Nur vor Allah werfe ich mich nieder. Fatma Akay-Türker

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Nur vor Allah werfe ich mich nieder - Fatma Akay-Türker

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1990er-Jahren in Österreich lebten, wollten innerhalb von zwei bis fünf Jahren in die Türkei zurückkehren. Heute sind sie immer noch in Wien. Die Integration ist auf beiden Seiten gescheitert. Selbst die, die Deutsch lernen wollten, wie meine Mutter, mussten fünf Jahre warten. Erst dann hätte das für die Eingewanderten zuständige Arbeitsmarktservice einen Kurs finanziert. Aber innerhalb von fünf Jahren wurde meine Mutter Staatsbürgerin. Dann hieß es, das Arbeitsmarktservice könne einer Österreicherin wohl kaum einen Deutschkurs finanzieren. Somit blieben die Türken vorwiegend unter sich, auch weil sie Angst hatten, ihre Traditionen zu verlieren. Dadurch blieben sie in religiöser und gesellschaftlicher Hinsicht stecken und entwickelten sich nicht weiter. Das traf auch auf meine Familie zu. Meine Großmutter in der Türkei ist in ihrer Lebenseinstellung fortschrittlicher als mein Vater.

      »Die Türken, die nach Europa gingen, sind wie ein vakuumverschlossenes Marmeladeglas«, sagte mir einmal ein türkischer Historiker. »So haben sie die Türkei verlassen und jetzt ist es noch immer zu.«

      Ein solcher Lebensentwurf drohte auch mir. Als ich mit der Hauptschule fertig war, meinte mein Vater, ich solle als Hilfsarbeiterin in einem Supermarkt arbeiten. Ich war enttäuscht. Erstens, weil ich mit der Schule weitermachen wollte und zweitens, weil ich ihn nicht verstehen konnte. Warum sprach mein Vater, der in der Türkei erwartet hatte, dass ich studiere und Rechtsanwältin werde, jetzt auf einmal von Arbeit statt von Weiterbildung?

      »Du bist erst seit zwei Jahren in Österreich. Sogar die Türken, die hier geboren sind, schaffen es nicht in weiterführende Schulen. Wie willst du das schaffen?«, fragte er. Zumindest durfte ich dann doch die Berufsschule für Einzelhandel besuchen.

      MEINE ENTSCHEIDUNG FÜR DAS KOPFTUCH

      Wenn ein Mädchen zwölf oder 13 wurde, deutete seine Umgebung schon an, es sollte allmählich ein Kopftuch tragen. Je älter das Mädchen wurde, desto mehr erhöhte sich der gesellschaftliche Druck. Meinem Vater war das nicht so wichtig, aber meine Mutter hielt dem Druck nicht stand. Ich stellte mich bei diesem Thema immer taub. »Warum trägst du kein Kopftuch?«, fragte meine Mutter schon, als ich 15 Jahre alt war.

      »Nur, weil ihr das so wollt, werde ich sicher kein Kopftuch tragen. Wenn ich eines Tages Kopftuch trage, dann mache ich das allein für Allah und nicht für euch«, sagte ich.

      Ende 1993, kurz bevor ich 18 Jahre alt wurde und als alle bereits die Hoffnung aufgegeben hatten, stand ich in der Früh auf und setzte ein Kopftuch auf. Alle waren erstaunt, darunter auch meine Mutter. Ich war glücklich, weil das meine freie Entscheidung war.

      Aber wie frei war diese Entscheidung wirklich?

      Die Traditionalisten propagierten stets: »Wenn eine Frau auch nur eine Strähne ihres Haares zeigt, wird sie siebzig Jahre in der Hölle brennen. Wenn man drei Haarsträhnen sieht, dann ist das, als wäre die Frau fremdgegangen.«

      Nicht nur das. Es gab auch Sprichwörter wie etwa: »Eine nicht-kopftuchtragende Frau ist wie eine Wohnung ohne Vorhänge. Da kommen Mieter und Käufer vorbei in der Annahme, sie sei frei.«

      Wenn eine Frau kein Kopftuch trug, bekam sie in der muslimischen Gesellschaft keine Anerkennung. Frauen ohne Kopftuch galten als schlechte Musliminnen. Die Fundamentalisten stuften sie gar nicht als Musliminnen ein. Unter diesen Bedingungen entschied ich »frei«, Kopftuch zu tragen.

      TRADITIONELLE EHE

      Als ich 15 Jahre alt war, fingen die Heiratsanträge an. Die Männer machten sie natürlich nicht mir, sondern traditionell organisierten die Eltern das untereinander. »Sie ist noch zu jung«, sagte mein Vater den Anwärtern jedes Mal. »Erst muss sie die Berufsschule fertig machen.«

      Ich freute mich, aber mein Vater hielt dem Ansturm nur ein Jahr lang stand. Im Urlaub in der Türkei setzte ihn die gesamte Verwandtschaft unter Druck. Es kamen sowohl von väterlicher Seite als auch von mütterlicher Seite Anträge. Das Ganze drohte in eine Familienfehde auszuarten. In der letzten Woche wurde es ernst. Ich weinte eine Woche lang und sagte, ich wolle nicht heiraten. Meine Mutter hielt dagegen: »Wenn diese Rivalität noch mehr hochkocht, dann wird es zu einer Familienauflösung kommen.«

      Zwei Tage vor dem Ende unseres Urlaubs fragte mich mein Vater, ob ich den Großneffen meiner Großmutter heiraten wolle.

      Ich schwieg, und das bedeutete Zustimmung.

      Am nächsten Tag besuchte uns die Familie mit dem Bräutigam. Sie schlugen vor, er und ich sollten uns kennenlernen. Also setzten wir uns zusammen in einen Raum. »Willst du mich heiraten?«, fragte er. Ich schwieg wieder.

      Anschließend fand eine kleine Verlobungsfeier statt. Ich war 16 Jahre alt. Am nächsten Tag fuhren wir mit dem Zug zurück nach Österreich. Während der ganzen Reise weinte ich. Ich hatte mich für meine Familie und vor allem für meine Mutter geopfert.

      Mein Vater hatte eigentlich nur unter der Bedingung zugesagt, sie sollten warten, bis ich mit der Schule fertig war. Ich hatte noch zwei Jahre. Als wir aber im darauffolgenden Jahr wieder in der Türkei auf Urlaub waren, machten wieder alle Druck, die Hochzeit solle schon stattfinden.

      Mein Vater konnte sich wieder nicht durchsetzen. Eine Woche vor der Rückkehr nach Österreich fand die Hochzeit statt. Weil ich laut Geburtsurkunde ein Jahr älter war, durfte ich mit 17 heiraten. Er war sechs Jahre älter als ich.

      Ich wog damals gerade einmal 46 Kilo, bekam ein Hochzeitskleid, das drei Nummern zu groß für mich war, und die »guten« Ratschläge der älteren Frauen des Dorfes.

      »Du gehst jetzt mit diesem weißen Hochzeitskleid hinein und kommst nur mit einem weißen Leichentuch wieder heraus«, sagte eine. »Dein Mann und seine Familie sind jetzt deine neue Familie, vergiss auf uns und konzentriere dich auf die neue Familie«, meinte eine andere. »Gittiğin yer kör ise, bir gözünü kırpta bak« war ein bekanntes türkisches Sprichwort und bedeutete: »Wenn sie blind sind, dann musst auch du ein Auge schließen.« Das hieß, ich musste mich anpassen. Es gab auch dringliche Ermahnungen wie »Mach uns keine Schande!« und »Vergiss nicht, wenn du dich nicht benehmen kannst, nicht gut kochen und putzen kannst, wird man in erster Linie nicht dich beschimpfen, sondern deine Mutter und deine Familie.« Ich hörte Gebote wie »Eine Frau muss dem Mann gehorchen!«, und Philosophisches wie »Eine Frau muss immer geduldig sein und still wie ein See, während der Mann wie ein strömender Fluss ist.«

      Vor allem die Frauen gaben diese Verhaltensregeln von Generation zu Generation weiter. Millionen, vielleicht sogar Milliarden von Frauen wurden und werden auf diese Weise unterdrückt und entmenschlicht. »Gott hat das so vorherbestimmt!«, sagten alle immer wieder. Anders hätten sie die Unterdrückung der Frauen nicht so lange aufrechterhalten können.

      Jahrzehntelang fragte ich mich, warum Menschen für ihr Unglück Gott verantwortlich machten. Wie konnte Allah sowohl für das Heiraten als auch für die Scheidung verantwortlich sein? Hatte Allah etwa etwas falsch vorgeschrieben? Wenn alles vorherbestimmt war, welche Rolle hatten wir in dieser Welt? Oder anders gesagt: Wenn Allah alles vorherbestimmt hatte, welchen Sinn ergab dann die Prüfung, der wir uns im Jenseits stellen mussten?

      SCHICKSAL?

      Erst viel später, mit einem Wissensstand, wie ich ihn heute habe, konnte ich mir diese Fragen rund um unser vorherbestimmtes Schicksal beantworten.

      Alles als Schicksal zu betrachten würde bedeuten, selbst keine Verantwortung für das eigene Handeln und die eigenen Entscheidungen zu übernehmen. Mit einer solchen Einstellung gäbe es keine Konsequenzen des eigenen

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