Böse Heiler. Ashish Bhalla
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Dr. Ashish Bhalla,
DDr. Christian F. Wolf:
Böse Heiler
Alle Rechte vorbehalten
© 2018 edition a, Wien
Cover und Gestaltung: JaeHee Lee
Satz: Lucas Reisigl
ISBN 978-3-99001-301-4
E-Book-Herstellung und Auslieferung:
Brockhaus Commission, Kornwestheim
INHALT
Abzocke und Lebensgefahr durch Scharlatane in der Alternativmedizin
An welchen Aussagen Sie die Scharlatane in der Alternativmedizin erkennen
Das psychologische, soziale und ökonomische Profil der Scharlatane
Wie Sie Scharlatanen ausweichen
Der Fall Veronika Allsitter
Wegen ihrer Erkrankung lebt sie zurückgezogen. Jemanden kennenzulernen und sich gar zu verlieben würde alles nur noch schlimmer machen. Als Veronika Allsitter mir das erklärt, wird ihre Stimme brüchig. »Ich habe wirklich andere Sorgen«, sagt sie, verschränkt die Arme vor der Brust und sieht an mir vorbei in den Garten meiner Praxis hinaus.
Veronika Allsitter wirkt auf den ersten Blick ruhig und doch erscheint sie mir sehr angespannt. Kein Wunder bei dem, was sie schon alles durchgemacht hat. Ihr Vater ist Psychiatriepatient und will seit ihrer Geburt nichts von ihr wissen. Als sie 15 war, starb ihre Mutter. Jetzt ist sie 25, Bibliothekarin, hat ihr Leben nach einem schlimmen Tief in der Pubertät im Griff und wäre gerne mit einem Mann glücklich geworden. Da gab es einen, den sie bei einem Konzert kennengelernt hat. Mit ihm war alles so leicht und einfach. Aber auf Dauer ohne Sex, wie sollte das gehen?
Nachdem sie mir ausführlich von ihren gesundheitlichen und den damit zusammenhängenden Problemen erzählt hat, gönne ich ihr etwas Ruhe. Ich fülle in ihr Glas lauwarmes Wasser nach und sehe noch einmal ihre Befunde durch. Am meisten zu schaffen macht ihr eine schlimme Form von HPV-Infektion. Seit dem letzten gynäkologischen Befund, der sechs Monate alt ist, hat sich laut ihrer Einschätzung nichts daran verbessert. Sie ringt seit zwei Jahren damit. Dazu ist ihre Periode seit jeher unregelmäßig und mit heftigen Beschwerden verbunden. Außerdem hat sie Zysten an den Eierstöcken. Daher wäre Sex für sie womöglich unangenehm.
Für eine mögliche Beziehung ist das Ganze klarer Weise eine Katastrophe. Sie hat überlegt, dem interessanten Mann, den sie beim Konzert kennengelernt hat, zu sagen, dass sie ihn beim Sex, selbst beim geschützten, infizieren könnte. Dann hat sie es bleiben lassen, sich zurückgezogen, mit einem bitteren Gefühl. Er hat wohl nicht verstehen können, warum.
Veronika Allsitter hat sich nichts vorzuwerfen. Sie hat für ihre Gesundheit gekämpft. Sie ernährt sich sehr gesund, macht viel Bewegung, war bis vor sechs Monaten regelmäßig beim Gynäkologen und ist in alternativmedizinischer Behandlung. Aber weder die Medikamente noch die Kräuter ihrer Heilerin, einer eingetragenen Energetikerin, haben bisher irgendwas bewirkt.
Zum Gynäkologen geht sie mittlerweile nicht mehr. Er hat ihr nur Angst gemacht, dass sich die HPV-Infektion zu Gebärmutter- oder Vaginalkrebs entwickeln könnte. Bei der Heilerin hingegen fühlt sie sich gut aufgehoben. Weshalb ihr nicht gefallen wird, was ich ihr sagen will, sobald sie sich erholt hat.
»Ihre Praxis hier ist irgendwie eigenartig«, sagt sie, während ich nach den richtigen Worten suche.
»Finden Sie?«
Ihr Blick wandert über mein Interieur. Ein Messstab für die Körpergröße. Eine alte Waage. Ein dunkler Biedermeier-Schreibtisch. Gold gerahmte Landschaftsbilder. Ein Paravent. Eine Liege. »Wie bei einem Hausarzt des 19. Jahrhunderts«, sagt sie, schaut wieder durch die Glasfront in den Garten hinaus und schüttelt den Kopf. »Das Alte passt mit dem Modernen nicht zusammen.«
»In der Medizin schon«, entgegne ich.
Sie lächelt und klopft auf die ledergepolsterten Armlehnen ihres antiken Sessels. »In einer Praxis bin ich noch nie auf einem Thron gesessen.«
»Das habe ich bei einem alten Ayurveda-Arzt in Indien gesehen. Dem durfte ich als Kind bei der Arbeit zusehen. Er hatte auch so einen massiven Stuhl für seine Patienten. Er meinte, der gibt ihnen Sicherheit.«
»Stimmt.« Sie bringt ein Lächeln zustande.
Der Moment für ein ernstes Wort ist gekommen. »Frau Allsitter, ich denke, Sie sollten die Behandlung bei Ihrer Heilerin abbrechen.«
Mit großen Augen sieht sie mich an. »Wie kommen Sie denn darauf?«
Ruhig erkläre ich ihr, warum diese Heilerin sie nicht heilt, sondern bloß ihr Leiden verlängert.
Mit zusammengekniffenen Augen, verschränkten Armen und überkreuzten Beinen hört Veronika Allsitter mir zu.
Mir ist klar, warum sie die Behandlung bei dieser Heilerin als so wertvoll empfindet. Diese Frau kann offenbar gut trösten und ist genau in dem Alter, in dem Veronika Allsitters verstorbene Mutter heute wäre. Ich wäre wirklich der Letzte, der versucht, sie von einer Mutterfigur zu trennen. Aber diese Frau ist offensichtlich keine gute Mutter.
Mir ist auch klar, warum Veronika Allsitter zu mir gekommen ist. Ich bin nicht nur Arzt, sondern auch medizinischer Ayurveda-Spezialist und verstehe daher etwas von Kräutern. Offenbar hat sie erwartet, dass ich dem, was diese Heilerin mit ihr macht, zustimmen kann. Das kann ich allerdings nicht. Was die Heilerin macht, ist weder in moralischer noch in gesundheitlicher Hinsicht in Ordnung.
Als ich mit meinen Ausführungen fertig bin, fragt Veronika Allsitter nach dem WC und entschuldigt sich. Ich kann nur hoffen, dass meine Worte ihr zu denken geben. Sie muss erkennen, was diese Heilerin tut. Sie gibt ihr Globuli und kleine Säckchen mit Kräutern, zusammengestellt nach einem Geheimrezept. Von wegen Geheimrezept. Wenn ich das schon höre. Mangelhafte Patienteninformation heißt das bei mir.
Das Geheimrezept lässt sich die Heilerin teuer bezahlen. Achtzig Euro für sieben kleine Säckchen mit zerriebenen Kräutern. Sieben kleine Tagesrationen, die Veronika Allsitter in ein wenig Wasser auflöst und schluckt. Jede Woche muss sie zu der Heilerin gehen, um sich untersuchen zu lassen und eine weitere Ration zu holen. Diese Termine kosten extra.
Nach Meinung der Heilerin zeigt diese Behandlung auch Wirkung. Veronika Allsitters Beschwerden seien nicht so schlimm, wie sie sein könnten. Denn wegen der Lieblosigkeit ihres Vaters habe