Wir verschenken Milliarden. Jörg Alt
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Die Arbeit zu vorstehenden Themen fand in den drei Ländern des Projekts unter sehr unterschiedlichen Arbeitsbedingungen statt (Tendet-Ki- protich, Alt & al., 2013). Für alle Forscher galt jedoch, was ein deutscher Experte aus der Steuerverwaltung so formulierte: „Nehmen Sie’s mir nicht übel, aber als Außenstehender werden Sie das System nie verstehen. Eigentlich kann man das System und seine Schwachstellen nur verstehen, wenn man drinsteckt und damit klarkommen muss.“
Das ist für Sozialwissenschaftler zugegebenermaßen schwierig, dennoch halten wir die Veröffentlichung der in dreijähriger Arbeit gewonnenen Erkenntnisse für gerechtfertigt. Die publizierten Unterlagen wurden nach bestem Wissen und Gewissen zusammengetragen. Wir halten die Zusammenstellung unterschiedlicher Perspektiven und Reflexionsebenen für einen nützlichen Beitrag, um die gemeinsame Suche nach einer national und international gerechteren Besteuerung weiter zu befruchten – „gemeinsame Suche“ auch deshalb, weil wir selbst nach drei Jahren Beschäftigung zu vielen Themen lediglich begründete Präferenzen, aber keine eindeutigen Vorschläge bieten können.
2 Siehe ausführlicher: Tax Justice & Poverty, 2013a, Alt & al., 2016a, Alt & al., 2016b.
3 Unter „Steuersystem“ wird das Gesamt aus Steuergesetzen, deren nationalem und internationalem Vollzug sowie die dazugehörige Rechtsprechung verstanden.
3 Forschungsdaten, -methoden, -schwerpunkte4
Die Forschungsergebnisse beruhen auf folgenden Quellen: Literaturrecherche, Erkenntnisse durch Methoden der Qualitativen Sozialforschung sowie Umfragen.
Die Literaturrecherche war nur von begrenztem Nutzen: Die Kompliziertheit der Materie bringt es mit sich, dass man eigentlich alles beweisen kann, was man beweisen will. Hier ist stets wichtig zu schauen, wer was warum sagt und womit vergleicht. Hier wurde das Prinzip des ‚unüblichen Verdächtigen‘ angewendet: Wenn zu einem Sachverhalt Zitate der OECD oder eines Rechnungshofs vorlagen, wurde jenen Aussagen der Vorzug vor gleich lautenden gegeben, die (z. B.) von Wohlfahrtsverbänden oder Gewerkschaften stammen. Sodann existieren in der öffentlich zugänglichen Literatur für wichtige Bereiche kaum Informationen, was etwa an der überragenden Bedeutung des Steuergeheimnisses liegt. Entweder waren die Informationen so allgemein, dass sie nutzlos waren, oder sie waren unter Verschluss. Von Dritten (z. B. Universitäten) durchgeführte und veröffentlichte Forschung, wie sie in anderen Ländern existiert, ist in Deutschland extrem selten. Das Gleiche gilt für öffentlich zugängliche Erkenntnisse zu den Schwerpunktthemen dieses Projekts, nämlich Illicit Financial Flows, private Großvermögen sowie Schwarzarbeit. Diese Milieus sind extrem abgeschottet und schwer zugänglich, hinzu kommt, dass das Segment der Vermögenden derart klein ist, dass es sich gängigen, repräsentativen Bevölkerungsbefragungen (Mikrozensus, Einkommens- und Verbrauchsstichprobe, Sozio-oekonomisches Panel [SOEP]) zunächst einmal entzieht, während viele der verfügbaren Informationen, etwa in „Reichtumsrankings“, auf Eigenangaben beruhen, die kaum angemessen überprüfbar sind.
Ein Kernelement der qualitativen Sozialforschung sind formelle und informell-vertrauliche Interviews und der Versuch, aus solchen Einzeldaten größere Zusammenhänge herauszufiltern. Wegbereitend war hier die Unterstützung der Bayerischen Staatsministerien für Inneres, Finanzen und Justiz sowie ihrer untergeordneten Behörden und Dienststellen. Dafür sind wir dankbar, denn es öffnete Türen, die sonst zweifelsohne verschlossen geblieben wären.
Insgesamt standen dem deutschen Projekt im Laufe der drei Jahre 23 formelle (d. h. von Vorgesetzten benannte) und 62 informelle Gesprächspartner zur Verfügung, zu denen Kontakte auf unterschiedlichste Weise zustande kamen. Bei der Gruppe der informellen Gesprächspartner kam es teilweise zu zehn und mehr persönlichen, telefonischen und/ oder schriftlichen Kontakten. Die Gesprächspartner kamen schwerpunktmäßig aus der Bayerischen Steuerverwaltung, aber auch aus den Bereichen Polizei, Justiz oder Zoll. Daneben wurden Vermögende und Vermögensverwalter, Steuerberater, Anwälte, Experten aus den Bereichen Banken, (Groß-)Unternehmen, Journalismus, NGOs und Informationstechnologie sowie Politiker und Abgeordnete befragt.
Vertraulich-informelle Interviews haben den Vorteil gegenüber formellen, dass die Zusicherung von Anonymität es dem Gesprächspartner ermöglicht, seine Sicht der Dinge spontaner-offener darzulegen, als er es tun würde, wenn er damit rechnen müsste, dass seine Vorgesetzten seine Aussagen über die Forschungspublikation erfahren würden.5 Und genau hier wird die Stärke des vorliegenden Projekts gesehen: Auch wenn die offiziell zur Verfügung gestellten und formell interviewten Gesprächspartner interessante Informationen gaben, so kamen die weitaus interessanteren Informationen in solch vertraulichen Gesprächen zur Sprache.
Während der Gespräche wurden schriftliche Notizen gemacht. Im Folgenden werden sowohl „wörtliche Zitate“ aus Gesprächen und Mails wiedergegeben als auch durch ‚einfache Anführungszeichen‘ gekennzeichnete Passagen aus zusammenfassenden Gesprächsprotokollen.
Die veröffentlichten Texte wurden auf Informationen aus diesen Gesprächen aufgebaut. In der „technischen Version“ der Kapitel dokumentieren über 500 Endnoten Schritt für Schritt Quellen und Informationen, die den niedergeschriebenen Aussagen zugrunde liegen. Aus Datenschutzgründen, d. h. um Personenbeziehbarkeit der Informationen und Quellen zu vermeiden, wird die „technische Version“ jedoch nicht veröffentlicht.
Wie bei früherer Forschung im abgeschotteten Milieu ‚illegaler‘ Migranten (Alt, 1999), über die während der Vorbereitungs- und Planungsphase ebenfalls wenig öffentliches Wissen zur Verfügung stand, veränderten bzw. differenzierten sich auch bei diesem Projekt im Verlauf der Interviews Hypothesen, Fragestellungen und Schwerpunkte in dem Maße, in dem Gesprächspartner ihre Sicht der Dinge darlegten und Aussagen sich widersprachen oder verstärkten.
Ein solches Vorgehen wird Fragen bezüglich der Richtigkeit und Verallgemeinerbarkeit solcher Aussagen wecken: Wie kann ausgeschlossen werden, dass eine ‚kernige‘ Information die Abrechnung eines frustrierten Beamten mit Vorgesetzten ist und insofern eher eine Ausnahme denn generalisierbare Regel ausdrückt? Dass eine Einzelperson aufgrund ihrer Beschäftigung nicht den Einblick in Zusammenhänge hat, die Vorgesetzte und Politiker haben?
Hierzu gibt es eine Reihe von Verifikationsmöglichkeiten, die in den in Fußnote 4 genannten Texten dargelegt werden. Lediglich zwei Punkte sollen hervorgehoben werden:
– Informationen wurden vor allem dann verwendet, wenn Schnittmengen zu öffentlich zugänglichen Quellen existieren – deshalb auch die vielen Literaturverweise in dieser Zusammenfassung.
– Ebenso sprach für sie, wenn sie von mehreren Informanten vorgetragen werden, bei denen ausgeschlossen werden kann, dass sie sich kennen oder abgesprochen haben.
Freilich: Aufgrund der Bedingungen, unter denen dieses Forschungsprojekt stattfand, der Natur der Methoden und Stichprobengröße sowie der fachlichen Komplexitäten sind die Aussagen in diesem Buch begründbar, aber nicht repräsentativ und umstandslos verallgemeinerbar.
Eine dritte Informationsquelle schließlich waren (halb-)standardisierte Befragungen: zunächst eine kleine anonymisierte und zufällige Bevölkerungsbefragung, sodann ein gezielt versandter Fragebogen, mit denen Verantwortliche in Ministerien und Parteien um zitierfähige Äußerungen zu forschungsrelevanten Themen gebeten wurden.6
Angesichts der Komplexität der Materie und der Tatsache, dass zur Bearbeitung derselben lediglich eine Teilzeitstelle zur Verfügung stand, ist eine Reihe von Einschränkungen