Als die Oper mit Bier gelöscht wurde. Heinz Gebhardt
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Da der Bierpreis nicht gesenkt wurde, ging’s in der Nacht zum 18. Oktober beim Pschorrbräu dann auf zum letzten Gefecht, bei dem die Gendarmerie aber tatenlos zusah: Sie hätte gegenüber der wütenden Menge keine Chance gehabt. Der Magistrat ließ sogar zum Schutz der Gendarmerie Militär aufmarschieren, um die Polizisten vor Randalierern zu schützen! Als Gerüchte über erschlagene Soldaten die Runde machten, gab’s kein Halten mehr und die Randalierer zertrümmerten den Pschorrbräu zu Kleinholz.
»Niemals hat Bayerns Metropole solchen Gräuel der Verwüstung geschaut«, schrieben die »Neuesten Nachrichten«.
1879 Erster Oktoberfest-Einzug war grober Unfug
Mit dem »traditionellen Einzug der Wiesnwirte« beginnt das Oktoberfest. Aber bei jedem Satz, der in München mit dem Wort »traditionell« beginnt, ist große Vorsicht geboten: Wäre nämlich der Einzug der Wiesnwirte wirklich »traditionell«, dann müsste die Polizei jeden Einzug sofort stoppen und die Wirte wegen groben Unfugs anzeigen. So geschehen 1879, als Hans Steyrer (1848–1906), beliebter Wirt des Sendlinger Wirtshauses »Zum bayerischen Herkules« aus Freude darüber, dass er auf dem Oktoberfest ein Bierzelt bekam, mitsamt seinen Kellnerinnen und Schankburschen im Zweispänner quer durch die Stadt auf die Wiesn fuhr. Allem voran eine zünftige Kapelle, damit auch jeder hört, der bayerische Herkules ist jetzt Wiesnwirt! Der Strafbefehl über 100 Mark folgte sofort, aber der Steyrer Hans hat sich in seinem Wiesnzelt wahrscheinlich einen Maßkrug genommen und sich gesagt: »Schwoab’ma’n obi!«
Hans Steyrer als Kraftmensch mit seiner beliebten Turnübung »Lebendes Reck«, an dem sein Sohn baumelte.
Im Jahr darauf, 1880, war das Auge des Gesetzes schon gewarnt und schickte ihm bereits Tage vor Wiesnbeginn das schriftliche Verbot, diesen Unsinn zu wiederholen. Bei Androhung der gleichen Strafe, versteht sich. Die Polizei war aber so klug, sich auf keinen Kampf mit dem bayerischen Herkules und seiner Kellnerinnen-Truppe einzulassen, den sie sowieso verloren hätte, überreichte ihm dafür noch in der Kutsche den zweiten Strafbefehl wegen »groben Unfugs«. Ob er ihn gleich bar bezahlt hat, ist nicht überliefert, aber der »traditionelle Einzug der Wiesnwirte« hatte damit begonnen.
1950 »Ozapft is« auf der Nachkriegs-Wiesn
»Im Schottenhamel lag neben dem ersten Banzen ein nagelneuer Schlegel und ein funkelnder Messinghahn bereit. Umringt von Münchner Kindln und Photographen band sich Oberbürgermeister Thomas Wimmer schmunzelnd den Schurz um, krempelte die Hemdärmel auf und zapfte mit ein paar kräftigen Schlägen an. Die erste Maß widmete er dem Oktoberfest und der Stadt München.« Am Samstag, den 18. September 1950 schlug um 12.00 Uhr mittags die Geburtsstunde der bis heute »wichtigsten Amtshandlung« eines Münchner Oberbürgermeisters, das Anzapfen auf dem Oktoberfest. Das Sensationelle bei diesem ersten Anzapfen war: Wimmer stellte damit die Bier-Hierarchie auf den Kopf. Vor ihm wäre kein Politiker auf die Idee gekommen, ein Fass Bier anzuzapfen. Politiker standen in einer Reihe mit den Brauereibesitzern, Bieraktionären und Großgastronomen, danach kamen die großen Wirte, und bei deren Personal an unterster Stelle stand der Schenkkellner. Dass Wimmer die Hemdsärmel hochkrempelte, den Schlegel in die Hand nahm und ein Fass Bier anzapfte, hatte 1950 die gleiche Symbolkraft wie er zur selben Zeit die Schaufel in die Hand nahm und Schutt räumte. Er wollte damit ein Zeichen setzen, dass sich in diesem Nachkriegselend niemand auch zu niedrigsten Arbeiten zu schade sein darf, jetzt musste jeder die Ärmel hochkrempeln und wie er Schutt räumen und draufhauen (siehe »Rama dama«). Und weil diese Botschaft alle Münchner erfahren sollten, war das erste Oktoberfest-Anzapfen auch kein zufälliges Ereignis. Wimmer wurde nicht, wie die Legende bis heute behauptet, vom Wirt Schottenhamel als Fußgänger in die Kutsche und dann ins Zelt zum zufälligen Anzapfen eingeladen, sondern das Anzapfen war von Wimmer eine gut geplante Amtshandlung.
Ozapft is! OB Wimmer bei der ersten Nachkriegs-Wiesn 1950.
1950 »Löööwenbräu!«
Das bekannteste Löwengebrüll der Welt dröhnt seit 1950 über das Oktoberfest aus der Fassade des riesigen Löwenbräuzeltes: Eine 4,50 Meter große Löwenfigur hebt einen Maßkrug und brüllt »Löööwenbräu!« Der erste Löwe war noch eine flache, aus Sperrholz ausgesägte Figur, aus der längst eine tonnenschwere plastische Figur aus Pappmaschee geworden ist, für die seit den 70er-Jahren ein Polyesterüberzug für Langlebigkeit sorgt. Doch kaum hatte der Löwe zu brüllen begonnen, gab’s auch schon Ärger mit der Wirte-Konkurrenz: Sie protestierte gegen die »akustische Brauereireklame« und erwirkte 1952 sogar ein Brüllverbot. Wirt und Löwenbräu-Brauerei reagierten mit Humor: Der Löwe bekam ein großes Schloss vor sein Maul und seine Fensternische über dem Zeltportal wurde verglast und vergittert. So viel Bierernst passte aber nicht auf die Wiesn, ein Jahr später wurde der Löwe befreit und durfte wieder brüllen. Ziemlich in Vergessenheit geraten ist jedoch, wer diesem weltbekannten Löwen damals seine wuchtige Stimme gegeben hat, die bis heute unverändert zu hören ist: Es war der Löwenbräu-Stammgast Max Baumeister (1898–1974), der damals nach einer oder mehreren Maß Bier manchmal seine Bariton-Stimme erschallen ließ und beim Anstoßen mit seinem Maßkrug ab und zu ein donnerndes »Löööwenbräu« in die Runde sang. Die Löwenbrauerei nahm es auf Tonband auf und ließ es hinter dem Sperrholzlöwen erschallen. Max Baumeister bekam als Honorar 50 Mark und ein paar Maß Freibier. Seitdem ist der Eingang des Löwenbräuzeltes von Wiesnbesuchern umlagert, die nur eines hören wollen: »Löööwenbräu«.
Löööwenbräu-Stimme Max Baumeister (1898–1974)
1984 Das Waterloo des Wirte-Napoleons
Richard Süßmeier war einer der populärsten Wirte auf dem Oktoberfest und seit 1970 auch Sprecher der Wiesnwirte. Von einer winzigen Bierbude hatte er sich zum Wirt des großen Armbrustschützenzeltes emporgearbeitet. Höhepunkt für seine Freunde war alljährlich wenige Tage vor dem Anzapfen ein »Wiesn-Vorgespräch« in seinem Zelt, bei dem er auf einem Stuhl stehend die aktuellen Wiesngeschichten und neuesten Schikanen der Behörden erzählte. Niemand aus Politik, Wirtschaft und Wiesnprominenz blieb dabei verschont, zumal es ja eine ganz intime Privateinladung war, und manchmal sehnte man sich das Ende seiner Rede herbei, aber nur weil man vor lauter Lachen schon keine Luft mehr bekam. 1984 hatte ihm der neue Kreisverwaltungsreferent Dr. Peter Gauweiler schon vor der Wiesn »das Kraut ausgeschüttet«, wie man als Wirt so sagt. Auflagen, Androhungen, vermutete Schikanen – und der Wirte-Napoleon grub das Kriegsbeil aus: Am 18. Sept. 1984 hielt Süßmeier vor seinen Gästen eine folgenreiche Rede: Unter Gauweiler-Postern stand er als Gauweiler-Kopie verkleidet und hielt eine Rede, bei der sich seine Gäste vor Lachen nur so bogen. Als sein Schenkkellner Biwi Wallner dann auch noch aus einem ganzen Hendl drei halbe Hendln gezaubert hatte, endete die Szene in einem nicht endenwollenden Lachkrampf der Gäste. So »echt« hatten sie ihren Gauweiler noch nie erlebt. Doch der echte Gauweiler rächte sich: Während Münchens Promis mit der Armbrust auf den Adler schossen, filzte Gauweilers Truppe die Küche Süßmeiers, in der sie prompt eine Portion Schwarzarbeiter einsammelten. Am 3. Okt. 1984 folgte das Waterloo des Wirte-Napoleons: Der beliebteste und bekannteste Oktoberfestwirt flog für immer von der Wiesn. Woher wusste Gauweiler von den Schwarzarbeitern? Ein ehemaliger Angestellter, der unbedingt schwarz arbeiten wollte, aber von Süßmeier nicht schwarz angestellt wurde, hatte ihn verpfiffen.
Richard Süßmeier vor dem Riesenposter seines Spott-Objekts und Widersachers Gauweiler.