Lebendige Seelsorge 6/2016. Erich Garhammer
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Katholische Luther-Bilder zwischen Dämonisierung, Pathologisierung und neuer Offenheit
Zu ihrer Bedeutung für eine katholische Selbstkritik
500 Jahre Luther und die Reformation zu feiern, mag Katholiken verstören. Sie können sich dem wohl nur anschließen, wenn sie die eigene Traditionsgeschichte der konfessionellen Abgrenzung hinter sich lassen und so den fremden Luther suchen. Dieser bietet dann aber genügend Potential, mit den vertrauten Luther-Bildern auch andere verengende Entwicklungen in der katholischen Kirchengeschichte zu hinterfragen. Klaus Unterburger
Die Feier des Reformationsjubiläums bedeutet für Katholiken eine gewisse Verlegenheit. Historische Jubiläen mit ihren Ausstellungen, Vorträgen und Katalogen sind zwar zur Routine geworden als Praktiken der Selbstvergewisserung und der Vermittlung von historischen Wissensbeständen. Jubiläumsfeiern sind aber auch Gedächtnispolitik, da sie Geschichtsbilder und Identitäten zu definieren suchen. Soweit das christliche Selbstverständnis konfessionell bestimmt ist, gehört die Abgrenzung vom konfessionell Anderen zur eigenen Identität. Eine Feier der Reformation scheint so für Katholiken eine Art Selbstnegation zu sein, da diese doch gerade die Befreiung aus den Fesseln der mittelalterlichen Papstkirche gewesen sein will, weshalb im Umkehrschluss ein Katholik nur ein Luthergegner sein könnte. Wir stehen in der Traditionsgeschichte der konfessionellen Auseinandersetzung: Wunden leben wieder auf, wie also damit umgehen?
Ein bemerkenswerter Versuch, nicht hinter den Stand der ökumenischen Annäherung der letzten Jahrzehnte im Reformationsgedenken zurückzufallen, ist das gemeinsame Wort von EKD und Deutscher Bischofskonferenz „Erinnerung Heilen – Christus bezeugen“: Die konfessionelle Konfliktgeschichte, die sich in Deutungsmustern und Selbstprofilierungen immer mehr verdichtet hat, gilt es abzutragen. Haben sich die Konfessionen nämlich erst allmählich, vor allem seit dem zweiten Drittel des 16. Jahrhunderts, herausgebildet, so gibt es einen vorkonfessionellen Luther. Dieser ist, wie es Kurt Koch schon vor Jahren aufgezeigt hat, von erheblicher ökumenischer Relevanz. Er ermöglicht es Katholiken, in ihm auch ihr Eigenes zu bejahen und von ihm als „Vater im Glauben“ zu lernen. Umgekehrt müssen sich Protestanten dadurch nicht enteignet sehen: Luther in einer gewissen Distanz zu eigenen späteren Festlegungen zu sehen, kann vielmehr auch für sie Inspirationsquelle, kritischer Bezugspunkt und Verbindungsglied zur antiken und mittelalterlichen Kirche sein.
Klaus Unterburger
Prof. Dr., Professor für mittlere und neue Kirchengeschichte in Regensburg; beschäftigt sich gerne mit theologiegeschichtlichen Fragen; zu den Arbeitsschwerpunkten gehören die konfessionellen Konflikte des 16. Jahrhunderts und die Entwicklung des Katholizismus seit dem 19. Jahrhundert.
Natürlich ist die Frage nach einem vorkonfessionellen Luther interessegeleitet, jedoch nicht anders, als es die evangelischen und katholischen Lutherbilder vergangener Reformationsjubiläen ebenfalls waren. Hans-Georg Gadamer hat das interessierte Vorurteil ja als notwendige Voraussetzung des Verstehensprozesses erwiesen und gezeigt, wie Traditionsabbrüche der Anlass sind für den Versuch, die Vergangenheit neu zu erschließen: Im Folgenden sollen aus katholischer Perspektive zunächst wichtige Etappen der Wirkungsgeschichte bewusst gemacht werden, in der der Rekurs auf Luther steht. Ein zweiter Schritt soll Elemente einer Annäherung an den vorkonfessionellen Luther skizzieren. Gerade den fremden Luther wahr- und in seiner Theologie ernst zu nehmen, bildet die Chance eines neuen Verstehens, einer „Verschmelzung“ und damit Erweiterung des eigenen „Horizonts“ (Gadamer).
WIRKUNGSGESCHICHTE: KATHOLISCHE LUTHER-BILDER
Offizielle katholische Luther-Bilder gibt es natürlich nicht, sondern nur solche von Katholiken. Manche von ihnen waren aber doch so prägend und haben so sehr dem kirchlichen Selbstverständnis einer Epoche entsprochen, dass sie zum festen Bestandteil des kollektiven Gedächtnisses geworden sind. Bekannt ist, wie die konfessionelle Polemik der Kontroverstheologen Luther in einer Frontalablehnung regelrecht dämonisiert hat. Die Acta et commentaria des Johannes Cochläus lieferten – wie Adolf Herte gezeigt hat – über die Jahrhunderte die biographischen Bausteine der Ablehnung Luthers. Ebenso wichtig ist, dass Luthers frühe katholische Gegner (es gab auch katholische Bewunderer) ihn unter zwei Vorzeichen verstanden, dem antihussitischen und dem libertinistischen: Wie die Hussiten Rebellen gegen die göttliche Ordnung und den Klerus gewesen seien, sich die Unzufriedenheit der Laien mit dem Klerus zunutze gemacht haben und sich dabei auf die Schrift beriefen, so Luther; dessen Rechtfertigungslehre führe zum Niedergang der Sitten, zu Ausschweifung und Verachtung der guten Werke; wie die Hussiten predigen deshalb auch die Lutheraner dem Klerus Wasser und trinken selbst Wein. Die Acta des Cochläus illustrierten dies an Luthers Biographie.
Eine Neubewertung der Reformation setzte in der katholischen Aufklärung ein; freilich galt diese kaum Luthers Theologie. Reform von Kirche und Sitten, Kampf gegen Aberglauben, nationaler Aufbruch gegen romanisch-kuriale Bevormundung waren Anliegen der Zeit, für die Luther als Kronzeuge galt, wenn auch viele Aufklärer eher mit Erasmus sympathisierten. Die Neukonfessionalisierung des 19. Jahrhunderts brachte dann wieder ein Aufleben der alten polemischen Kategorien. So versuchte der junge Ignaz von Döllinger aus den zeitgenössischen Quellen zu zeigen, wie Luther und die Reformation einen sittlichen Niedergang der Gesellschaft bewirkt hätten.
Einflussreich wurde dann der Dominikaner Heinrich Denifle, der Entdecker des lateinischen Werks Meister Eckharts: Wer wie er (und anders als die protestantische Forschung) mit der mittelalterlichen Theologie vertraut sei, erkenne, dass Luther die paulinische Gerechtigkeit aus Gnade gar nicht neu entdecken musste. Diese Behauptung Luthers sei der durchsichtige Versuch, den eigenen Bruch der Klostergelübde sekundär zu rechtfertigen: Triebhafte Unkeuschheit sei also der Schlüssel zum Verständnis Luthers. Eine verwandte materialreiche Lutherdeutung legte dann der Jesuit Hartmann Grisar vor, freilich mit einem anderen Akzent: Hinter der Heilsfrage Luthers und seinen Anfechtungen stecke eine Psychopathologie, eine krankhafte Neurose.
Diese Lutherdeutungen korrespondierten mit einer Entwicklung, die zeitgenössisch meist mit „Ultramontanismus“ bezeichnet wurde. Zu diesem gehörte nicht nur die Abgrenzung gegen die Moderne, sondern auch massive Feindbilder, etwa das des Protestantismus als Ursprungssünde und erster Schritt hin zur Gottlosigkeit der Gegenwart. Zugleich war der Ultramontanismus aber Produkt der Modernisierung, Dynamisierung und Umgestaltung eines traditionalen Katholizismus. Dem entspricht der methodisch-wissenschaftliche Anspruch der ultramontanen Lutherdeutungen. Dagegen blieben nichtultramontane Katholiken wie der spätere Döllinger oder der Würzburger Kirchenhistoriker Sebastian Merkle mit ihren wohlwollenderen Lutherdeutungen Außenseiter.
Der entscheidende Umbruch im katholischen Lutherbild des 20. Jahrhunderts ging erst von einem Mann aus, der einerseits von reformkatholischen Lehrern geprägt war, andererseits aber in seinem antiliberalen Objektivismus auch zentrale Intentionen des Ultramontanismus transformiert fortführte, Joseph Lortz. Auf eine ganz charakteristische Weise kam er in den 1930er Jahren zu einer einflussreichen Neudeutung der Reformation. An einem idealisierenden Bild des Hochmittelalters und der Theologie des Thomas von Aquin orientiert konnte er in der spätmittelalterlichen Kirche nur Verfall und Subjektivismus erkennen; so habe sich der junge Luther an einer Theologie abgearbeitet, die eigentlich gar nicht mehr wirklich katholisch gewesen sei. Zugleich sei er aber selbst Kind des anhebenden Subjektivismus gewesen, in dem er seine Autorität über das objektive Urteil der Kirche gestellt habe. In Lortz‘ Reformationsdeutung konnten drei Anliegen Platz finden, ein ökumenisches, das dem jungen Luther berechtigte Anliegen konzedierte, ein ultramontanes, das im Ungehorsam gegen das kirchliche Amt die verhängnisvolle Neuerung Luthers ausmachte, schließlich der Antiliberalismus, der Lortz anfällig für den Nationalsozialismus machte.
Erst in der Schülergeneration von Lortz und im Umfeld des II. Vatikanischen Konzils haben dann katholische Lutherdeutungen den Subjektivismusvorwurf hinter sich gelassen. Bei ihnen – und parallel bei protestantischen Forschern – wurde die Einsicht leitend, dass sich Luther aus spätmittelalterlichen