Tatort Oberbayern. Jürgen Ahrens

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Tatort Oberbayern - Jürgen Ahrens

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Spürsinn. »Ja, ein Taschenmesser und sonst das, was ein normaler Bergsteiger für eine Eintageswanderung mitnimmt: Messer, Thermoskanne, Vliespulli, Regenjacke, zweites Hemd, zweite Socken und ein paar Kleinigkeiten.«

      »Hat er vorgeführt, dass er das wirklich kann, Tiere töten, Felle gerben, Feuer machen?«

      »Eigentlich bin ich die für die wilden Theorien«, grinste Katharina. »Wenn mein seriöser Freund überlegt, ob Adelhofer sich das alles nur ausgedacht hat, werde ich diese Spur selbstverständlich verfolgen. Vielleicht kann mir Alfred Birnhuber am Freitag einen Hinweis geben.«

      »Wie heißt der? Birnhuber? Klingt eher danach, als könnte er dir Hinweise auf das beste Weißbier im Chiemgau geben. Ich gehe jetzt jedenfalls nach Hause. Morgen früh um 8 habe ich einen Termin beim Augenarzt und möchte ausgeschlafen dort ankommen.«

      »Hast du ein Problem mit den Augen?« Katharina kannte die Antwort, aber es war klar, dass Oliver gefragt werden wollte.

      »Nee, nur ein Check, sollte man ja alle zwei Jahre machen. Ich muss danach auch schnell in die Kanzlei. Meine neue Klientin bekommt anonyme Drohbriefe und wir prüfen, ob Polizeischutz möglich ist. Wahrscheinlich nicht, vielleicht kriege ich sie dann zumindest dazu, vorübergehend ins Frauenhaus zu gehen.«

      Oliver verschwand und Katharina stellte überrascht fest, dass die Unterhaltung über Krankheiten heute quasi ausgefallen war. Seit ihrer Kindheit war sie es gewohnt, ihren Freund zu beruhigen, wenn er irgendwelche Symptome an sich feststellte und die sofort für eine schwere Krankheit hielt. Ihre Devise war eher »wird schon nichts sein«, was für Oliver oft die Rettung gewesen war. Welch ein Segen für beide, dass er ihr damals in der ersten Klasse durch die Haare gewuschelt hatte, dachte Katharina und trug die Weingläser in die Küche. Auf dem Weg ins Bad beschloss sie, Birgit um eine zusätzliche Recherche zu bitten: Was musste man können, um einen Winter in den Bergen zu überleben?

      »Monaco TV«, München

      »Die ganz links ist Rebekka Waldus mit dem toten Baby. Daneben sitzt Hubert Sauter, dessen Frau sich umgebracht hat. Und zwischen ihm und deinem Vater, das ist Christoph Lachstein, dessen Freundin ermordet wurde.«

      Es war 11 Uhr, Robert Adelhofer stand im Studio von »Krise« hinter der Deko und bekam von der Chefin vom Dienst die Gäste vorgestellt.

      Die saßen in schwarzen Ledersesseln rund um einen ovalen Glastisch, auf dem Wassergläser standen und eine Vase mit weißen Calla.

      Robert überblickte die Szenerie zufrieden und sagte:

      »Gute Arbeit, Requisite, Redaktion, Regie. In der kurzen Zeit die Sendung dem Anlass gemäß hinzubekommen – Kompliment. Übrigens haben wir heute hohen Besuch. Darf ich vorstellen, Katharina Langenfels von »Fakten«. Sie wird dabei sein, weil sie eine große Story über mich, äh, über uns schreibt. Drum, höflicher Ton bitte, Ronnie, kein Gebrülle aus der Regie. Nicht durchs Bild laufen mit einer Flasche Wasser, Tanja. Und nicht schlafen an der Kamera, Bernd!« Den Gesichtern der Angesprochenen war deutlich anzusehen, was sie von Adelhofers Einlassungen hielten. Der selbst schien es allerdings nicht zu bemerken. Er nahm Katharina am Arm und führte sie weg von seiner Studiomannschaft.

      »Frau Langenfels, es freut mich, dass Sie sich die Zeit nehmen, bei meiner Sendung zuzusehen.«

      »Na, das ist wohl das Mindeste, wenn man über Robert Adelhofer schreibt. Außerdem ist es eine besondere Sendung heute. Ich hoffe, ich bin keine zu große Belastung für Sie. Sie haben ja keine leichte Aufgabe vor sich.« Dezent befreite sie sich aus Roberts Griff, der weiter ihren Arm festhielt.

      Robert schien das nicht wahrzunehmen. Er schaute sie ernst an: »In keinem Fall sind Sie eine Belastung für mich. Eher das Gegenteil. Ich freue mich sehr, dass wir uns so schnell wiedersehen. Kommen Sie nach der Aufzeichnung in meine Garderobe. Vielleicht tauchen noch Fragen auf. Die beantworte ich Ihnen gerne.«

      »Mal sehen, Herr Adelhofer, danke. Ist sicher für Ihren Vater nicht leicht, heute hierherzukommen, oder?« Einen kurzen Moment glaubte Katharina, ein verunsichertes Flackern in seinen Augen wahrzunehmen.

      »Das habe ich natürlich auch gedacht. Ich hätte das niemals von meinem Vater verlangt. Er wollte unbedingt in die Sendung. Ich habe noch versucht, es ihm auszureden, aber keine Chance. Ich glaube, das ist für ihn Teil der Verarbeitung.«

      Katharina nickte und nahm sich vor, am Freitag Alfred Birnhuber nach dem alten Adelhofer und dem Verhältnis zu seinen Söhnen zu fragen.

      Sie ging in den Zuschauerbereich. Die üblichen weiblichen Adelhofer-Fans waren natürlich reichlich anwesend, die Zahl der Schönheitsoperierten im Raum überstieg deutlich den Gesamtschnitt in der Bevölkerung, davon war Katharina überzeugt. Sie sah viele enorme Körbchengrößen, die in großzügig dekolletierten Oberteilen zur Schau gestellt wurden, viele auffällig geschminkte Gesichter und toupierte Frisuren – irgendwie musste frau es ja schaffen, beautiful Robert aufzufallen. Und es gab biedere Mittfünfziger- und -sechzigerinnen, die wohl eher mitleiden wollten mit den Schicksalen wildfremder Menschen. Bei der einen oder anderen Dame lagen die Taschentücher bereit. Am Rand einer Stuhlreihe sah Katharina ein Transparent mit der Aufschrift »Robert und Max, wir trauern mit euch«. Sie selbst hatte man in der ersten Reihe platziert, wo sie sich hinsetzte und nun das bizarre Publikum im Rücken hatte.

      Robert Adelhofer legte eine routinierte Probe hin, erklärte den Gästen, dass er die Fragen an sie erst in der Sendung stellen würde, damit sie nicht zweimal durch diese schwierige Situation durchmüssten. Er ergriff kurz die Hand der Mutter, die ihr Kind verloren hatte, strich dem Witwer über den Arm, vermied aber jegliches Gespräch.

      Tränen will er natürlich erst in der Sendung sehen, dachte Katharina.

      Max Adelhofer war noch nicht da, zumindest das hatte ihm sein Sohn wohl erspart. Nach einer halben Stunde war die Probe vorbei und das Studio so ausgeleuchtet, dass später jede Gefühlsregung bestmöglich und in Großaufnahme gezeigt werden konnte. Robert Adelhofer verschwand hinter den Kulissen, sein Vater wurde hereingeführt. Er setzte sich mechanisch auf den noch freien Sessel und schaute vor sich hin. Die übrigen Gäste wurden noch mal im Gesicht abgepudert – Max Adelhofer hatte dies offenbar bereits hinter sich –, dann begann die Aufzeichnung. Katharina vermutete, dass die Verantwortlichen sich nicht trauten, »Krise« live zu senden. So konnten zu heftige Passagen rausgeschnitten oder bei zu wenig Tränen ein Gespräch noch mal rührseliger wiederholt werden. Heute würde dies vermutlich nicht nötig sein.

      Robert Adelhofer betrat – dem Anlass entsprechend begleitet von getragener Musik – das Studio.

      Er trug einen schwarzen Anzug und ging mit ernster Miene auf den freien Sessel neben seinem Vater zu, streichelte ihm kurz über den Arm und setzte sich.

      Max Adelhofer saß mit versteinerter Miene neben seinem Sohn. Die drei anderen Gäste wirkten nervös.

      »Herzlich willkommen zu ›Krise‹, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer. Dass dies keine normale Sendung für mich ist, wissen Sie. Der Mann neben mir ist mein Vater und der Vater meines verstorbenen Bruders Lukas. An ihn wollen wir heute voller Trauer erinnern, ebenso wie an die lieben Verstorbenen meiner anderen Gäste. Und wir wollen heute auch an die guten Zeiten denken, an die schönen Dinge, die wir mit unseren Lieben erlebt haben.«

      Robert zog einen Zettel aus der Tasche:

      »Um meinen Bruder zu ehren, möchte ich Ihnen eine kleine Botschaft vorlesen, die er mir vor meinem Bergwinter zukommen ließ.«

      Raunen

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