Wer ist dein Gott?. Vitus Seibel
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Reconnaissance: Was bleibt, wenn ich geworden sein werde? Wenn ich dann Gott sage, halte ich eine letztgültige Antwort offen und erinnere mich an die Mutation des Lebens ins Futur II: Wenn ich geworden sein werde.
Es gibt eine anrührende und auch streitbereite Passage in einem Brief von Hannah Arendt an ihren ehemaligen Geliebten, den Philosophen Martin Heidegger, über die Liebe und das Futur II: »Volo ut sis: kann heißen, ich will, dass du seiest, wie du eigentlich bist, dass du dein Wesen seiest. Aber kann das nicht auch Herrschsucht sein, die unter dem Vorwand der Liebe das Wesen des anderen zum Objekt des eigenen Willens macht? Es könnte aber auch heißen: Ich will, dass du seiest, wie immer du auch schließlich gewesen sein wirst. Nämlich wissend, dass niemand ante mortem der ist, der er ist, und darauf vertrauend, dass es gerade am Ende recht gewesen sein wird.«
Augustinus spricht in seinen Bekenntnissen seine Gotteserfahrung einmal so aus: Quaestio mihi factus sum. Vor dir bin ich mir zur Frage geworden. Ich glaube, er hat verstanden, worum es auch bei mir geht, wenn ich Gott sage.
Hermann Breulmann SJ, Berlin, geb. 1948
Wir und Gott: nüchternes Feststellen und jubelnder Dank
1. Immer schon fragten und klagten viele Menschen: Weshalb hilfst du mir nicht, Gott? Weshalb mir so wenig und anderen mehr? Wofür soll ich dir überhaupt danken? Zahlreiche Menschen, die tiefgründig ihre Zeit und Gesellschaft untersuchten, zogen den Schluss, dass Gott sich nicht um sie kümmert, entweder weil er sich erhaben über seine Schöpfung fühlt oder weil er tief enttäuscht über seine Geschöpfe ist, ja, dass er sich tieftraurig über uns Menschen wegen unserer Sünden von uns trennte.
Menschen beschlossen deshalb, sich von Gott zu befreien, um bloß für sich selbst zu leben und nur noch vor sich selbst Rechenschaft ablegen zu müssen. Manche leugneten die Existenz eines Gottes überhaupt.
2. Wie will ich, der ich weiterhin bewusst und gewollt Christ bleiben will, darauf antworten? Meine im Gebet und im Verlangen nach Wahrheit errungene, zugleich bereits vor Jahrhunderten errungene Antwort lautet:
Gott Vater erschuf in Liebe zu seinem Sohn und zum Heiligen Geist diese Welt und stellt an deren obersten Platz den mit und zur Freiheit begabten Menschen und liebt ihn.
Gott fordert und fördert wiederum die Liebe des Menschen in den drei Richtungen: 1. zu sich, Gott, 2. des Menschen zum Menschen und 3. des Menschen zu sich selbst. Diese dreifache Ausrichtung lässt uns erkennen: Gott verzichtet bewusst und gewollt aus Liebe zu uns darauf, vorrangig verehrt zu werden, wenn bloß die Menschen, z.B. die Mitglieder eines Staates, sowohl einander wie sich selbst lieben und untereinander für Freude, Frieden und das Gemeinwohl sorgen. Gott bevorzugt insofern das Geschöpf vor sich selbst!
Und so wie Gott von sich selbst absieht und auf seine Verehrung – und sogar um unseretwillen auf das irdische Weiterleben seines Sohnes – verzichtet, so soll je nach Situation auch der Mensch auf eine ihm von Menschen entgegenkommende Liebe verzichten können. Mit ehrfürchtigem Stolz kann uns dies erfüllen!
3. Also: Gott sah sich und sieht sich nie durch eine Sünde zum Rückzug und Ausstieg aus dieser Liebesbeziehung veranlasst, sondern liebt vielmehr ununterbrochen und unvermindert stark die Menschen, ja einen jeden Menschen, auf jedem Schritt und in allen seinen Beziehungen. Und Gott leidet mit, wenn Menschen sündigen und andere an deren Sünden leiden müssen.
Daher sollen wir Menschen eine so starke, souveräne Liebe, also die Gottes zu uns, von unserer Seite aus erwidern und IHN ehren, ja verehren! Allein solche Gegenseitigkeit trägt zu unserem Wohlbefinden – und Heil – bei.
4. Die von Menschen aufgestellte Lehre, dass sich Gott aus Trauer über uns zurückzog, ist unrichtig. Allerdings überträgt Gott sein unmittelbares Wirken zumindest im politischen Zusammenleben von sich auf die Menschen; ER bleibt selbstverständlich, vermittelt durch Menschen, höchst verantwortlich!
Gott zog sich also weder aus Abneigung zu uns noch aus Zorn über uns zurück, sondern aus tiefer Zuneigung zum Menschen, der als freies Wesen geschaffen ist, um sich in freiem Handeln seinem Ziel, dem wahren Menschsein, anzunähern. Menschliches Handeln soll die Schöpfung ihrer Vollendung näherbringen und sie verantwortlich zum Guten, Schönen und gerechten Leben ausgestalten. Und jedes Handeln soll Gott zur wahren Ehre gereichen.
5. Somit lässt sich die von kritischen Zeitgenossen angestrebte Verantwortung auch – und eigentlich nur! – erreichen und anzielen, wenn wir mit Gott, dem Schöpfer, zusammenleben wollen. Unser Ziel bleibt: Gott, den Schöpfer und Erlöser, zu ehren, zu verehren und in Freiheit zu lieben. Gott hilft zugleich unermüdlich, dass wir Schritt für Schritt, Tag für Tag auf dem Weg zu ihm vorwärtskommen, um dieses Ziel, also IHN selbst, zu erreichen.
Schluss:
1. Wer Gott aus der Welt und zu Verzichten drängen will, soll wissen, dass und weshalb Gott sich selbst enorm zurückzieht und verzichtet.
2. Wenn der Mensch sich selbst verliert oder verneint, so hilft Gott, dass der Mensch sich wieder findet und zu bejahen vermag.
3. Wer Gott töten will, soll wissen, dass Gott seinem einzigen Sohn schmerzlichst den Weg zu den Menschen freigab, die fähig zum Töten waren.
4. Wo der Mensch für sich Vorteil, allenfalls Gerechtigkeit fordert, schenkt Gott sich selbst und heilt den Menschen aus Krankheit, Selbstbetrug und Versklavung.
Norbert Brieskorn SJ, München, geb. 1944
Mein Gott für die anderen
Begegnet bin ich Kathrin bei einem Kurs für Krankenpflegeschülerinnen. Sie war keine Christin, aber ein sehr offener, freundlicher Typ. Irgendwann fragte sie mich: »Pater, neulich wollte ich das Zimmer eines Sterbenden verlassen, da hielt mich der Mann fest, schaute mir in die Augen und sagte: Schwester, Sie glauben doch auch an den Himmel!« Und Kathrin erzählte mir, dass ihr Gott und Himmel eigentlich fremd sind, dass sie diesem Sterbenden aber sehr spontan gesagt hatte: »Ja, ich glaube auch an den Himmel!« Und ihre Frage an mich: »Habe ich da gelogen oder war meine Antwort richtig? Wie sehen Sie das?«
Ich denke immer mal wieder an Kathrin, ihre Antwort an den Sterbenden und ihre Frage an mich. Denn es geht mir oft ähnlich, etwa wenn ich Eucharistie mit Menschen feiere, die mir wichtig sind. Da müsste ich manchmal während des Hochgebetes aufhören und den Freunden sagen: Lasst mich mal nachdenken, ob ich an all das glauben kann und auf diesen Jesus, sein Leben und seinen Tod und Gottes Barmherzigkeit wirklich vertrauen darf oder ob das alles nur dahingesagt ist und nicht von meinem Glauben getragen wird. Aber ich bin gerade dann froh, dass ich eingebunden bin in eine liturgische Handlung, die Eucharistiefeier, in ein Hoffen der anderen Menschen, die mich in all meinen Fragen und Unwägbarkeiten mitnehmen in ihren Erwartungen. Ich lasse mich dann darauf ein, für die anderen an Gott zu glauben, auch wenn mein eigener Glaube oft fraglich bleibt. »Für die anderen!« – das ist mein Gottesbild. Für sie möchte ich glauben dürfen; für sie will ich eigentlich das leben und sein, was ich bin.
»Glauben heißt die Unbegreiflichkeit Gottes ein Leben lang aushalten«, sagt Karl Rahner. Diesen Satz haben diejenigen, die das Gotteslob, das katholische Gesangbuch, zusammengestellt haben, ausgerechnet unter das Lied »Großer Gott, wir loben dich« geschrieben. Ich selbst würde wahrscheinlich formulieren: »Herr, ich bin froh, dass ich für andere an dich glauben möchte, über alle Fragen und Nöte hinweg. Hilf du meinem Unglauben, damit mein Vertrauen auf dich wahrhaftig ist und den anderen hilft, einen lebendigen Glauben zu haben.« – Für die