Göttliches Feuer, menschlicher Rauch. Josef Imbach
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Dass eine solche Entwicklung nicht in jedem Fall negativ zu beurteilen ist, haben die Preußen zu Beginn des 18. Jahrhunderts auf ganz profaner Ebene demonstriert. Damals trugen die Soldaten das Haar lang und offen. Im Zug einer Vereinheitlichung des militärischen Erscheinungsbildes wurde dann die Vorschrift erlassen, die Strähnen zu einem Zopf zu binden. Aber die neue Einheitlichkeit hatte ihren Preis; beim Exerzieren erwies sich der Zopf als hinderlich. Weshalb er irgendwann wieder aus den Kasernen verschwand. Geblieben ist die Redewendung vom »alten Zopf«, der abgeschnitten gehört.
Wer manchen früher verbreiteten Andachtsübungen nachtrauert, verbindet damit vermutlich vor allem Erinnerungen an die eigene Kindheit und Jugendzeit; das Bedauern hätte dann weniger religiöse als vielmehr psychologische Ursachen.
Wenn die Zeiten sich ändern, kann sich die Kirche nicht einfach auf den alten ausgetretenen Wegen bewegen. Schon Jesus mahnte ja die Seinen, die Zeichen der Zeit zu deuten und entsprechend zu handeln (vgl. Lukas 12,56). Die Evangelisten haben das als Erste begriffen. Bekanntlich haben sie Jesu Botschaft nicht einfach protokolliert, sondern sie gleichzeitig im Hinblick auf die Bedürfnisse der Gemeinden, für die sie ihre Schriften verfassten, aktualisiert. Die im Lauf der Jahrhunderte sich herauskristallisierenden Traditionen sind im Grunde nichts anderes als die Fortschritte von vorgestern und gestern. Und die Fortschritte von heute? Werden, falls sie sich durchsetzen, vielleicht einmal zu Traditionen von morgen und übermorgen. Verbindlich aber sind nicht diese einzelnen Traditionen; bindend ist einzig die große apostolische Tradition, welche sich in den verschiedenen zeit- und situationsbedingten Gepflogenheiten jeweils konkretisiert. Die einzelnen geschichtlich gewachsenen Traditionen können sich überleben, und manchmal sind sie sogar der Sache selber hinderlich. Dem Lukasevangelium zufolge ist Jesus »gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen« (11,49). Dieses Feuer gilt es zu schüren – und nicht, die Asche zu hüten.
LAHME PREDIGT? AUFTRETEN,
NICHT LEISETRETEN!
Vom 6. bis zum 25. Oktober 2008 fand in Rom die Zwölfte Vollversammlung der Bischofssynode statt. Thema: »Das Wort Gottes im Leben und in der Sendung der Kirche.« Schon am ersten Tag machten gleich mehrere Teilnehmer darauf aufmerksam, dass es mit der Predigtkultur in der katholischen Kirche nicht zum Besten bestellt sei. Unter anderen äußerte sich der Erzbischof von Québec, Marc Kardinal Ouellet, in seinem zweistündigen Referat über »die Unzufriedenheit vieler Gläubiger angesichts des Dienstes der Verkündigung«. Bischof Gerald Frederick Kicanas von Tucson, Arizona, stellte fest, manche Predigten seien einfach »tödlich langweilig«. Dabei verwies er auf eine Episode aus der Apostelgeschichte. Dort wird berichtet, dass der Apostel Paulus im Hinblick auf seine bevorstehende Abreise meinte, der versammelten Gemeinde von Troas die ganze Lehre nochmals in Erinnerung rufen zu müssen, und deshalb » seine Predigt bis Mitternacht ausdehnte«. Wer hier einen versteckten Vorwurf seitens des Verfassers der Apostelgeschichte heraushört, liegt vermutlich goldrichtig. Bestätigt wird das vom weiteren Verlauf der Dinge: »Ein junger Mann namens Eutychus saß im offenen Fenster und sank während der langen Predigt in tiefen Schlaf. Und er fiel im Schlaf aus dem dritten Stock hinunter und war tot. Paulus lief hinab, umfasste ihn und sagte: Beunruhigt euch nicht: Er lebt! Dann stieg er wieder hinauf, brach das Brot und aß und redete mit ihnen bis zum Morgengrauen. Dann verließ er sie. Den jungen Mann aber führten sie lebend von dort weg« (Apostelgeschichte 20,7-9). Der biblischen Erzählung zufolge wurde Eutychus von Paulus wieder zum Leben erweckt. Zumindest diese letztere Fähigkeit beherrschten viele heutige Prediger nicht mehr, meinte Bischof Kicanas. Das mag vielleicht zutreffen. Sicher hingegen ist, dass der junge Mann während der Predigt des Paulus einnickte! Und dass er nicht durch die Verkündigung des Gotteswortes zum Leben erweckt wurde! Aber gerade darum geht es doch in der Predigt.
Gelegentlich sorgen auch die Gläubigen selber dafür, dass die Zuhörerschaft nicht einschläft. Als ich einmal in einer Predigt zum Thema Gewissen die Frage der Wehrdienstverweigerung ansprach, schrie einer dazwischen: »Was Sie da sagen, steht in krassem Widerspruch zur Lehre der Kirche!« Ich habe den Mann eingeladen, ans Mikrophon zu kommen, und seine Ansicht kurz zu begründen. Anschließend habe ich (etwas genüsslich, wie ich zu meiner Beschämung gestehen muss) erklärt, dass es sich bei der von ihm beanstandeten Meinung um ein wörtliches Zitat aus einer päpstlichen Enzyklika handle. Meinen Respekt konnte ich dem Mann allerdings nicht versagen. Die Gläubigen müssen sich in der Predigt wirklich nicht alles bieten lassen. Auch hier gilt: Auftreten, nicht leisetreten! Schließlich sind die mit der Verkündigung Beauftragten nicht die einzigen Pächter und Wächter der Wahrheit. Das Zweite Vatikanische Konzil räumt auch dem »Glaubenssinn der Gläubigen« einen hohen Stellenwert ein. Diesem Glaubenssinn aber eignet nicht bloß ein wahrheitsbezeugender Charakter; er hat auch eine wahrheitsfindende Funktion. Wenn das römische Kirchenrecht den Laien die Predigt während der Eucharistiefeier verbietet, so untersagt es ihnen damit nicht, während der Predigt Fragen zu stellen. Oder eine Predigt in Frage zu stellen.
Dass das nicht nur für mündliche Predigtvorträge gilt, sondern selbst für die autoritativen schriftlichen Ausführungen höherer Chargen zutreffen kann, zeigt eine Episode, die sich in einem deutschen Bistum zugetragen haben soll. Anlässlich der Firmung beschwerten sich mehrere Pfarreiangehörige bei ihrem Bischof über die langweiligen Predigten ihres Pfarrers. Einer von ihnen meinte: »Und wenn der Pfarrer einmal nicht predigt, dann liest er uns so einen langweiligen Hirtenbrief vor.«
STRASSENNAMEN, ORTSNAMEN,
IN GOTTES NAMEN
Straßennamen haben es manchmal in sich. Der Kapellenweg beispielsweise lässt darauf schließen, dass dort in der Nähe ein kleines Heiligtum steht. Oder stand. Der Klosterplatz, an dem sich heute die Hauptpost befindet, verdankt diese Benennung mit Sicherheit einem Konvent, in welchem sich ehemals Klarissinnen oder Karmeliten oder andere Ordensleute mehrmals täglich zum Gotteslob versammelten. Die Kapuzinergasse wiederum führte todsicher einmal zu einem Kloster, wo die bärtigen Franziskussöhne früher am Markttag stundenlang in ihren Beichtstühlen saßen, um den Bußfertigen Absolution zu erteilen. Was die Ortsnamen betrifft, gehen manche von ihnen auf Heilige zurück, zu deren Ehren man einst ein Gotteshaus errichtet hatte – so etwa das jurassische St-Ursanne oder St. Peter im Schwarzwald. Inzwischen hat sich da manches geändert. An der Stelle, wo sich vor Jahrhunderten eine Kirche befand, protzt jetzt vielleicht eine Kreditanstalt. Befindet sich das Christentum auf dem Rückzug? Ab und zu bekommt man ja zu hören, dass den Menschen nicht einmal mehr das Glockengeläute heilig sei.
In Wirklichkeit war das Glockengeläute natürlich nie ›heilig‹. Wohl aber gab es schon öfters Anlass zu dörflichen Querelen. Irgendwann waren ein paar Zugewanderte es leid, allsonntäglich um sechs Uhr morgens aus dem Schlaf gerissen zu werden. Die seit Generationen Ansässigen wiederum empfanden es als Affront, dass die Neuzugezogenen sich erkühnten, an der althergebrachten Ordnung zu rütteln. Denen musste man zeigen, wo es im Christentum langgeht! In Wirklichkeit ging es dabei gar nicht um eine Glaubens-, sondern um eine Machtdemonstration. Aber niemand hätte das offen ausgesprochen. Verteidigt wurde das Geläute dann etwa mit dem Argument, es gelte, der Entchristlichung der Gesellschaft endlich Einhalt zu gebieten.
Die diesbezüglichen Klagen und Einwände sind bekannt: Müssen wir uns eigentlich von Zugewanderten die Regeln unseres Zusammenlebens diktieren lassen? Die Muslime wollen jetzt überall Minarette bauen, sie verlangen von ihren Frauen, dass sie Kopftücher tragen – und wir Christen