Verantwortungsvoll führen in einer komplexen Welt. Mark Lambertz
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Bestehende Unternehmen verlieren zunehmend ihre gesellschaftliche Akzeptanz, ihre «Lizenz zum Geschäften». Ihnen wird vorgeworfen, zu sehr auf den eigenen Gewinn bedacht zu sein und die gesellschaftliche Wertschöpfung geringzuschätzen. Diese Entwicklung haben viele Unternehmen auch selber zu verantworten, da für sie das Gemeinwohl oft nur eine Nebenbedingung war. Die Erkenntnis aber wächst, dass die Wahrnehmung der gesellschaftlichen Verantwortung der Schlüssel für eine erfolgreiche Zukunft ist. Voraussetzung ist aber unternehmerische Freiheit (SCHWARZ, 2018). Diese muss mehr denn je auch verdient werden.
Das Internet der Dinge spielt in der «dritten industriellen Revolution» die entscheidende Rolle. Diese begann in den Augen von Jeremy RIFKIN (2014) mit dem Schock des bisher höchsten Ölpreises im Jahr 2008. Dieser löste den Umstieg in neue Energien und umfassende Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels aus. Parallel dazu eröffneten sich durch die digitalen Technologien in vielen Bereichen ungeahnte neue Anwendungsfelder und Märkte. Diese Entwicklungen können nur als Ganzes verstanden werden, denn die drei Dimensionen der Kommunikation, der Energie und der Logistik bedingen einander gegenseitig, um Produktivitätssteigerungen zu erzielen, welche wiederum Voraussetzung für künftiges Wachstum sind. Die Produktivität lässt sich heute nur noch steigern, wenn die Reibungsverluste entlang der Wertschöpfungskette reduziert werden können – am besten gleich auf null. Und dies ist mit den künftigen Möglichkeiten der digitalen Plattformen und des Internets der Dinge möglich. Mit diesem «globalen neuronalen Netz» lassen sich – zumindest glauben dies die Utopisten – die Grenzkosten bis auf null reduzieren, es gibt keine Gewinne, keine Eigentumsrechte und keine knappen Güter mehr, wir befinden uns im Endzustand in der «Share Economy».
Das Internet der Dinge – ein faustischer Pakt?
Dass all diesen Verheißungen des Internets der Dinge gewichtige mögliche Gefahren gegenüberstehen, haben wir bereits im Prolog dargelegt. In Abb. 1.2 seien diese Zusammenhänge nochmals illustriert.
Heute fahren Automobile unabhängig voneinander und offline. Allfällige Staus lassen sich durch geschicktes Umfahren umgehen. Das gilt auch für den Energieverbrauch, er lässt sich gezielt verringern. Wird mithilfe des Internets der Dinge alles miteinander verknüpft und online betrieben, so erhöht sich nicht nur die Koppelung. Die Komplexität des Verkehrssystems steigt aufgrund der immer sophistizierter werdenden Computersysteme und damit auch die Störungsanfälligkeit. Auch kleine technische Probleme oder Eingriffe von Hackern bewirken eine kaum mehr aufhaltbare Kettenreaktion. [16]
Abbildung 1.2 Entwicklung der Mobilität im Zeitalter des Internets der Dinge (in Anlehnung an CLEARFIELD und TILCSIK (2018, 51).
Das autonome Fahren und die elektronische Börse haben vieles gemeinsam!
Ähnliches gilt für die Börse. Vor der Einführung der elektronischen Börse wurden die Geschäfte im Ring abgewickelt, die Wertschriftenhändler riefen einander die Kurse zu, und die rückwärtigen Dienste führten diese aus. Dabei kam es kaum zu Fehlern. Bei der elektronischen Börse, insbesondere beim Hochfrequenz-Handel, steigt die Komplexität exponentiell an. Es können pro Sekunde über 30 000 Angebote bearbeitet werden. Und mit den heute dominierenden Produkten wie ETFs (Equity Traded Funds – einen Index abbildenden Aktienfonds) wird die Koppelung erhöht. Wie gefährlich dies sein kann, zeigt die Börsenentwicklung im Dezember 2018. Dieser Monat war der schlechteste seit 1931, und dies nicht wegen sich verschlechternder Fundamentaldaten, sondern weil automatische Handelsalgorithmen von Hedgefunds eine Abwärtstendenz prognostiziert und damit eine Kettenreaktion ausgelöst hatten.
Das Internet der Dinge wird zweifellos zur dominierenden Technologie der Zukunft werden. Deshalb muss es einen zentralen Fokus bei Überlegungen zur künftigen Unternehmensführung einnehmen. Dies aber immer unter Berücksichtigung der möglichen Schäden, die diese Technologie anrichten kann. [17]
Diese Überlegungen führen nahtlos zum Thema der Zukunft der Arbeit. Nach RIFKIN (2014) gibt es für die nächsten zwei Generationen ausreichend Gelegenheit zur Arbeit, nämlich bei der Demontage der Infrastruktur der zweiten industriellen Revolution und beim Aufbau der digitalen Plattformen und des Internets der Dinge. Eine Differenzierung drängt sich angesichts neuerer Erkenntnisse auf. Gemäß einer Studie von McKINSEY (2018) werden in der Schweiz bis 2030 eine Million Jobs wegfallen. Anderseits entstehen dafür fast so viele neue Arbeitsplätze. Sie erfordern aber ganz andere Fähigkeiten. Firmen und Bildungsinstitute stehen vor der Aufgabe, rund 800 000 Arbeitskräfte umzuschulen und weiterzubilden. Eine Untersuchung der Weltbank (NZZ, 2018) stellt fest, dass der Rückgang von industriellen Arbeitsplätzen sich vor allem auf die angelsächsischen Staaten konzentriert. Grund dafür sind einerseits der fehlende soziale Schutz und anderseits die Mängel im Bildungswesen.
Welche Verantwortlichkeiten ergeben sich für die Zukunft der Arbeitswelt?
Die obigen Aussagen sind allerdings mit großer Vorsicht zu genießen. Deshalb wird in Abb. 1.3 ein Szenario vorgestellt, das die Thematik aus einer anderen Perspektive beleuchtet: Wer soll in Zukunft die Verantwortung tragen für eine nachhaltige Entwicklung der Arbeitswelt?
Abbildung 1.3 Szenario zu Verantwortlichkeiten für die Zukunft der Arbeit [18]
Der Arbeitsmarkt von Ländern wie der Schweiz oder Deutschland könnte sich in Zukunft in drei Segmente teilen. Das oberste Segment bilden die gut ausgebildeten Arbeitskräfte, die bei der Mensch-Maschinen-Symbiose einen Mehrwert erbringen. Die Verantwortung der Rekrutierung und Förderung dieser Mitarbeitenden sollte bei der Wirtschaft liegen. Das dritte Segment umfasst alle jene Berufe, die auf einer engen Beziehung zwischen Menschen aufbauen, wie die Gesundheitspflege, die Altersbetreuung oder der Schulunterricht. Hier sollte die Verantwortung in Zukunft vermehrt bei der Zivilgesellschaft mit ihrem Milizsystem liegen. Das zweite Segment beinhaltet die potenziell gefährdete Arbeit. Hier sollte der Staat subsidiär zum Zuge kommen, dies durch Aus- und Weiterbildungsangebote zur Erreichung des ersten Segments, durch die Entwicklung neuer Berufsbilder für das dritte Segment sowie beim Reißen aller Stricke durch ein bedingungsloses Grundeinkommen.
Reflektierende Unternehmenspraxis
Ein grundlegendes Verständnis für den Umgang mit diesen Megatrends ist Voraussetzung für eine verantwortungsvolle Führung in Zeiten des digitalen Wandels. Unser Buch will dazu die Voraussetzung schaffen und fokussiert dabei auf die Frage: Welche Denkmuster und Werkzeuge sind geeignet, um diese und ähnliche Spannungsfelder bestmöglich zu bewältigen, und wie gehen Führungskräfte bei deren Umsetzung in der Unternehmenspraxis vor? Welche inhaltlichen Strategien und Taktiken sie entwickeln, und wie dabei ihre soziale Führungskompetenz zum Tragen kommt, wird anhand von Praxisbeispielen ergänzend illustriert. Führungskräfte sollen aber mit erster Priorität ein Instrumentarium kennenlernen, das sie auf den Umgang mit komplexen Zusammenhängen vorbereitet.
Unser Buch fokussiert auf Denkmuster und Werkzeuge beim Umgang mit den Spannungsfeldern des Wandels.
Weshalb wird dieser Umgang mit den genannten Megatrends nicht öfter thematisiert? Es fehlt schlicht ein ganzheitliches Verständnis für diese Entwicklungen. Der Grund dafür ist die meist von Expertinnen und