Wer ist dein Gott?. Vitus Seibel
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Dann wird mein Glaube zum Gebet: Ich kann Gott ansprechen im Vertrauen, dass er sich schon immer mir zugewandt hat. Gott ist für mich nicht bloß ein Deutungsmuster für verschiedene offene Fragen oder Situationen. Deshalb habe ich mir über die Jahre in der Feier der Liturgie angewöhnt, die Gebete immer mit der direkten Anrede »Du, unser Gott« zu eröffnen. »Du führst mich hinaus ins Weite« ist eine solche Anrede. Als mein Gebet ist es zugleich Bekenntnis und Selbstbeteuerung.
Seit drei Jahren lebe ich im Kosovo in einer kleinen, ständig sich verändernden internationalen Jesuitengemeinschaft und arbeite als Leiter unseres Schulverbundes. Vieles, was den Alltag, die Aufgaben und menschliche Begegnungen betrifft, ist unvertraut. So hatte ich mir mein Leben nie vorgestellt: Als ich vor fast 30 Jahren ins Priesterseminar eintrat und dann vor fast 20 Jahren ins Noviziat der Jesuiten, waren meine Perspektive und meine Vorstellungskraft erheblich begrenzter. Als ich vor gut zehn Jahren einwilligte, Internatsleiter in Sankt Blasien zu werden, konnte ich nicht ahnen, in welche Tiefen seelsorglicher Begleitung mich diese Aufgabe führen würde. Dass ich mich zum Abschluss meiner Ordensausbildung in Sri Lanka wiederfand, war so nicht geplant. Beworben hatte ich mich zuvor für Afrika. Deshalb ist »Du führst mich hinaus ins Weite« ein Bekenntnis. Eine Beteuerung ist es in den Momenten, in denen es sich in mir sträubt, schon wieder weiterzugehen und loszulassen, Gewohntes gegen Fremdes einzutauschen und Routine gegen Vortasten. Dann, wenn ich in Veränderungen noch nicht den guten Willen und die liebevolle Herausforderung Gottes erkennen kann.
Wenn ich nicht erstarre und nicht festhalten will, wenn es mir stattdessen gelingt, dem Mut zu trauen, den Gott mir schenkt, dann wird mein Leben lebendig. Dann kann sich Gott als der erweisen, der er ist: der Lebendigmacher, der mich aus der Begrenztheit meines eigenen Vermögens und meiner Vorstellungskraft in eine neue Weite führt. Das ist die Weite, in der Gott mich und uns leben sehen will. Davon bin ich überzeugt.
Nur selten zerrt er uns heraus aus der Enge, gegen unseren Willen. Dann kann es wehtun, auch das ist mein Glaube.
Treu zu bleiben, dass dieser Vers, »Du führst mich hinaus ins Weite«, immer mehr zum Gebet meines Lebens wird, dieses Bemühen finde ich mit anderen Worten in den Erfahrungen meines Ordensmitbruders Alfred Delp. Das ist ein Satz, der Lust zum Glauben und zum Leben macht: »Wir müssen die Segel in den unendlichen Wind stellen, dann erst werden wir spüren, welcher Fahrt wir fähig sind.«
Axel Bödefeld SJ, Prizren (Kosovo), geb. 1969
Nimm dich nicht so wichtig!
»Friede sei mit euch!« Mit diesen Worten grüßt Jesus seine Jünger nach der Auferstehung. Auferstehung und Frieden – sind dies Realitäten, die wir in unserem Leben wahrnehmen? Immer wieder ringe ich mit Gott. Die Evangelien berichten davon, dass sich die Jünger bei dem Gruß Jesu fürchten; sie spüren scheinbar nichts von diesem Frieden. Sicherlich existiert in vielen Menschen eine Sehnsucht nach Frieden. Doch ist sie eine Realität? Der Blick in die Welt ist ernüchternd: Terroranschläge, Gewalt, Verfolgung etc. Gegenüber all dem wirke ich klein und ohnmächtig. Was kann ich schon tun?
Als Priester bin ich auch zu Menschen gesandt, die keinen inneren Frieden haben, und ich muss immer wieder feststellen, wie ohnmächtig ich bin, wie ich an meine Grenzen komme. Was kann ich schon? Der Orden hat mir die Chance gegeben, viel zu studieren, und ich habe sie genutzt. Und doch fühle ich mich hilflos. Ich begegne vielen verschiedenen Menschen: Einige haben psychische Probleme oder sehen keinen Sinn in ihrem Leben, andere haben Zukunftsängste, sei es, wie es in Deutschland weitergeht, sei es, ob sie einen Arbeitsplatz finden, wieder andere leiden unter materieller Not.
Selbst bei der Feier der Sakramente komme ich immer wieder an meine Grenzen. Ich feiere die Eucharistie und bemerke beim Sprechen der Wandlungsworte, dass ich etwas tue, was mich vollkommen übersteigt. Ich höre Beichte, versuche etwas Gutes zuzusprechen und bemerke, wie mich die Worte der Absolution übersteigen. Christus ist auferstanden! Der Friede sei mit euch! Das Glück dieser Aussagen kann ich so oft nicht fassen. Die Menschen, zu denen ich gesandt bin, stoßen an ihre Grenzen. Ich stoße an meine Grenzen und bin ohnmächtig, hilflos.
Da sage ich zu mir selbst: Nimm dich nicht zu wichtig! Im Anschluss an die Auferstehung Christi ziehen Petrus und Johannes umher. Sie treffen einen gelähmten Bettler. Petrus und Johannes haben kein Silber und kein Gold. Aber sie verkünden das Evangelium Christi und Petrus sagt: »Im Namen von Jesus von Nazareth: Steh auf und geh!« Ebenso kommt es nicht auf mich an, sondern auf Christus, in welchem allein die Vollendung zu finden ist.
Es kommt nicht auf mich an, es ist Gott, der in den Sakramenten wirken muss und selbst seine Gegenwart offenbart. Es kommt nicht nur auf mich an, wenn mir in Gesprächen Menschen ihr Leid klagen. Gott muss wirken; er ist es, der den inneren Frieden schaffen muss. Sicher: Ich bin gerufen, Zeugnis zu geben und Christus in meinem Leben, meiner Arbeit nicht zu verleugnen und das Evangelium zu verkünden. Ich bin gerufen, bei den Menschen zu sein, um Sorgen und Nöte mit den Menschen zu teilen. Ich bin gerufen, mit den Menschen Glaube, Hoffnung und Liebe zu teilen. Ich bin gerufen, meinen Dienst in Treue zu verrichten. Das Glück der Auferstehung ist dabei für mich: Es kommt nicht so sehr auf mich an – Christus selbst verheißt den Jüngern den Heiligen Geist, der es richten muss! Es kommt auf den Heiligen Geist an! Er muss den Frieden schaffen, er muss in den Sakramenten und in den Menschen wirken. Es ist Gott, der in das Herz der Menschen einzieht und sie verwandelt. Hiervon darf ich häufig voll Freude Zeuge sein.
Christian Braunigger SJ, Leipzig, geb. 1980
Wenn ich Gott sage …
In meiner Studienzeit las ich das Buch eines französischen Dominikaners mit dem Titel: Quand je dis Dieu … Wenn ich Gott sage … Dieser Buchtitel mit seiner offenen Frage hat mich seither begleitet. Ich habe sie lebensgeschichtlich immer anders beantwortet. Meine Antwortversuche nahmen unterschiedliche Farben an und meine konkreten Lebensperspektiven auf. Die Frage hat ja zwei Seiten: Wann fällt Gott ins Leben ein, und wie sieht das Leben aus, wenn ich Gott sage?
Ich möchte mit drei französischen Wörtern umschreiben, was mir bedeutsam geworden und geblieben ist. – Naissance: Geburt. Das Faktum, geboren zu sein, lässt sich rational nicht einholen. Entbunden werden, zur Welt kommen und als Erdenbürger in eine Familie, in eine historische Zeit und an einem Ort geboren und dort begrüßt worden zu sein. Diese »Vorgabe« des Lebens verbinde ich mit Gott, gerade auch in ihrer Dimension jenseits aller Kausalitäten. Lebenslang werde ich nun vor der durchaus auch schwierigen Herausforderung stehen, was Romano Guardini einmal die Annahme seiner selbst nannte. Wenn ich Gott sage, dann glaube ich daran, dass ich bei aller Tatsache des Geborenseins mich damit in eine Dimension der Gnade und der Verheißung stellen darf, trotz allem. Es ist recht so, dass es mich gibt.
– Renaissance: Wiedergeboren werden und neu anfangen zu dürfen, trotz aller Sackgassen und Verstrickungen des Lebens. Diese Ermutigung zum Wiederund Neugeborenwerden verbinde ich mit den Versen aus Psalm 18: Er führte mich ins Weite … Mit dir überspringe ich Mauern. Im Gespräch mit Nikodemus abseits der Straßen und in der Nacht spricht Jesus vom Wiedergeboren-werden-von-oben. Dazu bedarf es der göttlichen Ermutigung und auch des glaubenden Übermutes.
- Reconnaissance: Das Französische verbindet in diesem einen Wort die Bedeutung von Einsicht und Dankbarkeit. Diese Verbindung liegt wohl nahe, wenn man älter wird: die Einsichten in das Leben auch in seinem irreversiblen Charakter in den übergreifenden Zusammenhang der Dankbarkeit zu stellen. Von Hans-Magnus Enzensberger gibt es ein Gedicht mit dem Titel: Retour à l’expéditeur: Zurück an den Absender. Der Brief des Dankes findet seinen göttlichen Adressaten nicht. Wenn ich Gott