Tatort Oberbayern. Jürgen Ahrens
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Tatort Oberbayern - Jürgen Ahrens страница 27
Über Svenjas Kopf hinweg grinste Susanne Hartschmidt ihre Tochter an. »Katharinchen, magst du noch auf einen Kaffee reinkommen?« Mit Svenja auf dem Arm kam ihre Mutter auf Katharina zu und drückte ihr liebevoll einen Kuss auf die Wange.
»Nein, Mama, das ist lieb, aber ich muss los. Um 17 Uhr bin ich zurück.« Svenja zappelte auf Omis Arm, Susanne Hartschmidt konnte nur noch über die Schulter rufen: »18 Uhr kommt meine Qi-Gong-Gruppe, bis dahin habe ich alle Zeit der Welt für meine Enkeltochter. Du musst jetzt selbst stehen, Svenjalein, so leicht bist du nicht mehr.« Nach einem schmatzenden Kuss auf die Wange stellte sie Svenja auf den Boden. Katharina drückte ihre Tochter zum Abschied und fuhr los. Breitbrunn am Chiemsee, 124 Kilometer laut Navi.
Gedanklich war Katharina noch bei ihrer Mutter. Was für ein Glück sie mit ihr hatte. Sie führte ein erfülltes, für Katharinas Geschmack etwas zu esoterisches Leben und war vollkommen mit sich zufrieden. Kamen Katharina oder ihre Enkelin, war sie zu hundert Prozent Mama oder Oma. Fantastisch! Und keine Selbstverständlichkeit, wie Katharina von diversen Freundinnen mit mehr als schwierigen Mutter-Tochter-Beziehungen wusste.
Habe ich ihr das eigentlich jemals gesagt, fragte sie sich schuldbewusst – wahrscheinlich hat sie es bei einer ihrer Liebesmeditationen gespürt, beruhigte sie sich gleich selbst.
Eineinhalb Stunden später stand Katharina in Breitbrunn vor einer großen alten Kastanie – diesen kurzen Abstecher musste sie sich heute gönnen. Die Kastanie war »ihr« Baum, auf den sie sich früher oft zurückgezogen hatte, wenn Familie Langenfels sich ein Wochenende auf dem Stangerlhof gönnte.
Es gibt ihn noch, dachte sie und sah, wie leicht der Baum für sie als Erwachsene zu erklettern war. Die drei großen Stämme boten jeweils in der richtigen Höhe Einbuchtungen, die man als Stufen benutzen konnte.
30 Sekunden später war sie oben. Als Kind war die Besteigung ein kleines Abenteuer gewesen.
Von oben sah sie den vertrauten Ausblick auf den Chiemsee auf der linken Seite und die Straße Richtung Gstadt auf der rechten. Kam damals ein Auto vorbei, hatte Katharina Kennzeichen, Wagentyp und Auffälligkeiten der Insassen in ein imaginäres Walkie-Talkie geflüstert – dass sie später nicht Polizistin werden würde, hätte sie damals nie geglaubt.
Unzählige Seiten Tagebücher hatte sie hier oben vollgeschrieben – mit Liebeskummer, Ärger über Lehrer, Ungerechtigkeiten der Eltern. Einen ganzen Karfreitagnachmittag hatte sie beleidigt hier verbracht – und sich gefreut, als ihre Eltern unten nach ihr suchten und nicht auf die Idee kamen, nach oben zu schauen.
Den Grund wusste sie nicht mehr, nur wie ihre Mutter liebevoll die Arme ausgebreitet hatte, als sie wiederaufgetaucht war.
Während sie vom Baum stieg, überlegte Katharina, dass es vielleicht kein Zufall war, dass sie 20 Jahre später hierherkam, um zu recherchieren, wenn auch nicht als Polizistin. Immerhin war ein Toter im Spiel.
Oh, Frau Langenfels, ganz die spirituelle Mama, dachte Katharina lächelnd, stieg ins Auto und fuhr zum Seewirt nach Gstadt.
Fünf Minuten später stellte sie ihr Auto auf dem Parkplatz am See ab. Vor ihr lag Frauenchiemsee, rechts gab es noch den Wanderweg nach Breitbrunn. Eine Stunde Marsch hatte sie als Kind oft auf sich genommen, um von hier mit dem Dampfer auf die Fraueninsel rüberzufahren. Die Lebkuchen im Klosterladen der Benediktinerinnenabtei waren es ihr wert.
Frag dich nie mehr, woher Svenja ihre Vorliebe für Süßigkeiten hat, dachte sie.
Heute musste der Inselausflug ausfallen. Stattdessen stieg Katharina die Treppen zum Seewirt hoch.
Drin roch es ungewohnt. Schweinsbraten, Rotkraut, heißes Fett, das war normal. Was fehlte, war der Zigarettenrauch, der gehörte für sie zu dieser Wirtschaft wie das Kloster zur Fraueninsel. Ein deutliches Zeichen, wie die Zeiten sich geändert hatten. Die Männer saßen an der Theke vor ihrem Weißbier – ohne Kippe in der Hand.
Drei Tische waren besetzt. An einem hockte eine Touristenfamilie, deutlich zu erkennen am »Oberbayern«-Reiseführer auf dem Tisch und der Tatsache, dass sich die Eltern abmühten, mit Messer und Gabel die Haut von ihren Weißwürsten zu kriegen. Das Fleisch aus der Wurstpelle herauszuzuzeln, Katharinas Lieblingstechnik, war bei Touristen unbekannt.
Am zweiten Tisch saßen zwei junge Frauen vor ihrer Cola und warteten offenbar auf den Dampfer nach Prien – sie planten bereits, in welcher Reihenfolge welche Läden abgeklappert werden mussten.
Am dritten Tisch erkannte sie einen einzelnen Mann – vor sich Schweinsbraten mit Knödeln, Krautsalat in einer Schale daneben, und gerade bekam er das nächste Weißbier gebracht. »Alfred, dass der Schweinsbraten besser schwimmt, gell. Lass dir’s schmecken.«
Als die Bedienung sich umdrehte, sah sie Katharina, kam auf sie zu und fragte: »Grüß Gott, wolln Sie was essen? Tisch könnens sich aussuchen, ist nicht viel los heut’.« Mit einer ausladenden Geste, bei der sich der beeindruckende Busen im Dirndl hob und senkte, zeigte die bayerische Vorzeigekellnerin auf die freien Tische.
»Vielen Dank, ich möchte eigentlich zu Herrn Birnhuber.« Überrascht zog die Kellnerin die Augenbrauen hoch, schaute zu Alfred hinüber und rief durch das ganze Lokal: »Alfred, Besuch für dich, eine Frau …« Fragend musterte sie Katharina. Die beschloss, die neugierige Dirndlträgerin einfach zu ignorieren, und ging auf Birnhuber zu:
»Grüß Gott, ich bin Katharina Langenfels aus München. Man hat mir gesagt, dass Sie freitags um diese Zeit hier sind. Darf ich mich kurz zu Ihnen setzen?«
Alfred Birnhuber, der die ganze Zeit seinen Kopf nicht vom Schweinsbratenteller abgewendet hatte, schaute nun auf und sagte:
»Für schöne Fraun hab ich immer Zeit, setzn sich her.« Er klopfte auf den Holzstuhl neben sich und rief zu der Bedienung rüber: »Mari, bringst noch an Schweinsbraten und a Bier für die Schönheit aus München.«
»Wasser bitte, kein Bier«, rief Katharina hinterher und beschloss, die übergriffige Schweinsbratenbestellung zu ignorieren.
»Sie wolln von mir wissn, was mit dem Lukas los war«, konstatierte Birnhuber.
»Wenn Sie mit mir darüber reden wollen, gerne.«
Birnhuber nickte, häufte sich geschickt eine große Ladung Braten, um den herum er Knödel und Krautsalat drapierte, auf die Gabel und schob sich das Ganze in den Mund.
Während er kaute und nichts sagen konnte, kam das bedienende Dirndl-Dekolleté mit Katharinas Essen an den Tisch: »Ihr Schweinderl, gell. Kennen Sie sich? Alfred, des hast mir ja gar nicht gsagt, dass du eine Freundin in München hast.«
»Ge Mari, schleich di, des geht dich nix an.«
Beleidigt wogte der Busen mitsamt seiner Trägerin davon.
»Frau Obermann hat mir erzählt, dass Sie die Polizei verständigt haben an dem Tag, als Lukas Adelhofer gefunden wurde. Weil Sie wohl einen Verdacht hatten. Mich würde interessieren, warum Sie den hatten.«
Alfred Birnhuber kaute konzentriert weiter. Katharina begann zu essen und musterte dabei den Mann aus dem Augenwinkel. Er hatte gut geschnittenes, dunkelbraunes Haar, trug ein gebügeltes hellbraunes Polohemd, gepflegte Jeans und braune Halbschuhe. Sie schätzte ihn auf Mitte 40. Nachdem er sich mit der Serviette den Mund abgewischt hatte, legte er los:
»Wissens, ich bin an dem Tag nach München