Krisenintervention. Cornelia Franke
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Im folgenden Kapitel wird die Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) als Fachdienst in der Gefahrenabwehr und Partner der Feuerwehr vorgestellt. Dabei wird besonderes Augenmerk darauf gelegt, wie die Zusammenarbeit zwischen PSNV und Feuerwehr im alltäglichen Einsatz, aber auch bei besonderen Schadenlagen sinnvoll gestaltet werden kann. Außerdem werden Methoden vorgestellt, mit denen die PSNV die Prävention oder Nachsorge bei Einsatzkräften der Feuerwehr unterstützen kann. Abschließend wird in diesem Kapitel gezeigt, wie die Feuerwehr mit sogenannten Peers, also kollegialen Ansprechpartnern, ein sinnvolles Bindeglied zwischen den eigenen Einsatzkräften und den Fachkräften der PSNV schaffen kann. Die Betreuung von Menschen im Ausnahmezustand stellt Ungeübte vor eine große Herausforderung und geht häufig mit eigener Belastung einher. Die »Regeln der psychischen Ersten Hilfe« bieten konkrete Handlungsempfehlungen für die Betreuung von Betroffenen, so[10]dass die Zeit bis zum Eintreffen von Fachkräften sinnvoll überbrückt werden kann.
Abschließend beschäftigt sich dieses Rote Heft mit dem Tod in den eigenen Reihen: Kommen Mitglieder im Rahmen ihrer Tätigkeit in der Feuerwehr ums Leben, bedeutet das für alle Beteiligten immense Belastungen und Herausforderungen. Es kann dazu keine allgemeingültige Handlungsanweisung geben, wie Angehörige unterstützt werden können und wie die Feuerwehr dazu beitragen kann, dass alle Beteiligten mit dem Verlust umgehen können. Allerdings finden sich in diesem Kapitel einige Hinweis und Gedanken, die Führungskräfte dabei unterstützen sollen, mit solch einer schwierigen Situation angemessen umzugehen.
[11]3 Das Alarmsystem des Menschen
3.1 Einführung
Jeder Mensch empfindet Stress, wenn er einer scheinbar bedrohlichen Situation gegenüber steht. Die Bedrohung kann dabei sehr vielschichtig sein, von einer kleinen Peinlichkeit bis hin zu einer ernsten Gefahr für Leib und Leben. Auf jede Art von Bedrohung reagiert das »Alarm- und Verteidigungssystem« (AVS). Hinter diesem Begriff verstecken sich eine ganze Reihe an teils hochkomplexen Mechanismen, die in unserem Körper ablaufen, damit dieser sich gegen alle möglichen Gefahren zur Wehr setzten kann. Die wesentlichen Funktionen des AVS teilt sich der Mensch mit allen Wirbeltieren und die Entwicklung geht mit der Menschheitsgeschichte seit Urzeiten einher. Viele der Mechanismen sind Überbleibsel aus der Jäger- und Sammlerzeit, aber auch heute hat das System lebenswichtige Bedeutung, auch wenn wir seltener in Situationen geraten, in denen unser Überleben davon abhängt, wie schnell wir rennen oder wie gut wir kämpfen können.
Einsatzkräfte sind häufig mit hochkritischen Situationen konfrontiert, in denen das Leben und die Gesundheit von Betroffenen und Patienten bedroht ist. Aber auch im »normalen Alltag« reagiert das Alarm- und Verteidigungssystem ständig, nämlich immer dann, wenn Stress aufkommt. Das beginnt meistens bereits mit dem Piepsen des Melders oder dem Dröhnen des Alarmgongs. Für jeden, der sich mit dem Thema der psychosoziale Notfallversorgung beschäftigt, ist es unerlässlich, mit den Grundfunktionen des AVS vertraut zu [12]sein. Auch Einsatzkräfte sollten wissen, was in ihrem Körper vorgeht, um auf belastende Einsätze richtig reagieren zu können. In diesem Buch sollen die einzelnen Vorgänge nicht bis ins letzte Detail beschrieben werden, stattdessen wird das AVS als einfaches und möglichst anschauliches Modell beschrieben und weitgehend auf anatomische Fachbegriffe verzichtet. Wichtiger ist es, die Reaktionen des Körpers auf belastende Situationen in groben Zügen zu verstehen, um Folgen und besonders auch Präventionsmaßnahmen nachvollziehen zu können. Für weitere Hintergrundinformationen seien dem interessierten Leser an dieser Stelle die Werke Hüther (2018) sowie Roth und Stüber (2018) empfohlen.
3.2 Nervensystem des Menschen
Im menschlichen Körper finden sich zwei größtenteils getrennt arbeitende Nervensysteme: das vegetative (autonome) Nervensystem und das somatische (willkürliche) Nervensystem. Das somatische Nervensystem ist für die bewusste Steuerung von Bewegungen und die bewusste Wahrnehmung von Reizen zuständig. Die Vorgänge des vegetativen Nervensystems hingegen lassen sich nicht bewusst steuern, es arbeitet autonom. Das vegetative Nervensystem steuert beispielsweise die Verdauung, den Blutdruck und die Herzfrequenz. Das AVS ist Teil dieses vegetativen Nervensystems, seine Reaktion lässt sich nicht bewusst steuern.
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[13]Das vegetative Nervensystem: Das vegetative Nervensystem besteht unter anderem aus den zwei Gegenspielern Sympathikus (»Sportnerv«) und Parasympathikus (»Ruhenerv«). Der Sympathikus stellt kurzfristig Energie bereit und ermöglicht dadurch körperliche Höchstleistungen, der Parasympathikus hingegen überwiegt während Ruhe- und Entspannungsphasen. |
Sowohl der Sympathikus als auch der Parasympathikus spielen beim Umgang mit Extremereignissen eine bedeutende Rolle und werden im Verlauf des Kapitels noch vorgestellt.
3.3 Reaktion auf Bedrohung
Von unseren Sinnen werden jede Sekunde Millionen von Reizen aufgenommen oder im Inneren unseres Körpers registriert und an unser Gehirn weitergeleitet. Dort werden die eingehenden Informationen nach den folgenden Kriterien klassifiziert: gefährlich/ungefährlich, bekannt/unbekannt, relevant/irrelevant.
Die für das Individuum scheinbar irrelevanten Informationen erreichen gar nicht erst das eigentliche Bewusstsein, sie werden aussortiert. Die übrigen, als relevant eingestuften Informationen werden danach sortiert, ob sie eine Gefahr signalisieren könnten, also bedrohlich wirken, oder ungefährlich zu sein scheinen. Die scheinbar nicht bedrohlichen (aber dennoch relevanten) Informationen werden an die zuständigen Hirnareale weitergeleitet und dort entsprechend verarbeitet. Sie können unter anderem Handlungen, Gedanken und [14]Gefühle auslösen und treten teilweise ins eigentliche Bewusstsein ein.
Bei Reizen, die als bedrohlich eingestuft werden, wird das Alarm- und Verteidigungssystem aktiv. Das AVS reagiert bereits niederschwellig auf unerwartete Vorkommnisse und eine große Bandbreite an Ereignissen:
Existenzbedrohliche Rahmenbedingungen: Gefährdung des eigenen Hab und Gutes, beispielsweise Geld, Behausung oder Lebensort.
Gefährdung der Bindung an die Gruppe: Obwohl heutzutage der Ausschluss aus einer Gruppe als soziales Gefüge selten den sicheren Tod bedeutet, ist diese Angst menschheitsgeschichtlich durchaus nachvollziehbar. Die Angst ist breit gefächert und kann bereits bei Konflikten mit Familienangehörigen, Freunden, Kollegen und Nachbarn beginnen und reicht bis zum Verlust von Bezugspersonen. Aber auch die Bedrohung des Selbstbildes innerhalb einer Gruppe lässt sich in diese Kategorie einordnen. Dazu gehören peinliche Situationen, Blamagen und (scheinbarer) Gesichtsverlust, etwa durch erlebte Kritik. Aber auch der Verlust von Statussymbolen, deren Bedeutung über den reinen materiellen Wert hinaus geht, kann zum Erleben von Bedrohung führen.
Gefährdung der körperlichen Integrität: Hunger und Durst, Verletzung, Krankheit, Tod, (sexuelle) Gewalt.
[15]Die Gefahr muss dabei nicht einmal zwangsläufig das Individuum direkt betreffen. Häufig reicht es aus, wenn umstehende Personen bedroht sind, um eine Reaktion des AVS hervorzurufen. Das lässt sich nicht mit Mitgefühl erklären, sondern durch reinen Überlebenswillen: Eine Gefahr für andere könnte in Zukunft mich selbst betreffen oder meine Bezugsgruppe schwächen. Da das AVS unter Zeitdruck auf eine Gefahr reagieren muss, kann keine vollständige Lagebeurteilung durchgeführt werden. Deshalb reagiert das AVS auch auf Situationen, in denen keine reelle Gefahr besteht, sondern lediglich angenommen wird. Da dieselbe Situation von verschiedenen Menschen unterschiedlich eingeschätzt werden kann, können diese auch unterschiedlich reagieren.
Selbst