Verbrechen und kein Ende?. Wunibald Müller

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Verbrechen und kein Ende? - Wunibald Müller

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angesichts dieser Situation über Konsequenzen nachdenkt, darf nicht bei den unmittelbaren Konsequenzen, die sich aus der Missbrauchskrise ergeben, stehen bleiben. Man denke etwa an die Leitlinien, die Präventionsordnung, die zunehmende Praxis, der Opferperspektive vor jeder Rücksichtnahme auf die Institution oder die Täter absoluten Vorrang einzuräumen. Hier hat die Kirche dazugelernt. Die Kirche bzw. die Verantwortlichen der Kirche gehen – zumindest in der Regel – auf die betroffenen Opfer zu. Es gibt klare Regelungen, wie gegenüber den Tätern vorzugehen ist, wobei hier auch noch manche Fragestellungen auftauchen, wenn es z. B. darum geht, wie im Einzelfall mit den Tätern umgegangen werden soll. Hier ist seitens der Diözesen das Bemühen festzustellen, noch mehr Verantwortung als bisher für sie wahrzunehmen. Ich denke z. B. an das Dekret des Münchner Erzbischofs zur „Führungsaufsicht für Kleriker, denen wegen schwerwiegender Delikte die Ausübung der mit der Weihe verbundenen Befugnisse untersagt ist“.

      Das Bemühen, alles Menschenmögliche zu tun, um Missbrauch im Kontext von Kirche zu verhindern, ist deutlich erkennbar. Auch wenn noch viele weitere Fragestellungen, Klärungen, Verbesserungen, die u. a. die angemessene finanzielle Anerkennung für das den betroffenen Opfern zugefügte Leid oder die Zusammenarbeit der Kirche mit staatlichen Stellen bei der Strafverfolgung der Täter betreffen, anstehen. Doch insgesamt befindet man sich in diesem Bereich auf einem guten Weg. Das alles muss weiter gefestigt, ständig weiterentwickelt und nicht nur in unseren Breiten, sondern weltweit immer mehr umgesetzt werden.

      Das gilt vor allem auch für die osteuropäischen Länder, wie z. B. Polen, vor allem aber auch Afrika und Asien, wobei, so Myriam Wijlens, es nicht ganz richtig ist, dass Letztere in Sachen Missbrauch weiße Flecken sind. Sie verweist auf sehr fortschrittliche Projekte in Afrika und Asien, die bei der Aufarbeitung teilweise deutlich weitergehen als das, was wir aus Amerika und Europa kennen. So gibt es z. B. ein Pilotprojekt, bei dem Missbrauchsopfer sich als Gruppe zusammenschließen, die von der Sambischen Bischofskonferenz unterstützt und bei der Aufarbeitung direkt beteiligt werden. Etwas Vergleichbares gibt es in Deutschland noch nicht. Hier kann man in Deutschland also auch von anderen Ländern noch dazulernen.

      Bei alledem darf man nicht vergessen, dass der Missbrauchsskandal nicht erst begonnen hat, seitdem wir von den Verbrechen, die im Kontext von Kirche geschehen sind, wissen. Wir leben seit Jahrzehnten, vielleicht sogar seit Jahrhunderten mit diesem Skandal. Dabei können wir das ganze Ausmaß des Leids und des Schadens, die davon ausgegangen sind und ausgehen, noch gar nicht ermessen. Es geht auch um die subtilen Auswirkungen, die ein solches Verhalten auf die Kirche, die Seelsorge, die einzelnen Pfarreien, die Theologie, betroffene Familien usw. hatte und hat.

      So gesehen, ist es ein Segen, dass der über viele Jahrzehnte lange Skandal endlich – zumindest zum Teil – aufgedeckt worden ist. Aus dem Dunkel ins Licht gebracht worden ist. Denn dadurch wurden die Voraussetzungen geschaffen, die notwendig waren und sind, um die Konsequenzen zu ziehen, die sich daraus ergeben. Einige sind zumindest zum Teil bereits gezogen worden und die gilt es jetzt auch konsequent umzusetzen. Dazu zählen:

      – endlich die Opfer ernst nehmen. Sie stehen an erster Stelle;

      – nicht mehr wegschauen. Es muss in der Kirche eine Kultur geschaffen werden, in der weder Platz ist für sexuellen Missbrauch von Minderjährigen noch für einen Machtmissbrauch, der Vertuschen ermöglicht;

      – nicht mehr bagatellisieren. Sich nicht mehr blenden lassen vom Amt. Klar aussprechen, dass sexualisierte Gewalt durch Kleriker ausgeübt wurde und wird, Bischöfe sich schuldig gemacht haben, indem sie sexuellen Missbrauch im Kontext der Kirche vertuscht haben;

      – noch genauer hinschauen. Wer ist für einen kirchlichen Beruf geeignet? Sich durch das Nachlassen von Berufungen nicht verleiten lassen, weniger sorgfältig bei der Auswahl zu sein.

      Andere Konsequenzen müssen noch gezogen werden, meint man es wirklich ernst mit der Prophylaxe sexualisierter Gewalt in der Kirche; dazu zählt:

      – die tieferen Ursachen für sexualisierte Gewalt im kirchlichen Kontext ernst nehmen und die notwendigen Konsequenzen daraus ziehen. Dabei geht es vor allem um die Abschaffung des Pflichtzölibats, ein Ende der negativen Einstellung gegenüber Homosexualität und homosexuellen Menschen, ein Ende der Diskriminierung von Frauen durch Verweigerung von Führungspositionen in der Kirche. Ein Ende der unseligen Trennung zwischen Kleriker und Laien, ein Umbau des klerikalen Systems in ein Netzwerk kollegialer Zusammenarbeit.

      Das aber steht unbedingt an, will man einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, Verbrechen in der Kirche, die in einem Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt stehen, zu vermeiden.

      Denn, so Harald Dreßing (2019, 261), der Leiter der MHG-Studie, sexueller Missbrauch findet in der Kirche weiterhin statt. Es gibt keinen Hinweis darauf, „dass sich seit 2009 die Quote beschuldigter Priester signifikant verringert hat“. In einer persönlichen Mitteilung an mich schreibt er: „[…] es gibt ja leider nach wie vor auch neue Fälle, die sich jetzt ereignen, und die Reaktion der Kirche darauf ist m. E. fatal; man preist die Prävention und behauptet, es sei alles ein Problem vergangener Zeiten, was leider nicht stimmt.“ Das lässt mich nicht nur aufhorchen, sondern alarmiert mich auch. Zeigt es doch, dass längst nicht alles getan ist. Die eingeleiteten Maßnahmen nicht dort greifen, wo sie greifen müssten, sollen sie bewirken, dass sexualisierte Gewalt in der Kirche verhindert wird.

      Harald Dreßing und seine Mitarbeiter plädieren dafür, dass Priester verstärkt in die kirchlichen Präventionsprogramme einbezogen werden. Das ist sicher eine Möglichkeit, die Wirksamkeit der in den Leitlinien und im Präventionsprogramm vorgestellten Maßnahmen zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt zu verstärken. Tatsächlich gibt es ja auch immer wieder Berichte, wonach Priester sich besonders schwertun, an solchen Programmen teilzunehmen; das als überflüssig oder auch als eine Zumutung erachten. Auf der anderen Seite höre ich aber auch von Präventionsverantwortlichen, dass sie keinen Unterschied feststellen können zwischen Klerikern und anderen hauptamtlichen oder ehrenamtlichen kirchlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, was die Bereitschaft betrifft, an solchen Programmen teilzunehmen.

      Es mutet mich angesichts dieser Daten eigenartig an, wenn ich inzwischen immer öfters höre, dass es nur noch wenige Fälle sexuellen Missbrauchs gebe, und der Eindruck erweckt wird, man habe inzwischen viel, vielleicht sogar genug getan; vor allem aber dass die Kirche im Vergleich zu anderen Einrichtungen wie Schulen oder sportlichen Organisationen hinsichtlich der bisher beschlossenen und durchgeführten Präventionsmaßnahmen recht gut dastehe. Ganz abgesehen davon, dass ich solche Vergleiche für recht problematisch halte, scheint hier etwas nicht richtig zu laufen, nicht angemessen bedacht und berücksichtigt zu werden. Oder einfach – ich werde nicht müde, das immer und immer wieder aufs Tapet zu bringen – nicht ernst genommen zu werden.

      Kann es also nicht auch sein, dass deswegen die Zahl der Täter nicht signifikant zurückgegangen ist, weil die tieferliegenden Gründe für den sexuellen Missbrauch noch nicht behoben worden sind? Leitlinien und Präventionsordnung sind wichtige Instrumente bei dem Versuch, sexualisierter Gewalt in der Kirche zu begegnen. Allein, sie tangieren nur die Oberfläche. So ist es wichtig, in der Kirche eine Atmosphäre und eine Situation zu schaffen, die die Sensibilität für potentielle sexualisierte Gewalt fördern. Bei der Schulung, die dazu beitragen soll, müssen alle kirchlichen hauptamtlichen und ehrenamtlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit einbezogen werden, also neben den Priestern auch die Personen, die nicht zumindest in erster Linie zur Risikogruppe der Täter gehören, wie etwa die Kindergärtnerinnen oder die Eltern bei Firmvorbereitungsgruppen. Darüber hinaus müssen aber die die eigentliche Risikogruppe – also die Priester – betreffenden Maßnahmen, die dazu beitragen können, sexualisierte Gewalt zu reduzieren oder gar zu verhindern, umgesetzt werden. Geschieht das nicht, bleibt das alles nur eine halbe

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