Lebendige Seelsorge 4/2019. Verlag Echter
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Nun kommt es durchaus vor, dass mir muslimische Gesprächspartnerinnen und -partner eine Frage stellen, auf die ich augenblicklich keine Antwort weiß, die mich selbst überzeugt. Für einen ernsten theologischen Dialog braucht man manchmal Zeit zum Nachschlagen, manchmal zum Nachdenken, manchmal zum Nachfragen bei Kolleginnen und Kollegen der eigenen Zunft. Ich will gar nicht aus der einen Begegnung leben – das eben wäre die personalistische Falle.
Weiterhin: eine Erkenntnis, die uns im Religionsdialog „interaktiv“ gekommen ist, muss ich in meinen religiös anderen Lebenszusammenhang einbringen. Sie durchläuft so den Praxistest. Gesichtspunkte, die wir zuvor im Religionsgespräch übersehen hatten, können jetzt auftauchen. Manches verflüchtigt sich wieder, manches muss ich in den nächsten Dialog erneut einbringen, manches aber kann meine eigene Tradition auch nachhaltig ändern (vgl. Körner 2016).
Jedenfalls gehören offenbar zur vollen Begegnungsdynamik Zeiten einer dritten Ausrichtung: Nach und neben und vor jedem „von Angesicht zu Angesicht“ und allem „Seite an Seite“ muss es auch das Vertrauen geben für ein „Rücken an Rücken“ (Körner 2014). Papst Franziskus hat offenbar genau im selben Sinne als grundlegend für den interreligiösen Dialog nicht nur den „Mut zum Anderssein“ betont; noch davor stellte er „die Pflicht zur Identität“ (Franziskus 2017). Die andere Person und ich, wir brauchen auch Gelegenheiten, wieder eine eigene Blickrichtung einzunehmen. Gerade wenn wir unsere Religionen als lebendige Traditionen verstehen, müssen wir sie auch weiter erforschen und befruchten.
Für einen wahrhaft dreidimensionalen Religionsdialog – von Angesicht zu Angesicht, Seite an Seite und Rücken an Rücken – ist daher die sinnvollste Zusammenstellung wohl nicht ein Gesamtinstitut Religionsstudien, in dem alle dieselben Veranstaltungen besuchen. Mehr verspricht hier die lebendige Interaktion universitärer Institutionen der verschiedenen Glaubenstraditionen mit ihrer je eigenen Klientel, in der die Lehrenden und die Studierenden aber eine Reihe von Seminaren und Vorlesungen gemeinsam erleben. Dasselbe gilt für den schulischen Religionsunterricht.
Gerade wenn wir für die soziale Arbeit und für das öffentlich-politische Engagement, für die
Medien und Behörden nicht nur Religionsexperten qualifizieren wollen, sondern religiöse Experten, also Gläubige, die ihren Glauben auch in immer neue Gegenwarten übersetzen können, dann ist auch eine echte Vertrautheit mit den eigenen Lebens-, Sprach- und Denkformen erforderlich; und gerade wenn wir eine neue Generation von Religionsvertreterinnen und -vertretern für Schulunterricht und Gemeinde ausbilden wollen, müssen wir ihnen einen theologischen Eigenraum schaffen. Hier können sie Dialogkompetenz in der Begegnung lernen, hier können sie aber auch erforschen, wie sich ihre eigene Tradition gebildet und vielfältig entwickelt hat.
Eine religiöse Identität ist nicht dann stark, wenn sie starr ist.
Jedes ernsthafte theologische Studium bewirkt dabei Fremdheitserlebnisse, enttäuscht und verwirrt gläubige Studierende, übrigens oft mehr bei der Begegnung mit der eigenen Geschichte als bei der Begegnung mit Andersgläubigen; jedenfalls aber soll es in der theologischen Forschung auch das andere Erlebnis geben dürfen: dass man hier trotz allem daheim ist – oder zuhause ankommt. Eine religiöse Identität ist nicht dann stark, wenn sie starr ist. Sie ist vielmehr die Bereitschaft und Fähigkeit, in der eigenen Glaubenstradition und -erfahrung weiter zu wachsen.
In Europa entstehen derzeit islamisch-theologische Zentren. Hier bietet sich die Gelegenheit, von Angesicht zu Angesicht und Seite an Seite und Rücken an Rücken miteinander zu arbeiten. Hier bietet sich eine einzigartige Gelegenheit für interaktive Theologie.
LITERATUR
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Clooney, Francis X., Komparative Theologie. Eingehendes Lernen über religiöse Grenzen hinweg, Paderborn 2013 (englisches Original: Comparative Theology. Deep Learning Across Religious Borders, Oxford 2010).
de Saint-Exupéry, Antoine, Wind, Sand und Sterne, Dessau 1941 (französisches Original: Terre des hommes, Paris 1939).
Franziskus, Papst, Apostolisches Schreiben Evangelii Gaudium (2013), abrufbar unter: http://w2.vatican.va/content/francesco/de/apost_exhortations/documents/papa-francesco_esortazioneap_20131124_evangelii-gaudium.html.
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Körner, Felix, Rücken an Rücken. Die dritte Dimension interreligiösen Miteinanders, in: Augustin, George/Sailer-Pfister, Sonja/ Vellguth, Klaus (Hg.), Christentum im Dialog. Perspektiven christlicher Identität in einer pluralen Gesellschaft, Festschrift Günter Riße (Theologie im Dialog, Band 12), Freiburg 2014, 235-242; abrufbar unter felixkoerner.de.
Körner, Felix, Islam und abendländische Kultur. Begegnungen, Auseinandersetzungen, Einflüsse, in: Brunner, Rainer (Hg.), Islam. Einheit und Vielfalt einer Weltreligion, Stuttgart 2016, 527-549; abrufbar unter felixkoerner.de.
Körner, Felix, Islamic Theology, Past and Present. A Comparative Perspective, in: Studia Bobolanum 28/4 (2017a) 61-75; abrufbar unter felixkoerner.de.
Körner, Felix, Das Dialogverständnis der katholischen Kirche. Eine theologische Grundlegung, in: Zeitschrift für Missionswissenschaft und Religionswissenschaft 101 (2017b) 78-93; abrufbar unter felixkoerner.de.
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Ströbele, Christian/Specker, Tobias/Dziri, Amir/Tatari, Muna (Hg.), Welche Macht hat Religion? Anfragen an Christentum und Islam, Regensburg 2019.
van Ess, Josef, Theologie und Gesellschaft