchtungen“, stimmte Kellert zu. „Oder auch nicht. Vielleicht gibt es da auch einige, die noch eine interne Rechnung begleichen wollen und gerade deshalb aus dem Mannschaftsgeist ausscheren. Werden wir ja sehen.“
Der Blick des Kommissars verlor sich in den Luftschichten unter der Zimmerdecke. Nachdenklich blickte Thiele seinen Chef an. Irgendetwas stimmte mit Kellert in der letzten Zeit nicht. Doch, er konzentrierte sich auf jeden neuen Fall wie auf alle Fälle zuvor. Aber ihm fehlte … ja was? Die Leichtigkeit? Die Freude an der Arbeit? ‚Ich muss ein bisschen auf ihn aufpassen‘, gab sich der Jüngere mit auf den Weg. Wohl wissend, dass der Ältere diesen Gedanken empörend fände.
* Dieser Fall lässt sich nachlesen in: Toter Dekan – guter Dekan. Mord in der Theologischen Fakultät (Echter: Würzburg 2016).
6
Günther Dietz, Spiritual des Priesterseminars der Diözese Friedensberg, fühlte sich sichtlich unwohl, er rückte unruhig auf seinem Stuhl hin und her und spielte fahrig mit einem Kugelschreiber. „Das müssen Sie verstehen, Herr Kommissar“, hatte er gleich nach der Begrüßung gesagt. „Ich war noch nie bei der Polizei. Noch nie! Und ganz ehrlich: Ich hätte auch jetzt nur zu gern darauf verzichtet.“
Dietz war Ende fünfzig, vielleicht aber auch schon Anfang sechzig: braun gebrannt, kraftvoll und – Beate, Kellerts Frau, hätte gesagt – ‚gut aussehend‘. Er hatte volles, kurzgeschnittenes, offenbar immer noch natürlich dunkelbraunes Haupthaar und einen gut gepflegten dünnen Oberlippenbart. Einen Kollar trug er nicht. Stattdessen eine modische, perfekt gebundene Krawatte sowie Hemd und Sakko, beides gewiss nicht von der Stange gekauft. ‚Ein Typ, bei dem ich nie denken würde, dass er Priester sein könnte‘, dachte Kellert. ‚Eher Versicherungsmakler. Oder Therapeut. Und irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich den kenne. Das Gesicht kommt mir bekannt vor. Aber woher? Keine Ahnung!‘
„Was macht denn eigentlich ein Spiritual?“, wollte Kellert wissen. „Ach Gott, tja: Was mache ich?“, besann sich Dietz, wurde aber sofort ruhiger und konzentrierter. „Wissen Sie, ich war lange Jahre ganz normaler Gemeindepfarrer. Nicht in Friedensberg, sondern drüben in Mönchshofen. Da war ich gern. Das war auch nicht leicht, das können Sie mir glauben, aber ich hatte immer das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun. Und konnte spüren, dass meine Arbeit Früchte trug bei den mir anvertrauten Menschen.“
Sein Tonfall änderte sich. „Dann fragte mich der Bischof, ob ich bereit sei, das Amt des Spirituals zu übernehmen. Vor vier, nein jetzt schon viereinhalb Jahren war das. Das konnte ich ihm nicht ausschlagen. Dachte ja auch, das sei ganz interessant. Ist es ja auch, ist es ja auch.“ Er blickte eine Weile vor sich hin. Kellert ließ ihn gewähren, weil er wusste, dass hier jemand dabei war zu erzählen. Das brauchte seine Zeit. Thiele trommelte ungeduldig, aber fast lautlos mit den Fingern der rechten Hand auf der Schreibtischplatte.
„Tja: Was mache ich da?“, setzte Spiritual Dietz wieder ein. „Ich bin zuständig für die spirituelle Ausbildung der Alumnen, so nennen wir die Priesterseminaristen. Versuche sie zu beraten im Blick auf ihre Entscheidung, Priester zu werden. Stehe als Zuhörer und Beichtvater zur Verfügung. Oder vermittle andere Beichtväter, wenn ein Alumne das will. Versuche ihnen eine Gebetspraxis zu zeigen, die sie durch das Leben trägt. Manche suchen Angebote für Meditationsformen. Gut, dann helfe ich ihnen auch dabei. Gestalte mit ihnen Gebetsstunden und Gottesdienste. Organisiere Exerzitien, also geistliche Tage des Rückzugs und der inneren Einkehr. So ungefähr sieht das aus.“
Dietz lehnte sich zurück, war offensichtlich mit seiner Beschreibung der eigenen Tätigkeit nicht unzufrieden. Kellert fragte nach: „Aber – wenn ich Sie richtig verstanden habe – Sie trauern irgendwie Ihrer alten Tätigkeit doch noch nach, oder?“
„Ja, haben Sie den Eindruck?“, gab Dietz zurück. „Mag sein. Die Zeiten haben sich geändert. Für uns Jungspunde im Priesterseminar damals war der Spiritual eine Autorität, unantastbar, hoch verehrt. Heute begegnen mir viele der Alumnen eher indifferent, manche sogar feindlich. Als wollte ich denen etwas aufzwingen, was sie gar nicht wollen. Als würde ich sie kontrollieren, wo es mir doch nur um Hilfsangebote geht. Nicht alle sind so, aber eben immer mehr. Das macht die Arbeit schwierig und mühsam. Man bekommt nur wenige ermutigende