Toter Dekan - guter Dekan. Georg Langenhorst
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„Mag sein, aber sie gehören doch zusammen, Sünde und Schuld!“, warf Frau Mechtersheim vorsichtig ein.
„Wie denn? Sünde – ich weiß wirklich nicht, was das sein soll!“, gab Kellert zurück, während er sich ein wenig wunderte, was für ein Gespräch er hier gerade führte.
„Schauen Sie, das ist einfach!“, dozierte Brandtstätter, sichtlich in seinem Element. „Schuld entsteht dann, wenn man als Mensch absichtlich und selbst verantwortet unter seinen eigenen Möglichkeiten bleibt!“
„So definierst du das, Elmar!“, warf seine Kollegin ein, „das kann man auch ganz anders bestimmen.“ „Ja geh, das interessiert mich nicht!“, erwiderte der Professor.
„Ich meine, wann immer Sie etwas tun oder unterlassen, was Sie eigentlich könnten und sollten, dann werden Sie schuldig. Egal, ob in den kleinen Dingen des Alltags oder in der Tötung eines anderen Menschen. Das gilt übrigens für Einzelne genauso wie für Gesellschaften, also für Staaten – oder auch Kirchen.“
„Und Sünde?“, fragte Beate Kellert nach. Brandtstätters Antwort ließ nicht lange auf sich warten. In solchen Gesprächen, war er offensichtlich ganz in seinem Element. „Sünde, das ist das Bleiben unter den Möglichkeiten, die Gott einem gegeben hat. Also eigentlich dasselbe, nur denkt man dann von Gott aus. Dass Sie und ich, dass jede und jeder von Gott bestimmte Fähigkeiten und Stärken geschenkt bekommen hat. Und wenn man die nicht nutzt oder schlecht nutzt, verstößt man nicht nur gegen sich selbst, gegen die Mitmenschen, sondern eben auch gegen den, der sie uns gegeben hat – Gott.“
‚Jetzt hat er endgültig angefangen zu predigen‘, dachte Kellert. ‚Holen wir ihn mal ein bisschen zurück auf den Boden der Realität.‘ „Das macht aber natürlich nur für solche Menschen Sinn, die an diesen Gott glauben, oder?“, gab er zu bedenken.
„Gewiss, gewiss, auf den ersten Blick schon“, pflichtete ihm Brandtstätter zunächst bei. „Da ich allerdings fest daran glaube, gehe ich davon aus, dass das grundsätzlich für alle Menschen gilt, egal, ob ihnen das bewusst ist oder nicht!“
Kellert strich sich nachdenklich über das Kinn. ‚Sünde, Schuld, Gerstmaiers Umgang mit den Kollegen …?‘ Auch die anderen hatten sich stumm geredet. „Wie wäre es mit einem Cappuccino oder Latte macchiato?“, fragte seine Frau in die plötzliche Stille hinein, was dazu führte, dass der Abend mal ein vergnügliches Ende fand.
Mittwoch, 12. Mai, morgens
Chaos, Struktur und ein Streit
Kommissar Bernd Kellert saß seit einer knappen Stunde an seinem Schreibtisch im Friedensberger Kriminalkommissariat. Er hatte die beiden Fenster seines Büros geöffnet, um die regenfeuchte Morgenluft hereinzulassen, von fern drang Straßenlärm herauf, irgendwo in der Nähe sang eine Amsel. In einem der vollgestopften Wandregale stand ein kleines schwarzes Taschenradio, von dem aus eine leise Tonwolke aktueller Popmusik in den Raum hineindampfte. Irgendeine aktuelle amerikanische Sängerin, austauschbar wie die Handtücher am Waschbecken hinten in der Ecke des Büros, sang zu einem gewöhnlichen Grundbeat.
Kellerts Mitarbeiter, Kriminalhauptmann Dominik Thiele, achtundzwanzig Jahre alt, zwei Fingerbreit größer, aber genauso durchtrainiert wie sein Chef, saß an der anderen Seite der gegeneinandergeschobenen Schreibtische und recherchierte etwas in seinem Computer. Ab und zu tippte er irgendwelche Informationen in sein Notebook. Hinter dem Flachbildschirm war sein flachsblonder mittellanger Haarschopf für Kellert kaum zu sehen. Der Kommissar brummte missmutig vor sich hin: „Wie soll man sich das alles bloß merken?“
„Was ist los, Chef?“, fragte Dominik Thiele und wendete sich seinem Vorgesetzten zu. Schlechte Laune kannte er bei ihm gar nicht. Kommissar Kellert galt bei seinen Kollegen als stets konzentrierter und trotzdem gut gelaunter Polizist. „Beim Kellert wirst du arbeiten?“, hatten einige ältere Kollegen den Kriminalhauptmann beglückwünscht, als vor etwas mehr als zwei Jahren feststand, wo er seine erste Stelle in Friedensberg antreten würde.
„Da wirst du was lernen. Und menschlich ist der auch okay. Der wird aber von dir vollen Einsatz verlangen, darauf kannst du dich gleich einstellen.“ ‚Voller Einsatz? Den kann er haben‘, hatte er sich damals gedacht. Und so war es keine große Überraschung, dass Chef und Mitarbeiter sehr gut miteinander auskamen, obwohl oder vielleicht weil sie Beruf und Privatleben strikt voneinander trennten.
Nun schaute Kellert von den vielen Blättern auf, die vor ihm auf seinem Schreibtisch lagen, scheinbar ungeordnet. Dass es eine ganz persönliche Ordnung im Chaos gab, wusste Thiele inzwischen. „Also so eine Fakultät an der Uni ist unglaublich kompliziert. Bis man da mal klarkriegt, wer welche Aufgabe hat, wer wofür zuständig ist, wie sich die Kompetenzen verteilen: furchtbar. Und dann noch Theologie! Damit habe ich nun wirklich nichts zu tun. Klar, unsere Kinder sind getauft und zur Erstkommunion und Firmung gegangen und so, weißt du ja!“
‚Nö, wusste ich nicht‘, dachte Thiele, ‚ich wusste ja nicht mal, dass du katholisch bist.‘ Kellert fuhr fort: „Als Kind war ich sogar einige Zeit Messdiener, kannst du dir das vorstellen? Meine Güte, das ist lange her, weit weg! Heute habe ich mit dem Laden kaum noch etwas am Hut. Die leben doch irgendwie in einer anderen Welt, oder?“
Dominik Thiele zuckte nur mit den Schultern. Er war ein Kind der Großstadt, aufgewachsen in einer Frankfurter Vorstadt. Religion hatte weder in seiner Familie noch in seinen sonstigen Lebenskreisen eine Rolle gespielt. Seine ihn allein erziehende Mutter hielt nichts davon und so hatte er eine religionslose Kindheit verbracht. Und die hatte sich entsprechend in die Jugendzeit und in sein Erwachsenenalter hinein verlängert.
„Weißt du zum Beispiel, was ein Lehrstuhl für Liturgiewissenschaft ist oder was man an einem Lehrstuhl für Fundamentaltheologie macht? Hat das was mit Fundamentalismus zu tun? Aber wieso dazu ein Lehrstuhl?“, fragte Kellert seinen Mitarbeiter, der aber nach wie vor völlig verständnislos dreinblickte und nichts dazu zu sagten wusste. „Okay, Moraltheologie, da kann ich mir ja etwas drunter vorstellen, Philosophie auch, aber hier: Alte Kirchengeschichte! Komisch, ist die nicht grundsätzlich alt?“
In diesem Moment klopfte es an der Bürotür. Automatisch unterbrach Kellert seinen Redefluss und sagte mit ganz anderer, offizieller Stimme: „Herein!“ „Ich möchte eine Aussage machen“, sagte ein schmächtiger, eher kleinwüchsiger jüngerer Mann in schwarzem Anzug und mit weißem Priesterkragen, während er sich unsicher und an seiner silbern eingefassten Brille nestelnd in das Zimmer vortastete.
„Ach ja, kommen Sie doch.“ Kellert war aufgestanden, hatte den Besucherstuhl herangeschoben und wies nun mit einladender Geste darauf. „Herr, ääh“ – er starrte auf eine Aufstellung, die er sich gemacht hatte – „Herr Dr. Schachner.“ „Richtig“, antwortete dieser beflissen und geschmeichelt darüber, dass man sich nach der gestrigen Befragung an ihn erinnerte. „Dr. Winfried Schachner mein Name. Ich bin Assistent am Lehrstuhl für Dogmatik an der hiesigen Universität.“
„Ich weiß, ich weiß“, kommentierte Kellert und dachte bei sich: ‚Der sieht nun wirklich genau so aus, wie Beate sich einen Theologieprofessor vorgestellt hat‘, sagte aber: „Was haben Sie denn auf dem Herzen? – Einen Kaffee oder ein Mineralwasser?“ „Nein, nein, danke“, druckste Schachner herum. „Mach mal aus“, brummte Kellert zu seinem Mitarbeiter und deutete dabei auf das Radio. Der erhob sich, schaltete das Gerät aus und setzte sich dann wieder an seinen Platz.
„Nun ich … ich weiß gar nicht, ob ich Ihnen das überhaupt