Wir verschenken Milliarden. Jörg Alt

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Wir verschenken Milliarden - Jörg Alt Fragen der Zeit

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kommt, dass parallel zur Senkung direkter Steuern auf private und betriebliche Einkünfte indirekte Steuern und Abgaben neu eingeführt (Erneuerbare Energie Abgabe!) oder erhöht wurden (etwa die Mehrwertsteuererhöhung 2008 von 16 % auf 19 %). Nach Ansicht von Experten hat sich die Zusammensetzung der Staatseinnahmen aus direkten und indirekten Steuern von einstmals 60 :40 inzwischen auf 40:60 umgekehrt – und damit zu Lasten niedriger und mittlerer Einkommen verschoben (Wieland, 2013). Mittlerweile ist der größte Einnahmeposten im Haushalt nicht mehr die Lohnsteuer, sondern die Umsatzsteuer.

      Leitende Beamte aus der Steuerverwaltung verteidigen diese Entwicklung. Sie sei gerecht und fair: Einer indirekten Steuer auf Konsum könne niemand in Steuerparadiese ausweichen und die Erhebung dieser Steuer sei zudem sehr preiswert, während die Ermittlung einer zutreffenden progressiven Einkommensteuer seitens der Finanzverwaltung sehr aufwändig und damit teuer sei. Indirekte Besteuerung zieht nicht einmal Überprüfungs- und andere Erhebungskosten nach sich und es gebe keinerlei Einspruchsmöglichkeiten mit nachfolgenden langwierigen und teuren juristischen Verfahren. Entsprechend sähe man gute Gründe, die Tendenz zu indirekten Steuern weiter voranzutreiben und sie vielleicht durch Einführung einer Luxussteuer noch gerechter zu machen.

      Bei alledem sind Haushalte mit Kindern durch die kumulierte direkte/ indirekte Steuer- und Abgabenlast proportional höher belastet als Alleinverdiener oder Doppelverdienerhaushalte, obwohl doch Kinder für die Aufrechterhaltung des umlagefinanzierten Solidarsystems von herausragender Bedeutung wären und entsprechend gefördert werden sollten.

      Bereits an dieser Stelle erahnt man die unheilvolle Rolle, die „Steuerwettbewerb“ für die Entwicklung des Steuerrechts der vergangenen Jahrzehnte hatte und hat: Nachdem im Zuge der Globalisierung Kapitalverkehrskontrollen erstmal abgeschafft waren, musste man natürlich, um der Verlagerung und Abwanderung von Kapital und Vermögen zu begegnen, Steuergesetze so reformieren, dass der Verbleib im Land günstiger war als die Kosten für eine Verlagerung. Am Steuerwettbewerb sind aber nicht nur die Staaten beteiligt. Die Kommunen (Monheim, Eschborn, Grünau …) beteiligen sich über den Hebesatz bei Gewerbesteuer und Grundsteuer ebenso wie die Bundesländer: Unter dem Stichwort „Steuerwettbewerb der Länder“ machte Bayerns Finanzminister Söder bereits 2012 den Vorschlag, sowohl die Erbschaftsteuer als auch die Grundsteuer zu regionalisieren und Entscheidungen darüber ganz den Bundesländern zu überlassen. In eine ähnliche Richtung geht der Vorstoß von Bayern und Baden-Württemberg bezüglich mehr Spielraum bei der Einkommensteuer.

      All dies bedeutet eine Verschiebung der Steuerpolitik weg vom Prinzip der Leistungsfähigkeit hin zum Prinzip der Unausweichbarkeit, d. h. der Verschiebung der Steuerlast hin zu jenen, die bei Zahlungen von Steuern und Abgaben nicht in Niedrigsteuergebiete ausweichen können.

      In den Antworten auf die versandten Fragebögen halten sich Ministerien verständlicherweise in der Beurteilung der Rechtslage zurück, die dem Gesetzgeber zuzuschreiben ist.

      In den Stellungnahmen der Parteien überrascht zunächst die Skepsis der CDU/CSU beim Thema Steuerwettbewerb. Das sei „grundsätzlich nicht in Ordnung“ und „ein gegenseitiger Steuerwettbewerb um immer niedrigere Steuersätze kann zu keiner nachhaltigen Lösung führen.“ Auf den zweiten Blick entdeckt man, dass sich diese Sicht nur auf den internationalen Steuerwettbewerb bzw. die Konzernbesteuerung bezieht, die kleine und mittlere deutsche Unternehmen benachteiligt. Eher erwartungsgemäß stärkt die bayerische CSU Minister Söder in seiner Sicht des inländischen Steuerwettbewerbs: „Einkommensteuer und Erbschaftsteuer bedeuten in einem gewissen Umfang immer auch eine Umverteilung. Die Steuerpolitik muss hier das richtige Maß finden. Insofern muss ein „Steuerwettbewerb“ um das richtige Maß bei den Steuersätzen erfolgen.“ Früher sei versucht worden, mit höheren Grenzsteuersätzen „das Umverteilungsziel zu erreichen. Diese Politik hat aber nicht funktioniert.“

      Hinsichtlich der Erhöhung der Einkommensteuerprogression oder ausgesprochener Vermögensteuern wird der Leistungsaspekt betont, wobei ein Unterschied entlang der Kategorie Koalition/Opposition verläuft. Regierungsseitig wird betont, dass höhere oder zusätzliche Steuern nicht notwendigerweise zu höheren Einnahmen führen. „Eine Wiedereinführung der Vermögensteuer, eine höhere Erbschaftsteuer sowie höhere Spitzensteuersätze bei der Einkommensteuer wirken leistungsfeindlich und beeinträchtigen das deutsche Erfolgsmodell“ (CDU/CSU). Auch die Freiheit des Einzelnen sei zu respektieren: „Letztlich ist es die Entscheidung jedes Einzelnen, ob er konsumiert, spart oder investiert“ (CSU Bayern). Am deutlichsten kritisiert die Linkspartei Ungerechtigkeiten in der Entwicklung des Steuerrechts, die zudem, wie die SPD (Bund) auf ihre entsprechenden Forderungen im Bundestagswahlkampf 2013 verweist, wo Steuerreformen angesprochen wurden. Die SPD Bayern sowie Bündnis 90/Die Grünen (Bund und Bayern) verweisen in ihren Stellungnahmen nicht auf Forderungen vergangener Wahlprogramme.

      Das Forschungsprojekt folgt all jenen, die einen Zusammenhang sehen zwischen der Steuerpolitik der vergangenen Jahre und Jahrzehnte und dem Anstieg der Vermögensungleichheit in Deutschland – man betrachte nur die Entwicklungen der letzten 20 Jahre:

      Tabelle 3 Ausgewählte Steuersätze 1996–2016

19962016
Einkommensteuer-Spitzensatz53 %45 %
Steuer auf Kapitaleinnahmen53 %25 %
Körperschaftsteuer45 %15 %
Vermögensteuer1 % (natürliche Personen) 0,6 % (Körperschaften)0 %
Erbschaft- und SchenkungsteuerViele SonderregelungenViele Sonderregelungen

      Natürlich gibt es auch andere Gründe, aber die sind nicht hinreichend zur Erklärung von Geschwindigkeit und Ausmaß der Ungleichheitsentwicklung.

      Sodann wird die oben zitierte Auffassung der CSU Bayern zwar bestätigt, dass natürlich zunächst und zuerst jeder Bürger Entscheidungsoptionen hinsichtlich Konsum, Sparen oder Investieren haben sollte. Nur ist dies in Bayern – siehe Tabelle 1 – aber eben nicht für alle möglich. Sodann muss festgehalten werden, dass – absolute und relative Belastung ebenso bedenkend wie die Einbeziehung der Belastung durch direkte und indirekte Steuern sowie Sozialabgaben – keinesfalls die Bezieher hoher Einkommen und Vermögenden die größte Last der Gemeinschafts- und Solidaraufgaben tragen. Ein Forscherteam bestätigt: „Den größten Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens leisten die Haushalte mit einem Bruttoeinkommen zwischen 30.000 und 40.000“ Euro (Beimann, Kambeck, & al., 2011, S. 13). Darüber hinaus könnte man mit Beschluss 1656/09 des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2014 zu dem Schluss kommen, dass gerade diese kumulierte Steuerund Abgabenlast ein Verstoß gegen das Leistungsprinzip ist, denn: „Weniger Leistungsfähige müssen … einen höheren Anteil ihres Einkommens oder Vermögens als Steuer abgeben als wirtschaftlich Leistungsfähigere“ (Nr.59).

      Alarmieren sollte der Zustand der Sozialsysteme: Schon jetzt muss der Staat aus Steuermitteln den Sozialkassen milliardenschwere Zuschüsse geben, um sie funktionsfähig zu halten, und noch schwieriger wird die Situation werden, wenn all jene, die heute im Niedriglohnsektor arbeiten, alt werden und keine beitragsfinanzierte Rente beziehen bzw. keine ausreichende Krankenversicherung besitzen: Auch diese Personengruppe wird dann von Steuermitteln unterhalten werden müssen. Wer soll das alles stemmen?

      12 Siehe ausführlicher: http://tinyurl.com/tjp-GER-V

       7 Schnittmengen zwischen Steuerrecht und -verwaltung13

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