Toter Regens - guter Regens. Georg Langenhorst

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Toter Regens - guter Regens - Georg Langenhorst страница 8

Автор:
Серия:
Издательство:
Toter Regens - guter Regens - Georg Langenhorst

Скачать книгу

Spaghetti und Soße sind vorbereitet. Kann du sie bitte aufwärmen?“

      Eine halbe Stunde später saßen die beiden an ihrem kleinen Esstisch in der dafür vorgesehenen Ecke des Wohnzimmers. Jeder hatte ein Glas Mineralwasser vor sich, und nun aßen sie langsam und genüsslich ihre Nudeln. Dass Dominik Thiele den Rest der Kochvorbereitungen getroffen und den Tisch gedeckt hatte, war normal. Denn dass er sich bei Verena nicht als Pascha und klassischer Ich-tu-zu Hause-nichts-Mann aufspielen konnte, war ihm von Anfang an klar gewesen. Verena strich sich die langen schwarzen Haare aus dem Gesicht. Aufmerksam hörte sie zu, was Dominik von seinem Arbeitstag und dem Mord im Priesterseminar erzählte. Ob er das alles so erzählen durfte? ‚Ich will ja schließlich auch etwas von ihr wissen‘, rechtfertigte er sein Vorgehen vor sich selbst.

      „Den Görtler? Ja, klar kannte ich den!“, hatte sie ausgerufen, als er erwähnt hatte, wer das Opfer des aktuell von ihm bearbeiteten Mordfalls war. „Nicht gut natürlich, das Priesterseminar ist irgendwie eine Welt für sich. Wir Frauen sind dort als Gäste zwar willkommen, aber eigentlich haben wir da nichts zu suchen. So habe ich das zumindest immer empfunden. Ab und zu gab es da gemeinsame Gottesdienste in der Kapelle, da waren immer auch die Laientheologen, also die Nicht-Priester, mit eingeladen. Und da wir Studentinnen natürlich dazugehörten, waren wir eben auch mit dabei. Die, die wollten.“

      „Was war er denn für ein Typ, dieser Görtler?“, wollte Dominik Thiele wissen. „Das kann ich natürlich nicht genau sagen. Ich möchte keinen Menschen so mir nichts, dir nichts beurteilen. Ich habe mit dem nie auch nur ein persönliches Wort gewechselt. Aus der Distanz kam er mir, wie soll ich sagen: ‚kalt‘ wäre falsch – sagen wir mal ‚kühl‘ vor. Immer ein bisschen offiziell. Immer irgendwie ‚Amt‘. Man kam an den nicht so richtig heran. Ich wurde aus dem auch nicht klug. Keine Ahnung, was der wirklich gedacht hat. Professionell höflich war der, klar. Seine Predigten waren gut, nachvollziehbar strukturiert, gingen auch hinein in das Leben heute. Aber … ihm ging etwas Entscheidendes ab: Wärme, die Stiftung von Nähe, die Vermittlung des Gefühls, dass er wirklich an dir als Mensch, als Person interessiert wäre …“

      Sie räumten gemeinsam das Geschirr in die Spüle. Dann setzten sie sich in die Sofaecke am breiten Aussichtsfenster. Der Blick ging weit über die niedrigeren Häuser der Wohnsiedlung, über den Fluss, dann bis zu den sanften Hügeln auf der anderen Seite des geschwungenen Talkessels, in dem Friedensberg lag. Die Laubwälder auf den Hügeln glänzten noch in Mattgrün, in das sich inzwischen aber bereits merklich das helle Gelb des Herbstes, ab und zu auch ein Orangeton oder sogar ein dunkles Rotbraun mischten. Verena Obmöller hatte ihre Füße auf dem Sofa ausgestreckt, ihr Kopf ruhte auf dem Schoß ihres Freundes. Sie nahmen den zuvor verlassenen Gesprächsfaden wieder auf. Ab und zu griff sie zu ihrem Glas Mineralwasser, er hatte sich inzwischen aus dem Kühlschrank ein Bier geholt.

      „Regens, der Regierende“, erklärte Verena gerade, „das ist eben die alte Bezeichnung für den Chef des Priesterseminars. Und wie die Kirche nun einmal so ist, solche alten Begriffe werden natürlich gepflegt. Klingt aber doch auch irgendwie toll, oder? Na, und der Subregens ist halt sein Stellvertreter, der zweite Mann im Betrieb. Wie die sich die konkrete Arbeit aufteilen, das bleibt ihnen – glaube ich – selbst überlassen. Oft wird der Subregens dann der Nachfolger des aktuellen Regens, wenn der irgendeine andere Position übernimmt.“

      Sie zögerte kurz. „Da fällt mir ein, dass ich mal gehört habe, dass Regens Görtler demnächst zum Weihbischof ernannt werden sollte. Da hätte dann also das ein oder andere Ämtchen und Pöstchen neu besetzt werden müssen.“ ‚Und das ist natürlich immer wieder ein Anlass, wo sich manche übergangen fühlen‘, fiel Dominik Thiele ein. ‚Gekränkte Eitelkeit und das Gefühl, zu kurz zu kommen – ein klassisches Gärbecken für Aggression bis hin zur Mordlust. So hat das einmal ein Ausbilder genannt‘, erinnerte er sich.

      „Und den Subregens, kennst du den auch?“, fragte er nach. – „Arenhövel? Über den weiß ich fast gar nichts. Der hält sich im Hintergrund. Von dem kannst du dir ja einen eigenen Eindruck verschaffen. Der lebt ja … noch“, fügte Verena Obmöller nach kurzem Zögern hinzu. Er blickte sie verwundert an. „Das wird ja wohl hoffentlich auch so bleiben. Also eine Leiche reicht mir völlig“, meinte er.

      „Und hast du etwas mitbekommen von der Stimmung dort im Priesterseminar? Wie sind die so drauf? Aggressiv, brav, folgsam? Gab es da Konflikte?“, fragte er nach. – „Da bin ich völlig überfragt. Keine Ahnung“, erwiderte seine Freundin. „Das ist halt eine riesengroße Männer-WG. Für mich eine fremde Welt. Da wird es Freundschaften und Feindschaften geben, ganz normal. Da wird es Eifersüchteleien und Machtspiele geben, auch das wie überall. Aber wir Laien waren da immer außen vor. Wir Frauen erst recht.“

      Damit war das Thema erschöpft. Versonnen schauten die beiden auf die letzten Lichtstrahlen vor dem Fenster. Die Straßenbeleuchtung war schon eingeschaltet. „Und?“, fragte Dominik Thiele nach längerem Schweigen, küsste Verena spielerisch auf den Kopf, drehte ihn zärtlich in seine Richtung und blickte sie aufmunternd an.

      „Ich muss noch mal an den Schreibtisch, Domm, tut mir leid. Muss noch einen Deutsch-Test korrigieren, den will ich morgen rausgeben. Hab ich keine Lust drauf. Muss aber sein.“ Sie schwang sich auf, gab ihrem Freund einen lauten Schmatzkuss auf die Wange und ging wieder hinüber in ihr Arbeitszimmer. Dominik Thiele zog eine enttäuschte Grimasse, trank einen langen Schluck aus seiner Bierflasche, griff sich die Fernbedienung und zappte sich durch die Angebote der unterschiedlichen Sender. Mal sehen, ob es wenigstens dort heute Abend irgendetwas halbwegs Interessantes gab.

      8

      Währenddessen stand Bernd Kellert auf einer leicht wackeligen Leiter und strich eine Wand. Schon zum zweiten Mal, denn der erste Anstrich hatte noch immer die alten dunkelgrünen Farbschichten durchscheinen lassen. Vor etwas mehr als einem Jahr hatten sich seine Frau Beate und er zur Verblüffung ihrer Freunde entschlossen, ein altes Haus zu kaufen, das in Polzingen, einem kleinen Dorf flussaufwärts, lag, eine knappe halbe Autostunde von Friedensberg entfernt. Als alteingesessener Friedensberger hatte ihn dieser Entschluss selbst überrascht. Aber irgendwie wollte er noch einmal eine Veränderung.

      Dass seine Kinder flügge wurden und die heimatliche Wohnung verließen, hatte ihn doch mehr getroffen, als er zugeben würde. ‚Mann, du gehst auf die fünfzig zu! Und den Rest des Lebens wirst du mit Beate allein verbringen‘, hatte er sich klargemacht. Und schon die Formulierung ‚Rest des Lebens‘ öffnete Abgründe, in die er lieber nicht genauer blicken wollte. ‚Ist das also die Midlife-Crisis?‘, hatte er sich gefragt. Und den Gedanken hinweggelächelt. Aber so leicht ließ er sich nicht verscheuchen.

      Manchmal wachte er morgens auf und fragte sich, warum sich heute das Aufstehen eigentlich lohne. Solche Gefühle waren ihm normalerweise völlig fremd. Das war etwas, mit dem er nicht umgehen konnte. Sein eigener Vater hatte am Ende seines Lebens unter Altersdepressionen gelitten. Bernd Kellert wusste, was das für die Betroffenen und ihre ganze Umgebung bedeutete. Sich selbst hätte er aber immer als immun gegen diese Krankheit eingeschätzt. Auf einmal war er sich da nicht mehr so sicher.

      Wie stark sein Leben eben auch von seiner Rolle als Vater geprägt gewesen war, hatte er bewusst gar nicht wahrgenommen. Nun, ohne die Kinder fehlte eine entscheidende Quelle des Antriebs. Seine Arbeit machte er nach wie vor gern. Und er war ein guter Polizist, das wusste er. Dass er die Welt letztlich nicht verbessern würde, das war ihm immer klar gewesen. Aber wenigstens ein bisschen sicherer und gerechter. Das reichte ihm. Immer noch.

      Trotzdem: Sein Leben schrie nach Veränderung. Eines Morgens hatte die Idee ganz klar vor seinen Augen gestanden. Die vor ihm liegende Lebensphase brauchte noch einmal einen neuen Rahmen. Ein Umzug schien eine verlockende Idee, gerade weil sie so unvermutet kam. Beate war es recht gewesen. Vor allem der große alte Gemüse- und Obstgarten rund um das renovierungsbedürftige Gebäude, ein altes Knechtshaus, hatte sie gereizt. Da ihr Sohn Tobias in München studierte und

Скачать книгу