Existenzielle Psychotherapie. Irvin D. Yalom

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Existenzielle Psychotherapie - Irvin D. Yalom EHP-Edition Humanistische Psychologie

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war, wenn schon nichts anderes, dann großzügig und vereinigte bald eine verwirrende Vielzahl von Schulen unter seinem Dach, die kaum in der Lage waren, miteinander zu reden, nicht einmal in einem existenzialistischen Esperanto. Gestalttherapie, Transpersonale Therapie, Encountergruppen, Holistische Medizin, Psychosynthese, Sufismus und viele, viele andere betraten die Szene. Die neuen Trends haben Wertorientierungen mit bedeutsamen Implikationen für die Psychotherapie. Betont wird der Hedonismus (»wenn es sich gut anfühlt, tu es«), der Anti-Intellektualismus (der jeden kognitiven Zugang als »mindfucking« betrachtet), individuelles Erfülltsein (»mach’ deine eigene Sache«, »Gipfelerlebnisse«) und Selbstverwirklichung (ein Glaube an die Vervollkommnung des Menschen ist bei den meisten humanistischen Psychologen verbreitet, mit der großen Ausnahme von Rollo May, der viel stärker in der existenzialistisch-philosophischen Tradition verwurzelt ist).

      Diese um sich greifenden Trends, besonders die anti-intellektuellen, führten bald zu einer Scheidung der Humanistischen Psychologie von der akademischen Gemeinschaft. Humanistische Psychologen in etablierten akademischen Positionen fühlten sich unwohl in der Gemeinschaft, in der sie sich aufhielten, und lösten sich allmählich von ihr. Fritz Perls, der weit davon entfernt war, ein Befürworter von Disziplin zu sein, drückte seine große Besorgnis aus über die »Abgefahrenen«, diejenigen des »Alles ist möglich« sowie über die »Schnellküche der Sinnesbewusstheit«21, und schließlich waren die drei Persönlichkeiten, die die Humanistische Psychologie anfänglich intellektuell geführt hatten – May, Rogers und Maslow – sehr ambivalent in ihrer Haltung gegenüber diesen irrationalen Trends und verringerten allmählich ihre aktive Unterstützung.

      Die Existenzielle Psychotherapie hat daher eine etwas verschwommene Beziehung zur Humanistischen Psychologie. Sie teilen jedoch viele grundlegende Prämissen, und viele humanistische Psychologen haben eine existenzielle Orientierung. Von ihnen werden Maslow, Perls, Bugental, Bühler und vor allem Rollo May häufig in diesem Text zitiert werden.

      Humanistische Psychoanalytiker: Freunde der Familie

      Es bleibt noch eine Gruppe von Verwandten, auf die ich mich als »Humanistische Psychoanalytiker« beziehen werde, und die sich frühzeitig von den Ästen des Stammbaumes, den ich beschrieben habe, abspalteten. Obwohl sie sich niemals als Clan betrachteten, haben sie in ihren Werken viele Parallelen. Die bedeutenden Stimmen in dieser Gruppe – Otto Rank, Karen Horney, Erich Fromm und Hellmuth Kaiser – wurden alle in europäischer Freudscher psychoanalytischer Tradition ausgebildet, aber emigrierten nach Amerika; und sie alle, mit Ausnahme von Rank, leisteten ihre größeren Beiträge, während sie in die amerikanische intellektuelle Gemeinschaft eintauchten. Jeder von ihnen widersetzte sich dem Freudschen Modell von Instinktantrieben für das menschliche Verhalten, und jeder schlug wichtige Korrekturen vor. Das Werk von jedem von ihnen hat eine große Reichweite, und jeder wandte seine Aufmerksamkeit eine Zeit lang irgendeinem Aspekt existenzieller Therapie zu. Rank, dessen Beiträge durch seinen modernen Interpreten Ernest Becker in brillanter Weise bereichert wurden, betonte die Bedeutung des Willens und der Todesangst; Horney betonte die entscheidende Rolle der Zukunft als beeinflussende Kraft für das Verhalten (das Individuum wird durch Zweck, Ideale und Ziele motiviert und nicht so sehr durch vergangene Ereignisse geformt und determiniert); Fromm hat die Rolle der und die Furcht vor der Freiheit des Verhaltens in meisterhafter Weise beleuchtet, während Kaiser sich mit der Verantwortung und der Isolation beschäftigte.

      Zusätzlich zu diesen wesentlichen Zweigen der Philosophie, der Humanistischen Psychologie und der humanistisch orientierten Psychoanalyse, enthält der Stammbaum der existenziellen Therapie noch einen anderen bedeutsamen Zweig, der von den großen Schriftstellern getragen wird, die nicht weniger umfassend als ihre professionellen Brüder existenzielle Fragen erforschten und erklärten. Daher werden die Stimmen von Dostojewskij, Tolstoi, Kafka, Sartre, Camus und vielen anderen hervorragenden Lehrern häufig in diesem Buch gehört werden. Große Literatur überlebt, wie Freud in seiner Erörterung über Oedipus Rex22 hervorhob, weil etwas im Leser auftaucht, das die Wahrheit erfasst. Die Wahrheit fiktiver Charaktere bewegt uns, weil es unsere eigene Wahrheit ist. Darüber hinaus lehren uns große Werke der Literatur etwas über uns selbst, weil sie glühend ehrlich sind, so ehrlich wie irgendwelche klinischen Daten: Der große Romancier, so sehr seine Persönlichkeit auch auf viele Charaktere aufgespalten sein mag, ist letztlich höchst selbstenthüllend. Thornton Wilder schrieb einmal: »Wenn Königin Elizabeth oder Friedrich der Große oder Ernest Hemingway ihre Biografien lesen könnten, würden sie ausrufen, ›Oh – mein Geheimnis ist immer noch sicher!‹ Aber wenn Natascha Rostow Krieg und Frieden lesen könnte, würde sie ihr Gesicht mit den Händen bedecken und ausrufen, ›Wie konnte er das wissen? Wie konnte er das wissen?««23

      Zuvor hatte ich die existenzielle Therapie mit einem heimatlosen Kind verglichen, das keinen Zugang zu der besseren akademischen Nachbarschaft hatte. Das Fehlen akademischer Unterstützung durch die akademische Psychiatrie und Psychologie hat bedeutsame Folgen für das Feld der existenziellen Therapie, da akademisch dominierte Institutionen all die entscheidenden Versorgungslinien kontrollieren, die die Entwicklung der klinischen Disziplinen beeinflussen: das Training von Klinikern und Akademikern, die Forschungsfinanzierung, Lizenzvergaben und Zeitschriftenveröffentlichungen.

      Es lohnt sich, einen Augenblick darüber nachzudenken, warum der existenzielle Ansatz durch das akademische Establishment so unter Quarantäne gehalten wird. Die Antwort konzentriert sich vor allem auf die Frage nach der Grundlage des Wissens – das heißt, wie wissen wir, was wir wissen? Die akademische Psychiatrie und Psychologie, die in einer positivistischen Tradition steht, wertet empirische Forschung als die Methode, Wissen zu validieren.

      Betrachten wir die typische Karriere des Akademikers (und ich spreche nicht nur aufgrund von Beobachtung, sondern aus meiner eigenen akademischen Karriereerfahrung): Der junge Dozent oder Assistenz-Professor wird angestellt, weil er oder sie die Fähigkeit und Motivation für empirische Forschung zeigt, und wird später auf der Grundlage sorgfältiger und methodisch abgesicherter Forschung belohnt und befördert. Die wesentliche Entscheidung über die Amtszeit wird auf der Grundlage der Menge empirischer Forschung, die in angesehenen wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht wurde, getroffen. Andere Faktoren, wie die Fähigkeit zu lehren oder nicht-empirische Bücher, Buchkapitel und Essays, werden ganz entschieden weniger berücksichtigt.

      Es ist außerordentlich schwierig für einen Gelehrten, sich eine akademische Karriere auf der Grundlage empirischer Erforschung existenzieller Fragen zurechtzuschneidern. Die grundlegenden Annahmen der existenziellen Therapie sind so, dass empirische Forschungsmethoden oft nicht anwendbar oder unangemessen sind. Beispielsweise erfordert die empirische Forschungsmethode, dass der Erforscher einen komplexen Organismus studiert, indem er ihn in seine Komponenten aufteilt, wobei jede einfach genug sein muss, um empirische Untersuchungen zu ermöglichen.

      Aber dieses Grundprinzip negiert ein grundlegendes existenzielles Prinzip. Eine Geschichte, die Viktor Frankl erzählte, mag das veranschaulichen.24

      Zwei Nachbarn waren in einem bitteren Streit miteinander. Der eine behauptete, dass die Katze des anderen seine Butter gefressen hatte, und dementsprechend forderte er Wiedergutmachung. Da die beiden nicht in der Lage waren, das Problem zu lösen, gingen sie mit der Katze unterm Arm zum Dorfweisen, um sein Urteil zu hören. Der Weise fragte den Kläger, »Wieviel Butter hat die Katze gegessen?« »Zehn Pfund«, war die Antwort. Der weise Mann legte die Katze auf eine Waage. »Oh, schau an!«, sie wog genau zehn Pfund. »Mirabile dictu !«, rief er aus. »Hier haben wir also die Butter. Aber wo ist die Katze?«

      Wo ist die Katze? Alle Teile zusammengenommen, ergeben keine Rekonstruktion der Kreatur. Ein grundlegendes humanistisches Credo ist, dass »der Mensch mehr ist als die Summe seiner Teile.« Ganz gleich, wie gründlich man die Bestandteile des Geistes versteht – zum Beispiel das Bewusste und Unbewusste, das Über-Ich, das Ich, und

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