Beten bei Edith Stein als Gestalt kirchlicher Existenz. Christoph Heizler

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Beten bei Edith Stein als Gestalt kirchlicher Existenz - Christoph Heizler Studien zur systematischen und spirituellen Theologie

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Teil meiner Studie, sich chronologisch in strikter Weise auf das jeweils im Lebensabschnitt der Edith Stein örtlich, zeitlich und formal nach außen hin Beschreibbare zu konzentrieren, ohne mit einem womöglich engführenden Gebetsbegriff dabei Einzelmomente auszuschließen, das scheint mir vor dem Hintergrund des Dargelegten das Angemessenste, was mit Blick auf den Gegenstand des Interesses möglich ist. Bei allem Gebrauch, der von „Beten“ und „Gebet“ in der vorliegenden Studie gemacht wird, sei daher stets mitgehört, dass vor allem eine beschreibende Entfaltung dessen gesucht wird, was kontinuierlich und wesentlich von einem transitiven und verborgenen Moment zuinnerst charakterisiert wird. Was im Zuge der Untersuchung formuliert wird, das ist nur richtig verstanden, wo es zugleich mit dem Illustrieren von Sachverhalten, Ereigniszusammenhängen und Entwicklungstendenzen den Geheimnischarakter des betenden Geschehens bewahrt. Nur in dieser Haltung scheint es möglich, den göttlichen Interaktionspartner und seinen Anteil am Beziehungsgeschehen von Anfang an angemessen sprachlich zu würdigen, nämlich in der Abstinenz von feststellenden Begriffen und der Vorsicht bei systematisierenden Aussagen. Wo das im Ansatz entschieden vermieden wird, und es unterbleibt, dass vorgängig zur Begegnung an den wesentlich unfassbaren Gegenstand unreflektiert ein Begriffsapparat herangetragen wird, dort mag in aller Beschreibung etwas durchscheinen können von dem betenden Geschehen, das zwar den Betenden und den interessierten Beobachter gleichermaßen betrifft, aber keinem zuhanden ist – am wenigsten dem, der nachträglich dieses Geschehen aus Zeugnissen vergangener Tage erhellen möchte. So mag im Gesamtduktus dieser Studie von Beginn an methodische Beachtung finden, was in den Spätschriften Steins zu Pseudodionysius Areopagita und ihrem Ordensvater Johannes vom Kreuz mit Blick auf die radikale Andersheit und Entzogenheit des göttlichen Begegnungspartners ins Wort gelangt.

      Der Begriff Gestalt „zählt zu den Grundbegriffen einer philosophischen Ästhetik […].“260 In dieser Disziplin kann er Thomas Schärtel zufolge gelten als „die Basiskategorie einer auf eidetische/optische Modelle oder Analogien kaprizierten Ästhetik“.261 Schon im Kontext einer philosophischen Ästhetik wird der besondere Bezug augenfällig, bei dem der erkennende Mensch im Gewahrwerden einer Gestalt vom begegnenden Gegenüber affiziert wird. Dies geschieht, insofern die Distanz zum Begegnenden sowohl wachgerufen als auch auf den ersten Blick paradoxerweise zugleich schon überbrückt wird. Dabei entsteht ein Näheverhältnis der „Schau“ zum Begegnenden, das dem Betrachter Kategorien in den Sinn hebt, die eigentlich menschlichen Subjekten zukommen. Der Gestaltbegriff insinuiert somit eine spezielle Qualität der entstehenden Verschränkung von erkennendem Subjekt und dem, was diesem begegnet.

      Doch erst im Rahmen einer theologischen Erkenntnislehre (und einer entsprechenden theologischen Ästhetik) und vermittelt in fundamentaltheologischen Entwürfen, kann dieser Begriff zu einer theologischen Kategorie werden, die für unsere Fragestellung nach der Gestalt des Betens bei Edith Stein von erhellender Bedeutung ist.262 Die hier und im weiteren Verlauf der Studie folgenden Überlegungen lenken den Blick ausgehend vom Gestaltverständnis Hans Urs von Balthasars263 auf die erscheinende Gestalt des betenden Geschehens bei Edith Stein. Die Balthasarsche Optik soll somit als „Sehhilfe“ herangezogen werden, um die betende Existenz der Edith Stein als spezielle Form der Christusnachfolge zu beschreiben, die sich im Raum der Kirche als Ausdruck der Mitwirkung an göttlicher Liebe entfaltet. Das theologische Werk Hans Urs von Balthasars ist allerdings überaus umfangreich.264 In seinen thematischen Ausführungen ist es weiträumig angelegt und vielschichtig entfaltet. Das gilt sowohl in verschiedenen Schaffensphasen als auch insgesamt gesehen, wenn sich auch Schwerpunkte benennen lassen, die jeweils besonders virulent sind.265 Die Gefahr, sich bei der Darstellung Balthasarscher Positionen und wichtiger Begriffe seiner Theologie in Einzelaspekten zu verlieren, ist daher ebenso groß wie diejenige, sein originelles Anliegen unangemessen zu verkürzen und auf diese Weise zu verfehlen. Gleichwohl muss sich meine Darstellung an dieser Stelle darauf beschränken, aus dem Gesamten seines Entwurfs lediglich diejenigen Aspekte des Gestaltverstehens schlaglichtartig und verdichtet zu benennen, die mir für meine Fragestellung von besonderer Bedeutung zu sein scheinen. Im weiteren Verlauf meiner Studie kann vor diesem Hintergrund dann der Balthasarsche Ansatz einer christologisch gewendeten Gestaltphänomenologie verständlicher als Matrix beschrieben werden, auf der die einzelnen Gebetsmomente im Leben der Edith Stein zusammenschauend gesichtet und verstanden werden können.

      Von besonderem Interesse ist dabei, wie Hans Urs von Balthasar den Begriff „Gestalt“ in theologischer Perspektive verwendet.266 Zu beachten ist, dass es ihm dabei „nicht um eine Ästhetisierung der Theologie“ geht, „sondern um die Ausarbeitung einer theologischen Wahrnehmungslehre. […] Die Haltung ehrfürchtigen Staunens, die bereit ist, ein Phänomen spontan aufzunehmen, liefere eher eine Analogie dafür, wie man sich der Offenbarung zu nähern habe. Balthasar setzt ganz auf das Vermögen rezeptiver Spontanität: Wer im Glauben die geschichtliche Offenbarungsgestalt der Liebe Gottes ‚erblicke‘, der werde über sich hinausgezogen, gleichsam ekstatisch ‚entrückt‘.“267 Er selbst formuliert es in prägnanter Kürze so: „Das Hauptpostulat meines Werkes ‚Herrlichkeit‘ war die Fähigkeit, eine ‚Gestalt‘ in ihrer zusammenhängenden Ganzheit zu sehen: der goethesche Blick sollte auf das Phänomen Jesu und die Konvergenz der neutestamentlichen Theologien angewendet werden.“268 So wird für Baltasar der Gestaltbegriff zum zentralen Moment an seiner theologischen Ausrichtung: „Ich studierte in Wien nicht Musik, sondern vor allem Germanistik, und was ich dort lernte, war das, was sich später in meinem theologischen Schrifttum ins Zentrum stellte: Das Erblicken-, Werten- und Deutenkönnen einer Gestalt, sagen wir: den synthetischen Blick (im Gegensatz zum kritischen Kants, zum analytischen der Naturwissenschaft), und dieses Gestaltdenken verdanke ich dem, der nicht abließ, aus dem Chaos von Sturm und Drang auftauchend, lebendige Gestalt zu sehen, zu schaffen, zu werten: Goethe. Ihm danke ich dieses für alles Hervorgebrachte Werkzeug.“269 Hans Urs von Balthasar greift somit entschieden auf Goethe270 zurück, um seinen Gestaltbegriff im Bereich der Theologie zu entwickeln.271 In einem Interview spricht er ausdrücklich von dieser Wahl: „Rahner hat Kant oder, wenn Sie wollen, Fichte gewählt, den transzendentalen Ansatz. Und ich habe Goethe gewählt, als Germanist. Die Gestalt, die unauflöslich einmalige, organische, sich entwickelnde Gestalt – ich denke an Goethes ‚Metamorphose der Pflanzen‘- diese Gestalt, mit der Kant auch in seiner Ästhetik nicht wirklich zu Rande kommt.“272

      Auch Edith Stein bezieht sich wiederholt in ihren Publikationen auf Goethe273 und stellt in ihren philosophischen Studien Betrachtungen über Naturphänomene an274, zu denen sie von der Phänomenologin und langjährigen Weggefährtin Hedwig Conrad-Martius inspiriert ist.275 Eine auffällige Parallele zwischen der Frau aus Breslau und dem Weimarer Literaten. Für die Fragestellung dieser Studie bleibt festzuhalten, dass der Zugang zur Gestalt ihres Betens über den von Balthasar theologisch formulierten Gestaltbegriff Edith Stein insofern angemessen ist, als beide wesentliche Anregungen von Goethe erhalten haben. Von daher ergibt sich eine gemeinsame Wurzel der beiden germanistisch gebildeten und in philosophisch-theologischer Perspektive an Fragen des Seins interessierten Geistesgrößen Edith Stein und Hans Urs von Balthasar.

      Bei Balthasar fungiert nun der Gestaltbegriff als theologische Aussageform dazu, Momente am christlichen Offenbarungsgeschehen so ins Wort zu bringen, dass der kommunikativ-dialogische und fortschreitende Charakter von Offenbarung als religiöser Erfahrung des Menschen einsichtig wird und zudem der Zusammenhang zwischen („schöner“) Form und Gegebenheitsweise des Begegnendem und dessen („wahrem“) Inhalt.276 Ein religiöses Geschehen kann somit unter der Hinsicht auf seine Gestalt sowohl in seinem Verlauf als auch hinsichtlich seiner inneren Zielrichtung zur Sprache kommen, bei der Form und Inhalt aufs engste zusammen gehören. Letzteres wird von Hans Urs von Balthasar umfassend versucht im Rahmen seiner für ihn typischen Arbeitsmethode. Peter Henrici skizziert diesen theologischen Stil, der in den Werken Balthasars immer aufs Neue zur Anwendung kommt: „Der dichte kulturelle Hintergrund und seine Herkunft aus der Germanistik bestimmten

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