Wir verschenken Milliarden. Jörg Alt
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Statt entsprechend zu handeln, verschlimmerte sich die Situation zusehends: Die mit der Suspendierung der Vermögensteuer 1997 entfallende Deklarationspflicht wurde nicht durch vermehrte Prüfungen und entsprechende Personalaufstockungen ausgeglichen. Entsprechend dürfte das durch Offshore-, Luxemburg-, Swiss- und Panama-Leaks in das öffentliche Bewusstsein tretende Ausmaß an Vermögensverschiebungen nicht erstaunen: Aktuelle Transparenzbestimmungen sowie die Verteilung personeller Ressourcen sind schlicht zu Gunsten der Vermögenden. Der Richter am Bundesgerichtshof, Thomas Fischer, bilanziert die Situation wie folgt:
„Wer in Deutschland von unselbstständigem Arbeitseinkommen lebt, führt seine Einkommensteuer als Lohnsteuer beim Arbeitgeber ab, ohne Geheimnis, ohne Beschränkung und ohne Sonderbonus für Gesetzestreue. Derweil wird … gegen den Sozialbetrug gekämpft: Wenn 10.000 Hartz-IV-Bezieher monatlich 500 Euro zu Unrecht erlangen, sind das im Jahr 50 Millionen Euro. Wenn 1.000 Kapitalanleger in demselben Jahr je 20.000 Euro Kapitalertragsteuer hinterziehen, haben sie 80 Millionen Euro Zinsen verdient“ (Fischer, 2014).
7.4 Sicht von Ministerien und Parteien
In den Stellungnahmen zum Forschungsprojekt werden Möglichkeiten, das Steuerrecht zu vereinfachen, überwiegend skeptisch eingeschätzt, zumal es sich um einen Kompromiss zwischen Einfachheit und Gerechtigkeit handele (SPD Bund). Zwar habe Deutschland „das wohl komplizierteste Steuersystem der Welt“ (CDU/CSU Bund), Verbesserungspotenzial wird aber von einer effizienteren Verwaltung sowie zunehmender Digitalisierung bzw. Automatisierung und den daraus resultierenden Verfahrensvereinfachungen erhofft.
Auf die Frage, wie die unterschiedliche Transparenz der Steuerpflichtigen gesehen wird bzw. die Balance zwischen Deklarations- und Verifikationsprinzip, antwortet das Bundesfinanzministerium differenziert. Man orientiere sich an der höchstrichterlichen Rechtsprechung, bestätige, dass strukturelle Defizite „strikt zu vermeiden“ sind, und ist zuversichtlich, dass durch das auf den Weg gebrachte Steuerverfahrens-Modernisierungsgesetz langfristig Verfahrensqualität gesichert und Defizite ausgeschlossen werden können.
Das Bayerische Finanzministerium stellt lapidar fest, dass „es … kein Gerechtigkeitsdefizit bei der Behandlung von Lohneinkünften und betrieblichen Einkünften“ gibt (obwohl das nicht die Frage war) und betont: „Insoweit werden die Grundsätze des von Ihnen zitierten Verfassungsgerichtsurteils selbstverständlich in vollem Umfang beachtet.“ Und weiter: „Es entspricht im Übrigen nicht der freiheitlichen Ordnung einer Gesellschaft, vermögende Personen bzw. Unternehmen unter den Generalverdacht einer unsachgemäßen Steuerabführung zu stellen.“15
Die Berechtigung politischer Lenkungsziele zusätzlich zum Ziel der Steuereinnahmen wird von allen bejaht, wenngleich es bei einem Gesetz nicht zu viele sein dürfen (CDU/CSU Bund), Alternativen über gezielte Subventionen und Freibeträge überlegt oder regelmäßige Wirksamkeitsüberprüfungen gefordert werden. Die bayerische CSU zieht bezüglich steuerlicher Lenkungsziele als zusammenfassendes „Fazit: Von entscheidender Bedeutung ist, dass Bayern wirtschaftlich stark bleibt. Das ist die Basis für unseren gesellschaftlichen Wohlstand in allen Bereichen.“
7.5 Schlussfolgerungen
Die Komplexität des deutschen Steuerrechts bringt es mit sich, dass viele einfache Bürger selbst mithilfe aller verfügbaren Online-Informationen kaum mehr durchblicken. Zumeist sind es auch jene, die nie auf die Idee kämen bzw. sich nicht trauen würden, Widerspruch oder andere Rechtsmittel gegen Bescheide einzulegen. Das bedeutet, dass viele niedrige Einkommensbezieher vielleicht mehr Steuern zahlen, als sie zahlen müssten, schlichtweg weil sie unfähig sind, Absetzbares korrekt zu erkennen und einzufordern. Umso lukrativer wird es für die Bezieher hoher Einkommen und Besitzer großer Vermögen: Selbst sechsstellige Honorare können sich rechnen angesichts der Rendite aus Steuerplanungsoptionen, die ihnen Steuerberatungsspezialisten entwickeln. Hat dem gegenüber der Staat wirklich seine Hausaufgaben hinsichtlich des vom Verfassungsgericht geforderten „Verifikationsprinzips“ gemacht? Dies steht im Zentrum des folgenden Kapitels.
13 Siehe ausführlicher: http://tinyurl.com/tjp-GER-Va
14 BVerfG-Urteil vom 27. Juni 1991 (2 BvR 1493/89). BStBl. 1991 II S. 654.
15 Dem wird selbstverständlich zugestimmt. Ein Fachmann aus der Steuerverwaltung, dem die Stellungnahme des Bayerischen Finanzministeriums zur Kommentierung überlassen wurde, hält dennoch dagegen: „Das Argument mit dem Generalverdacht auf Steuerhinterziehung kommt aus interessierten Kreisen reflexartig, um die Notwendigkeit einer stärkeren Prüfungsintensität zu bestreiten. Aber um bewusste Steuerhinterziehung geht es ja nicht allein. Es geht viel häufiger um strittige Interpretationen des Sachverhalts, es geht um Rechtsauffassungen, die angewandt werden, ohne sich mit denen der Finanzverwaltung zu decken. Man muss kein Verbrecher sein, um nach einer Betriebsprüfung ordentlich nachzuzahlen. So eindeutig ist unser Steuerrecht nicht, sonst müsste ja bei jeder Betriebsprüfung mit Ergebnis ein Strafverfahren eingeleitet werden. Das ist nicht der Fall, weil es eben Interpretationsspielräume gibt. Der Lohnsteuerzahler hat solche definitiv nicht.“
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