Zum Einklang finden mit sich und den anderen. Karin Seethaler

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Zum Einklang finden mit sich und den anderen - Karin Seethaler

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ist es jetzt. Ich werde eine halbe Stunde später ankommen.“ Dieses Einverständnis bewirkt, dass es ruhiger in mir werden kann. Ich höre auf, „gegen den Wind zu kämpfen“, also gegen etwas, das ich sowieso nicht mehr verändern kann. Mit meiner Aufmerksamkeit achte ich jetzt auf das, was außer den Dingen, die mich ärgern und stören, noch da ist. Ich kann meine Aufmerksamkeit zum Beispiel auf die vorbeiziehende Landschaft richten und sie auf mich wirken lassen oder auf ein Buch oder eine Zeitung, die ich mir mitgenommen habe. Vielleicht schließe ich auch einfach nur meine Augen und achte darauf, wie mein Atem kommt und geht. Die Wahrnehmung meines Atems führt mich nach innen. Allmählich kann ich den Namen Jesu mit dem Rhythmus meines Atems verbinden.

       „Wehret den Anfängen“ bedeutet für den spirituellen Weg, sich von Anfang an bewusst zu sein: Ich habe eine Wahl. Ich kann darüber entscheiden, welchen Gedanken ich meine Aufmerksamkeit gebe und welchen nicht. Von Gedanken, die mir nicht weiterhelfen, wende ich mich konsequent ab und stattdessen etwas Konkretem zu. Die entschlossene Rückführung der Aufmerksamkeit zu dem, was im Hier und Jetzt dem Leben dient, ist eine beständige Aufgabe, die meinem Alltag gleichzeitig eine klare Orientierung gibt.

       Man muss sich durch die kleinen Gedanken, die einen ärgern, immer wieder hindurchfinden zu den großen Gedanken, die einen stärken. (Dietrich Bonhoeffer)

      Es gibt chronische, tief verwurzelte negative Gedanken, die immer und immer wieder kommen, wie zum Beispiel: „Das kannst du sowieso nicht!“ „Die anderen sind viel besser als du! “ „Keiner liebt mich wirklich! “ „Das geschieht dir recht!“ „Du bist selbst schuld!“ Ihr Ursprung reicht oft bis in die Kindheit zurück. Diese Gedanken ziehen viel Lebenskraft und Lebensfreude ab. Das beständige Kreisen um negative Gedanken bewirkt eine Unruhe und Unzufriedenheit, macht unglücklich oder sogar krank. Es belastet zwischenmenschliche Beziehungen und auch die Beziehung zu mir selbst. Außerdem lenken sie die Aufmerksamkeit tragischerweise zu den Aspekten, die diese Meinungen zusätzlich noch bestätigen, und können blind machen für das Gute und Schöne, das auch da ist. In dieser Weise wirken sie unbewusst in destruktiver Weise in mein Denken, Fühlen und Tun hinein. Ich halte die negativen Gedanken für die Wirklichkeit. Diese ist jedoch immer sehr viel größer als all meine Gedanken, und die eigene Sichtweise ist stets nur ein Ausschnitt von ihr. Man könnte meinen, die Lösung sei doch eigentlich ganz einfach: Ich denke diese Gedanken einfach nicht mehr! Aber Gedanken, denen man in dieser Weise zu widerstehen versucht, drängen sich umso vehementer auf.

      Um hartnäckigen Gedanken zu widerstehen, muss man entschlossen etwas entgegensetzen. Magda Hollander-Lafon, die als 16-Jährige nach Auschwitz deportiert worden war und überlebte, hat sich ganz bewusst den hartnäckigen, negativen Gedanken widersetzt, die sie – auch nach ihrer Befreiung – am Leben zu hindern versuchten. „Ich schnitt farbige Pappstückchen aus und malte darauf jeden Tag in Großbuchstaben einen Zuspruch: ‚Magda, du schaffst es‘, ‚Das Leben will angestrahlt werden‘, ‚Glaube an dich‘, ‚Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott‘, ‚Wenn dich jemand kleinmachen will, schau weg‘. Ich behielt die Sprüche in meiner Tasche und tastete nach ihnen, wenn ich den Mut verlor.“13

      Negative Gedanken können aber bereits durch banale Unannehmlichkeiten in uns ausgelöst werden: Die Wartezeit beim Arzt ist zu lang, die Steuernachzahlung zu hoch, der Handytarif zu kompliziert, die Parkplatzgebühren zu teuer, die Warteschleife für eine telefonische Auskunft zeitraubend und der Arbeitskollege war wieder einmal so rechthaberisch. Man kann sich in diese negativen Situationen und Gegebenheiten durchaus hineinsteigern und sie dramatisieren. Besonders Gruppen können dafür anfällig sein, sich gegenseitig in negativer Weise zu bestätigen, indem man über andere schimpft und sie kleinmacht. Solche Situationen bezeichnet man religiös als Versuchung. Erliegt man ihnen im Alltag, breiten sich die negativen Gedanken immer mehr aus und trüben schließlich das Gemüt entsprechend ein. Denn „auf Dauer nimmt die Seele die Farbe deiner Gedanken an“ (Marc Aurel).

      Aufbauende Gedanken, die ermutigen und Kraft geben, sind religiös bedeutsam. Gott, der ein Gott des Lebens ist, fordert dazu auf, das Leben zu wählen. „Leben und Tod lege ich dir vor, Segen und Fluch. Wähle also das Leben, damit du lebst, du und deine Nachkommen“ (Dtn 30,19). Im Alltag bin ich aufgefordert, mich in meinem Denken und Tun beständig neu für das Leben zu entscheiden. Die konkrete Umsetzung dieser Aufforderung beginnt damit, mich für aufrichtende, stärkende und ermutigende Gedanken zu entscheiden, die mich und andere in ihrer Würde achten. Dies hat nichts damit zu tun, Schwierigkeiten zu ignorieren. Vielmehr hat es mit einer bewussten Entscheidung zu tun. Religiös zu leben heißt, sich für das zu entscheiden, was dem Leben dient und was Sinn stiftet – jeden Tag, jede Stunde, jede Minute neu. Die konsequente Hinwendung zu aufbauenden, lebensbejahenden Gedanken verändert meinen Blick auf mich selbst, auf andere und auf das Leben. Im beständigen Zurückkehren zur Gegenwart bzw. zu etwas Konkretem verlieren die negativen Gedanken ihre Macht. Sie können meine Stimmung nicht mehr nach unten ziehen. Ich werde stattdessen wieder empfänglich für das Gute, das unabhängig von diesen einengenden Gedanken in meinem Leben auch noch da ist. Ich erfahre, dass dieser innere Weg, den ich streckenweise als inneren Kampf erfahren kann, eine innere Grundhaltung in mir wachsen lässt, die dem Leben zugewandt bleibt und es bejaht, so wie es ist.

       Paulus ruft dazu auf, unser Denken zu erneuern (Röm 12,2). Was bedeutet diese Aufforderung für mich konkret? Welche Gedanken haben eine negative Auswirkung auf mein Lebensgefühl? Welche Gedanken bauen mich stattdessen auf und ermutigen mich? Was hilft mir, mich in schwierigen Situationen bewusst an sie zu erinnern und an ihnen festzuhalten?

       In der Meditation kann es Zeiten geben, in denen es notwendig ist, mir bewusst lebensfördernde Gedanken ins Bewusstsein zu rufen, um von negativen Gedanken, die mich beständig um mich selbst kreisen lassen, Abstand zu nehmen. Der große Mystiker Meister Eckhart empfiehlt: „Du Mensch, schau dich in deinem Leben nie so an, als wärst du ferne von Gott. Und wenn du dich nicht so ansehen kannst, dass du nah seist bei Gott, so fasse doch den Gedanken, dass Gott nahe bei dir ist.“ Gedanken dieser Art führen mich wieder in die Beziehung zu Gott und lenken meine Aufmerksamkeit hin zu seiner lebensspendenden Gegenwart, auch wenn ich sie nicht spüre.

      Der Alltag kann Zeiten mit sich bringen, in denen man so aufgewühlt ist, dass man in der Stille keinen Halt findet. Kontemplativ im Alltag zu leben bedeutet nicht, dass man immer ausgeglichen und ruhig ist, sondern dass man stets auf Gott bezogen bleibt. Gebete, die man auswendig kennt, helfen uns dabei, mit Gott in Beziehung zu bleiben. Das langsam gesprochenen Gebet in unruhigen Zeiten erfährt man dann als Stütze.

       Im Anhang dieses Buches finde ich eine kleine Auswahl von Gebeten. Ich wiederhole das Gebet, das mich anspricht, immer wieder und lerne es dabei auswendig. Es steht mir dann jederzeit zur Verfügung. Doch nicht die auswendig gelernten Worte sind das Entscheidende, sondern die Resonanz, die sie in mir auslösen.

      Die Bibel ist eine Schatztruhe von Gedanken und Worten, die Hoffnung geben und neuen Mut. Die Kraft der Worte Jesu lässt Petrus sagen: „Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens“ (Joh 6,68).Jesu Worte schenken Frieden, selbst in Augenblicken der Verwirrung. Sie ermutigen zum nächsten Schritt, auch wenn uns der Mut verlassen will. Sie geben Zuversicht, selbst im Schmerz.

       Welche Worte von Jesus kenne ich, die mich zuversichtlich stimmen und Mut zusprechen?

      Es wurde mir erzählt, dass jemand beim Durchblättern einer Bibel am Seitenrand des Öfteren ein „E“ bemerkte. Er ging davon aus, dass die Mutter seines Freundes, der die Bibel gehörte, immer wieder den Anfangsbuchstaben ihres Vornamens vermerkte. Als er nachfragte, antwortete sein Freund zu seiner Überraschung: „Nein, ‚E‘ bedeutet ‚Erfahren‘. Meine Mutter hat erfahren, was an dieser Stelle geschrieben steht.“

       Ich lese die Bibel

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