Madame Nina weiß alles. Nina Janousek
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Ihn selbst wollte ich nicht darauf ansprechen. Als Puffmutter ging es mich nichts an, welche Spiele er mit meinen Mädchen spielte, solange die Mädchen das Spiel in Ordnung fanden. Doch eines Tages kam er selbst auf mich zu. »Als ich jung und arm war, wusste ich immer, dass ich eines Tages reich sein würde«, sagte er. »Ich wusste auch immer, wie mir das gelingen würde.« Er goss sich sein Glas halb mit Jack Daniel’s voll. »Ich wollte Zuhälter werden.«
Falco lebte in meiner Bar also eine seltsame Fantasie aus, die Erfüllung eines verrückten Traumes. Es war ein Spiel, das ich auch von anderen Herren kannte. Ein nobler Gast, ein Bankdirektor, der stets die feinsten Anzüge trug, schlüpfte bei mir in die Rolle des Strizzis. Das ging so weit, dass er eines Abends in die Kassa griff und brüllte: »Jetzt ist Schluss! Ab heute kassiere ich.« In diesem Moment meinte er das vollkommen ernst, er identifizierte sich mit seiner Rolle. Ich stoppte ihn mit einer schallenden Ohrfeige, und er fand rasch wieder zurück in die Wirklichkeit. Bei Falco aber war ich mir nicht sicher, ob eine solche Maßnahme reichen würde, damit er Theater und Realität wieder auseinanderhalten konnte.
Für mich und für meinen Mann war immer klar, wo die Wirklichkeit endete und wo die Show begann. Ich arbeitete in der Bar, mein Mann half mit. Das war unser Geschäft, unser Privatleben hatte damit nichts zu tun. Wir waren nicht gefährdet, die Dinge zu verwechseln. Bei den Mädchen war das schon anders. Viele hatten Illusionen über die Gäste, sich selbst und das Leben insgesamt. Sie träumten davon, dass sich ein reicher Herr in sie verliebte und sie heiratete, oder davon, ein Star zu werden, in welcher Branche auch immer. Doch so lange ihre Fantastereien und Träume in einem einigermaßen professionellen Rahmen blieben, war das ihre Sache.
Die Gäste, die in mein Etablissement kamen, verließen absichtlich die Wirklichkeit, wenn sie die Schwelle zur Bar übertraten, und gaben sich für ein paar Stunden bewusst der Täuschung hin, die Welt sei heil, unterhaltsam, gemütlich und liebevoll. Das war es ja, was ich verkaufte. Brachte einer von ihnen die Dinge durcheinander, war mir das nicht recht, denn am Ende waren wir Geschäftspartner, und unter Geschäftspartnern sind klare Verhältnisse immer von Vorteil. Trotzdem griff ich nicht ein. Denn das Gleichgewicht aus Fantasie und Realität, mit dem viele Herren leben, ist sehr empfindlich und Schaden ist dort schnell angerichtet. Zumal, wenn es sich um eine komplizierte Persönlichkeit wie Falco handelte.
Das Alter mag seine Nachteile haben, aber es hat auch seine Vorteile. Zum Beispiel weiß ich jetzt als Frau von fast siebzig Jahren, wohin das Schicksal manche Menschen, die ich während der Zeit in meiner Bar kennengelernt habe, geführt hat. So kann ich Ihnen auch erzählen, wie die Geschichte mit Falco und Evelyn geendet hat.
Die beiden spielten das Zuhälterspiel noch eine Weile, dann hörte Evelyn auf, bei mir zu arbeiten. Falco hatte tatsächlich sein Herz an sie verloren. Sie wurde seine Freundin. Ich erfuhr aus den Zeitungen, dass er ihr den Song »Jeanny«, der wie ein Liebeslied klingt, aber von einem Mädchenmörder handelt, in einem Hotelzimmer dutzende Male vorsang, als er daran feilte.
Jeanny, quit livin’ on dreams
Jeanny, life is not what it seems
Such a lonely little girl in a cold, cold world
There’s someone who needs you
Knapp ein Jahr waren Falco und Evelyn ein Paar. Während dieser Zeit sprach er einmal in einem Interview darüber, dass er sie bei mir kennengelernt hatte, und dass diese Zeit die beste seines Lebens gewesen sei.
Für Evelyn ging die Sache gut aus. Nach der Beziehung mit Falco hatte sie offenbar genug von ihren wilden Zeiten als platinblonde Schönheit im Nachtgeschäft, dorthin wollte sie nicht zurück. Sie fasste in einem bürgerlichen Leben Fuß, heiratete und gründete mit ihrem Mann, einem Manager aus Salzburg, eine Familie. Jetzt erinnert, abgesehen davon, dass sie noch immer schön ist, nichts mehr an die Evelyn von damals. Ihre Haare sind zwar noch immer kurz, aber jetzt wieder dunkel, sie kleidet sich gut, aber unauffällig, und sie wirkt sehr natürlich.
Für Falco endete die Sache nicht so gut, wie jeder weiß. Als mein Mann und ich 1998 aus dem Fernsehen erfuhren, dass sein Geländewagen auf der Straße zwischen den Städten Villa Montellano und Puerto Plata in der Dominikanischen Republik von einem Bus gerammt worden war und Falco noch an der Unfallstelle starb, wussten wir, dass dieser Unfall kein schrecklicher Zufall war.
Ehe Falco zum letzten Mal in die Dominkanische Republik aufbrach, besuchte er mich in der Bar, um sich zu verabschieden. »Hast du einen Fotoapparat, Nina?«, wollte er wissen.
»Warum brauchst du einen, Hans?«, fragte ich ihn überrascht.
»Ich möchte, dass es ein Bild von uns beiden gibt, und ich will, dass du es in die Auslage stellst. Alle sollen sehen, dass ich gern bei dir bin.«
Ein Mädchen machte das Foto von uns beiden. Danach fragte er nach meinem Mann, der aber an diesem Tag nicht in die Bar kam. Das machte Falco unglücklich. »Nina« sagte er, »ich wollte mich aber auch von deinem lieben Mann verabschieden.«
»Du kommst ja wieder, Hans«, hielt ich ihm entgegen.
»Wer weiß, ob wir uns in diesem Leben noch einmal sehen werden«, sagte er mit einem Lächeln, während er mich umarmte. Mit diesem Lächeln im Gesicht verließ er meine Bar. Ich sah ihn nie wieder. Das Foto, das ihn mit mir zeigte, stellte ich nach seinen Wünschen in die Auslage.
Warum ich sicher bin, dass er seinem Leben selbst ein Ende gesetzt hat? In seiner Welt, in der sich Illusion und Realität vermischten, hatte Falco keine Chance gehabt, je zu gewinnen, je ein normales, zumindest einigermaßen zufriedenes Leben führen zu können. Als dann noch sein Ruhm als Musiker, der sein Ego gestützt hatte, zu zerbröckeln begann, war ihm nur noch der Alkohol geblieben.
Eine Frau steigt aus einem Auto
Gestatten Sie mir dieses Bild: Ich stelle mir vor, dass Sie hinter der Theke stehen. Natürlich ohne Ihnen nahetreten zu wollen. Denn ich bin sicher, dass Sie es für sich ausschließen, hinter der Theke einer Bar wie meiner zu arbeiten. Ich vermute, dass sie es am Ende dieses Buches ein bisschen weniger oder auch ein bisschen mehr ausschließen werden. Aber es muss ja nicht unbedingt die Theke eines Nachtlokals sein. Es kann jede Theke sein. Es geht mir nur darum, dass Sie auf der Seite stehen, auf der ich so oft gestanden bin. Ich sitze Ihnen gegenüber auf der anderen Seite und erzähle Ihnen meine Lebensgeschichte, zu der auch die Geschichte meiner Bar gehört, die ich vor wenigen Wochen zugesperrt habe. Nicht, dass Sie denken, ich hätte mein Etablissement freiwillig geschlossen, um mich in den Ruhestand zurückzuziehen. Nein, ich hätte noch so gern weitergemacht. Aber es gab schreckliche Querelen mit dem Hausbesitzer, die in einem Rechtsstreit mündeten, und letztendlich musste ich leider das Handtuch werfen und zusperren.
Ich selbst mag Geschichten. Ich habe schon immer gern zugehört. Ich verstand es stets als Vertrauensbeweis, wenn mir ein Herr Episoden aus seinem Leben anvertraute, oder wenn ein Mädchen das tat. Ich verstand den Herrn dann besser, wusste, was ihn bewegte, wie er reagierte, was er sich erhoffte. Das half mir dabei, ihm das zu bieten, was er erwartete. Auch die Geschichten der Mädchen waren mir dienlich, ich konnte etwa nachvollziehen, warum sie sich in gewissen Situationen auf ganz spezielle Weise verhielten. Es half mir auch bei meinen Versuchen, ihr Leben in eine vernünftige Bahn zu lenken, was mir zugegebenermaßen nicht immer gelang. Der Erfolg meiner Bar war also zu einem guten Teil auf den Geschichten der Menschen, die dort ein und aus gingen, begründet.
Mein Selbstbewusstsein schwankt wie bei wahrscheinlich jeder Frau. Manchmal fühle ich mich wie die Königin der Nacht, als die mich so viele Herren gefeiert haben, manchmal wie eine Frau, deren Wert davon abhängt, wie hart sie arbeitet,