Toter Chef - guter Chef. Georg Langenhorst
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Ingrid Wiesmüller, an die sich diese Frage natürlich gerichtet hatte, kniff die Lippen zusammen, hielt es aber offensichtlich unter ihrer Würde, darauf einzugehen. Immerhin senkte sie sekundenlang die Lider und schüttelte kaum wahrnehmbar den Kopf. Brox fügte an: „Teresa Andernach: eine selbstbewusste junge Dame, Sie werden es schon sehen. Und die hat auch ihre Sträußchen mit dem Chef ausgefochten, wenn ich mich richtig entsinne.“ Er wandte sich an seine beiden Kollegen. „Das wäre doch sinnvoll, oder?“
Ingrid Wiesmüller blickte nach wie vor skeptisch. „Was soll das schon bringen? Ich würde die Schülerinnen und Schüler gern aus der ganzen Sache heraushalten.“ „Das geht nicht. Sie sind doch schon mittendrin“, fiel ihr Thomas Brox ins Wort. Missbilligend blickte sie ihn an. „Vielleicht. Wenn es nicht anders geht. Aber bitte“ – sie blickte die beiden Polizisten an – „mit aller Zurückhaltung. Und glauben Sie der Teresa nicht alles, was sie sagt. Sie neigt zu sehr einseitiger Wahrnehmung und Darstellung.“
Brox wollte widersprechen, aber die stellvertretende Schulleiterin hatte inzwischen wieder die Kontrolle über die Gesprächsführung übernommen. Ihr Blick ließ ihn verstummen. Kellert warf ein: „Gut, dann bestellen Sie doch bitte dieser Schülerin, dass ich sie sprechen möchte. Dass wir sie sprechen wollen“, korrigierte er sich.
Ingrid Wiesmüller nickte, hüstelte, blickte auf die Wanduhr, die sich zwischen den großformatigen Gemälden berühmter Persönlichkeiten von Friedensberg und dieses Gymnasiums fast zu verstecken schien. Sie wandte sich an die beiden Besucher: „Oh! In fünf Minuten ist große Pause. Da müssen wir für die Kolleginnen und Kollegen da sein. Gerade heute! Das werden Sie verstehen, oder?“
Die stellvertretende Schulleiterin schaute die beiden Kriminalbeamten mit scharfem Blick an. Sie spürte durchaus, dass sie das Gespräch so nicht beenden konnte und noch irgendetwas Verbindliches anfügen musste. „Natürlich werden wir die Kolleginnen und Kollegen auffordern, bestmöglich mit Ihnen zu kooperieren“, fügte sie an. „Und dass sie von sich aus auf Sie zugehen, falls ihnen irgendetwas Außergewöhnliches aufgefallen ist. Erhoffen Sie sich davon jedoch nicht zu viel. Aber wir werden es zumindest versuchen. Und bitte teilen Sie uns mit, wenn wir Ihnen in irgendeiner Weise behilflich sein können. Je eher wir wissen, warum diese furchtbare Tat geschah, umso besser!“
Bernd Kellert nickte wortlos. Nein, in diesem Ton ließ er normalerweise nicht mit sich und seinen Kollegen reden. Sein Gegenüber schien sich über die Rollenverteilung, die nun zwischen ihnen herrschte, nicht ganz im Klaren zu sein. Aber das würde er dieser Frau Wiesmüller – falls nötig – zu gegebener Zeit schon deutlich machen. Nicht jetzt, nicht hier.
Er legte die Karte mit seinen Kontaktdaten auf den Rundtisch in der Mitte des Raumes. Die stellvertretende Direktorin hatte nichts anderes erwartet. Sie beendete ihre Ausführungen ohne Pause: „Wenn also jetzt von Ihrer Seite aus nichts ganz Dringendes mehr ansteht …“
Sie ließ den Satz ausklingen. Die Botschaft war deutlich. Kellert überlegte kurz, schien noch etwas anfügen zu wollen, verabschiedete sich dann jedoch und verließ mit seiner jungen Mitarbeiterin das Direktorat. Sie würden aber gewiss noch im Sekretariat vorbeischauen, um sich von Saskia Blum zu verabschieden.
5.
Dominik Thiele war überrascht, welchen inneren Zwiespalt er empfand. Einerseits war es seltsam, seinen Chef nicht zu begleiten. Viereinhalb Jahre lang waren sie nun schon ein Team, und sie hatten sich wirklich sehr gut eingespielt. Ohne viele Worte. Blicke und Gesten reichten inzwischen aus, um sich perfekt zu verständigen.
Auf der anderen Seite spürte er ein großes Gefühl von Befreiung. Er selbst – nur er! – war allein unterwegs. Einen Chef, der das Kommando hatte, brauchte er nicht. Nicht mehr. Er würde das auch so hinbekommen, da war er sich sicher. Schon viel zu lange – so empfand zumindest er das – stand nun auch die nächste Beförderung aus. Doch, er wollte und würde Kriminalkommissar werden. Und dann sein eigener Chef sein, soweit das möglich war. Die Zeit als Mitarbeiter von Bernd Kellert lief aus. Gewiss, das war einerseits durchaus schade. Andererseits: Gut so! Er hatte genug gelernt.
Er parkte seinen Dienstwagen mitten im Villenviertel von Friedensberg. Geräumige, zwei- bis dreigeschossige Bauten erhoben sich hinter hohen Grundstücksmauern und inmitten weitläufiger Gartengrundstücke, die von mächtigen alten, noch blätterlosen Laubbäumen überwölbt wurden. Diese Gründerzeitvillen waren inzwischen über einhundert Jahre alt. Sie kosteten unendliche Gelder zur Unterhaltung und Heizung, das wusste Thiele. Auch jetzt, im März, musste man diese Häuser noch komplett heizen. Sonst würde es kühl und klamm. Kinder, die in solchen Villen wohnten, waren gerade in dieser Jahreszeit oft erkältet. So zumindest hatte es Verena aus ihrer Schulerfahrung berichtet.
Thiele mochte die hohen Räume in diesen Villen, auch die ausladenden Gärten mit den alten, majestätischen Bäumen. Hier wohnen wollte er jedoch kaum. Und würde es auch nicht. Dazu fehlten ihm die familiären Einbindungen in die Erbfolgen, die die Bewohner auszeichneten. Ganz abgesehen von den finanziellen Mitteln.
„Geißendörfner“ stand auf einem alten Messingschild rechts neben einem schon etwas verwitterten Tor in den brusthohen Umgrenzungsmauern aus dunkelrotem Ziegelstein. Ohne Vornamen, ohne Titel. Thiele klingelte, sofort öffnete sich das Tor. Er hatte sein Kommen angekündigt und wurde erwartet. Wortlos öffnete eine vielleicht siebzigjährige, unscheinbar gekleidete grauhaarige Frau die Haustür und führte ihn durch einen dämmrigen Flur in ein geräumiges Wohnzimmer. Gediegene Kirschholzmöbel, bis zur Decke reichende, maßgefertigte und bis zum letzten Platz gefüllte Bücherregale, eine Sitzgruppe auf hochflorigem Teppich. Trotz der zwei großen Fenster blieb es hier leicht dämmrig.
Eine ‚Dame‘ – das Wort fuhr Thiele zu seiner eigenen Überraschung durch den Kopf – erhob sich, zierlich, mit einem silbern glänzenden Kurzhaarschnitt, elegant gekleidet. „Thea Geißendörfner“, stellte sie sich unnötigerweise vor, reichte ihm die schmale, mit drei Ringen geschmückte rechte Hand mit kaum wahrnehmbarem Druck und wies auf einen Sessel ihr gegenüber: „Bitte sehr, setzen Sie sich doch.“ Die alte Frau, die ihn bis hierher begleitet hatte, zog sich zurück, ohne auch nur ein einziges Wort gesprochen zu haben.
Thiele versuchte, die Gesichtszüge seines Gegenübers zu erforschen, ohne dabei allzu aufdringlich zu wirken. Hinter dem rechten Ohr entdeckte er ein silbern aufblitzendes Hörgerät, fast unsichtbar, aber doch erkennbar. Ungewöhnlich bei einer Frau, die noch keine sechzig Jahre alt sein konnte. Müde wirkte die Hausherrin, ein eingefallenes Gesicht, erloschene Augen, das ja. Aber Spuren von Verzweiflung und tiefer Trauer konnte er nicht entdecken. Gefasst blickte die formvollendet gestylte Frau ihn an. Ein mattes Lächeln glitt über ihr Gesicht, denn natürlich bemerkte sie seinen Blick.
„Sie suchen die trauernde Witwe, nicht wahr?“, fragte sie mit klarer, fester, eher dunkler Stimme. „Und finden sie nicht. Und überlegen, warum das so ist. Habe ich Recht?“ Thiele rutschte auf seinem Sitz hin und her, wollte antworten, doch sie kam ihm zuvor: „Das ist schon in Ordnung, junger Mann. Äh, Herr Thiele.“ Sie erinnerte sich seines Namens, der ihr bei der Ankündigung seines Besuchs genannt wurde.
„Nun, die werden Sie nicht finden, die am Boden zerstörte Ehefrau“, fuhr sie fort. „Und ich bin es auch nicht. Jedenfalls nicht in dem Sinne, wie Sie es vielleicht vermutet haben. Und ich will Ihnen auch sagen, warum das so ist. Damit Sie von Anfang an klar sehen. Was soll man da groß darum herumreden?“ Sie hatte sich offenbar genau überlegt, was sie sagen wollte. Ihre Worte kamen ohne Stocken und Zögern.
„Wir sind“ – sie korrigierte sich – „wir waren vierunddreißig Jahre verheiratet, der Bertram und ich. Er war vierundzwanzig und ich dreiundzwanzig, als wir heirateten. Beide noch im