Leitfaden für das Kommunale Krisenmanagement. Andreas Hermann Karsten
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In den heutigen modernen Gesellschaften treten Krisen aufgrund ausgefeilter Vorsorgemaßnahmen seltener auf als früher. Allerdings sind die Folgen dieser Krisen deutlich gestiegen. Aufgrund der Komplexität der gesamten Gesellschaft (Politik, Wirtschaft, Kultur usw.) und da ihre verschiedenen Teilsysteme miteinander oft nicht linear und vorab unerkannt gekoppelt sind, können Entwicklungen, die für sich alleine undramatisch wären, katastrophale Auswirkungen zeigen. Diese Multi-Ursachen-Beziehung macht es schwierig, selbst schleichende Krisen so rechtzeitig zu erkennen, dass die Auswirkungen nicht eskalieren. Selbst die besten Experten sind nicht in der Lage, diese Systeme und die Interaktionen untereinander vollständig zu [17]verstehen. Durch die Kopplung der Systeme mit Sozialsystemen – besonders mit den Social Media – wird eine Prognose über deren zukünftiges Verhalten selbst bei der Nutzung der besten Computer unmöglich.
Das Ende einer Krise tritt in der Regel nicht mit dem Ende der »Einsatzmaßnahmen« ein. Schon während der Durchführung der Akutmaßnahmen, aber besonders nach deren Beendigung, werden Fragen nach den Ursachen, der Wirksamkeit und Angemessenheit der Maßnahmen usw. an die politisch verantwortlichen Führungskräfte gestellt. So ist der Kölner Oberbürgermeister Fritz Schramma auch eher an der Krise in den Wochen nach dem Abschluss der Bergungs- und Sicherungsarbeiten infolge des Stadtarchiveinsturzes als an der Kritik an den Einsatzmaßnahmen gescheitert.
Beispiel: Einsturz des Kölner Stadtarchivs am 03.03.2009
Aufgrund eines Wassereinbruchs in einer benachbarten Baugrube stürzte das Kölner Stadtarchiv ein. Bei dem Unglück kamen zwei Personen ums Leben. Unmittelbar nach den Bergungsmaßnahmen (der akuten Krisenbewältigung) setzen die Diskussionen über die Ursachen und Verantwortlichkeiten zum Unglück ein. Der amtierende Oberbürgermeister Schramma erklärte am 12.03. in einem Interview im Deutschlandfunk: »[Ich]kann (…) mir nicht und werde mir auch nicht hier in der Form irgendeine Schuld persönlich politisch zuschreiben lassen.« Die Kritik an seinem Krisenmanagement führte Ende März 2009 dazu, dass er seine Kandidatur zur Wiederwahl im Spätsommer des gleichen Jahres zurückzog. Als Grund gab er an, dass der Einsturz zunehmend in den Wahlkampf gezogen werde, es werde »spekuliert, verdächtigt, verunglimpft, vorverurteilt«. Auch wurde gegen Herrn Schramma strafrechtlich ermittelt, da er interne, vertrauliche Sitzungen illegal mitgeschnitten haben soll. Die gesamte öffentliche Diskussion führte dazu, dass sich in einer repräsentativen Umfrage des Kölner Stadt-Anzeigers und des Express nur 38 % der Befragten für eine Wiederwahl Schramma und 50 % für die Wahl seines Herausforderers aussprachen. Endgültig beendet war die Krise erst mit den Urteilen im Strafverfahren im Jahr 2019.
[18]2 Strategische Aufgaben der politisch verantwortlichen Führungskraft
Die Aufgaben für die politisch verantwortliche Führungskraft teilen sich in drei Bereiche auf (siehe auch Bild 2):
Aufgaben vor der Krisen – Präventive Maßnahmen unterteilt in:Risikomanagement undvorbereitende Maßnahmen des Krisenmanagements sowie der Krisenkommunikation.
Aufgaben während der Krise:Operatives Krisenmanagement,Administratives Krisenmanagement,Politisches Krisenmanagement.
Aufgaben nach der Krise:Wiederherstellung sowieLessons Learned.
Die Lessons Learned münden direkt in die Prävention der nächsten Krise.
Bild 2: Die Aufgaben der politisch verantwortlichen Führungskraft
[19]2.1 Wirksamkeit von Führung in der Krise
In Krisen durchläuft eine Gesellschaft wie ihre Mitglieder in der Regel fünf unterschiedliche Phasen (vgl. Hanke, 2016):
1 Verleugnen,
2 Zorn,
3 Verhandeln,
4 Depression,
5 Akzeptanz.
Nicht nur die betroffene Bevölkerung erwartet von den politisch verantwortlichen Führungskräften in Krisensituationen, dass sie nicht nur die Führung übernehmen und die Gesellschaft durch diese fünf Phasen führt, sondern dabei auch herausragende Leistungen erbringt. Während die Einsatzkräfte den Schaden begrenzen und/oder beheben, ist eine Hauptaufgabe der politisch verantwortlichen Führungskraft, das Vertrauen der Menschen in die Institutionen wieder herzustellen. Im Nachkriegsdeutschland wird häufig Helmut Schmidt sowohl durch seine Führung bei der Sturmflut 1962 wie auch während des deutschen Herbst 1977 als Vorbild genannt.
Beispiel: Helmut Schmidt: Hamburger Flutkatastrophe
Die Sturmflut in der Nacht vom 16. auf den 17. Februar 1962 kostete in Hamburg 315 Menschen das Leben. Große Teile des Stadtgebietes (ca. 120 km2) wurden überflutet. Schmidt, damals Innensenator, stellt in seinen Erinnerungen (Schmidt, 2008) fest: »Ich muß gestehen, über die Gesetzesverstöße damals nicht nachgedacht zu haben. Vielmehr ließ ich mich allein von der moralischen Pflicht leiten, Menschen in großer Zahl aus unmittelbarer Lebensgefahr zu retten. Ich hatte später das Glück, von keiner Seite angeklagt zu werden.«
Die politisch verantwortliche Führungskraft soll wie ein Leuchtturm in einem Sturm den Unbilden der Krise trotzen und den Weg weisen. Bei den heutigen Krisen reicht es nicht mehr aus, die staatliche Krisenreaktion effektiv und effizient zu organisieren, vielmehr muss die politisch verantwortliche Führungskraft alle gesellschaftlichen Kräfte zusammenbringen und deren Reaktion auf die Krise koordinieren. Gelingt dies nicht, weil zum Beispiel wesentliche gesellschaftliche Akteure sich nicht koordinieren lassen und eine eigene Agenda verfolgen, so bietet dies eine offene Flanke für Kritik. Bürger, Wirtschaft, Medien und Politiker (besonders der Opposition) erwarten aber nicht nur eine angemessene und professionelle Reaktion auf die Krise, sondern sie [20]erwarten auch, dass die politisch verantwortliche Führungskraft im Vorfeld alles vernünftig Realisierbare unternommen hat, um Risiken zu minimieren und Bedrohungen abzuschwächen, wenn nicht sogar zu eliminieren. Ist die Krise eingetreten und die Reaktion angelaufen, schwenkt die öffentliche Aufmerksamkeit schnell auf das Warum um: Warum ist es zur Krise gekommen? Warum zeigt die eingetretene Gefahr solch verheerende Folgen? Warum sind die Gefahrenabwehrbehörden nicht besser vorbereitet?
In Krisen sind die Führungskräfte gefordert. Sie müssen bestehende Routinen, Verfahrensabläufe, Dienstvorschriften usw. an die Krisensituation adaptieren oder sogar eliminieren, wenn dies notwendig ist. Sie müssen ihre Verwaltung/ihre unterstellten Einheiten aus dem Alltagsmodus in den Krisenmodus hieven. Aber das reicht nicht aus, sie müssen auch der Öffentlichkeit Vertrauen in den neuen Status Quo geben. Beide Aufgaben fallen mit einer entsprechenden Vorbereitung leichter: Die Führungskräfte müssen ihren