Verantwortungsvoll führen in einer komplexen Welt. Mark Lambertz
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Die Unterscheidung von komplizierten und komplexen Problemen ist nicht nur ein Sprachspiel, sondern Voraussetzung für einen kompetenten Umgang mit den Herausforderungen unserer Zeit.
Diese Zusammenhänge sind in Abb. 1.4 festgehalten.
Abbildung 1.4 Einfache, komplizierte und komplexe Probleme
Je nachdem, ob ein Problem als kompliziert oder als komplex identifiziert wird, kommen unterschiedliche Denkweisen und Methoden zum Zug. Als verhängnisvoll erweist es sich [23] im Unternehmensalltag, wenn komplexe Probleme mit dem für komplizierte Probleme vorgesehenen Instrumentarium angegangen werden, sei es aus mangelndem Verständnis für Komplexität oder aus sturem Festhalten an gewohnten Methoden. Dass hiervon auch die akademische Welt nicht verschont bleibt, sei nur am Rande erwähnt. Eine exakte Identifikation und Akzeptanz von Komplexität ist aber für das weitere Vorgehen unerlässlich.
Wenn sich komplexe Problemsituationen als Folge der dynamischen Entwicklung der Teile und ihrer Verknüpfungen nicht vollständig erfassen lassen, stellt sich natürlich die Frage, wie man sich überhaupt ein Bild machen kann. Mit Sicherheit lässt sich sagen, dass eine reduktionistische Betrachtungsweise – indem man das Ganze in seine Teile zerlegt und diese analysiert – nicht funktionieren kann, denn es gilt: «Das Ganze ist mehr als die Summe der Teile.» Oder noch konkreter, das Ganze ist «etwas anderes» als die Summe der Teile.
Das gilt auch im Zeitalter des «Big Data». Mehr und detailliertere Daten zu den einzelnen Teilen führen nicht zwangsläufig zu einem besseren Verständnis des Ganzen. Oder um es noch deutlicher auszudrücken, wir erleben heute mit «Big Data» oft einen Rückfall in das überwunden geglaubte reduktionistische Denken: «Der Glaube, dass komplexe Systeme verstanden werden können, indem man sie in ihre Teile zerlegt, deren Daten erfasst und diese isoliert studiert» (BRIDLE, 84). Dies führt dazu, dass unter Zeitdruck stehende Führungskräfte Komplexität nicht mehr durch eigene Denkleistung erfassen, sondern diese Aufgabe an Automaten delegieren. Und diese schaffen wiederum zusätzliche Komplexität, womit eine Aufwärtsspirale in Gang gesetzt wird. Mehr denn je ist deshalb eigenes vernetztes Denken gefordert, wie in Kapitel 4 ausführlich zu zeigen sein wird.
«Big Data» birgt die Gefahr des reduktionistischen Denkens und der Ablösung der eigenen geistigen Kreativität durch Automaten.
Das Verhalten von komplexen Situationen und Systemen lässt sich grundsätzlich nicht prognostizieren. Führungskräfte müssen sich somit in einer Welt zurechtfinden, die außer ihrer Geschichte wenig Anhaltspunkte für ein künftiges Handeln bereithält. Und gerade die Geschichte erweist sich oft als schlechte Ratgeberin. Technologien lassen sich recht gut voraussehen, sie sind meist dem Bereich des Komplizierten zuzuordnen. Anwendungsmöglichkeiten sind aber immer wieder überraschend, weil sie sich eben aus der Komplexität ergeben.
Ziel der Erfassung von komplexen Problemsituationen muss stets die optimale Vereinfachung sein. Dies gemäß dem Bonmot von Albert Einstein: «Man soll die Dinge immer so einfach wie möglich sehen, aber nicht einfacher!» Die Gefahren liegen vor allem beim «nicht einfacher», wie wir schon verschiedentlich gezeigt haben. Die unzulässige Reduktion komplexer Sachverhalte auf komplizierte oder gar einfache Zusammenhänge [24] steht hier im Vordergrund. Diese lässt sich meist an folgender Formulierung erkennen: «... das ist ja nichts anderes als ...». Folgende weitere Erkenntnis erweist sich in diesem Kontext ebenfalls als hilfreich: Für jedes komplexe Problem gibt es eine einfache Lösung, und die ist sicher falsch! Wenn beispielsweise bei einem Streitgespräch zum Drogenproblem sich zwei einfache Lösungsvorschläge gegenüberstehen, nämlich die Drogen völlig zu verbieten versus die Drogen völlig freizugeben, dann handelt es sich zweifellos um ein komplexes Problem.
Für jedes komplexe Problem gibt es eine einfache Lösung ... und die ist sicher falsch!
Ein zentraler Grund für eine unzulässige Vereinfachung ist die in der folgenden Abbildung 1.5 festgehaltene Problematik der Zeitschere. Die zum Treffen guter Entscheide in komplexen Situationen benötigte Zeit nimmt stetig zu, hingegen nimmt die verfügbare Zeit aufgrund des Wettbewerbsdrucks und des starken Wandels immer mehr ab. Die sich öffnende Schere zwingt Führungskräfte zu «Sattelentscheiden», die sich durch mangelhafte Zielbestimmung, Beschränkung auf wenige Ausschnitte der Entscheidungssituation und einseitige Schwerpunktbildung auszeichnen. Dies führt aber zur Vernachlässigung von Nebenwirkungen und zur Übersteuerung. Wenn schließlich nur noch autoritäres Verhalten zu helfen scheint, ist die Schieflage perfekt. Dietrich DÖRNER (1989) hat diesen Mechanismus anschaulich in seinem Buch «Die Logik des Misslingens» beschrieben.
Abbildung 1.5 Die Zeitschere als Grund für unzulässige Vereinfachung (GOMEZ, MEYNHARDT, 2010, 139) [25]
Den Versuch, komplexe Systeme optimal vereinfacht abzubilden, hat sich die Methodik des Vernetzten Denkens (GOMEZ, PROBST, 1999) zum Ziel gesetzt. Diese wird in 4. Kapitel zur strategischen Führung im Detail vorgestellt und in ihrer Anwendung illustriert.
Die Bewältigung von Komplexität erfordert das Zusammenspiel von optimaler Vereinfachung und Weiterentwicklung eigener Optionen!
Wie ist nun bei der Bewältigung von Komplexität vorzugehen? Wir sprechen hier bewusst von der «Bewältigung» der Komplexität und nicht von der Lösung eines komplexen Problems. Eine solche gibt es nämlich aufgrund der angeführten Argumente nicht, es gibt lediglich eine Annäherung an einen Idealzustand. Wegweisend für den Umgang mit Komplexität ist das «Gesetz der erforderlichen Varietät» von Ross ASHBY (1970, 207), wobei die Varietät die Vielfalt möglicher Zustände des Systems misst. Das Gesetz besagt, dass zur Bewältigung der Varietät einer Problemsituation eine mindestens gleich große Varietät durch die reflektierenden Praktiker aufgebaut werden muss. Abbildung 1.6 illustriert diesen Zusammenhang, wobei die Problemsituation bewusst amöboid als schwer fassbar dargestellt wird, während das Rechteck des Managements dessen begrenztes Instrumentarium abbildet.
Abbildung 1.6 Das Gesetz der erforderlichen Varietät (nach ASHBY, 1970) [26]
Um die Varietät ausgeglichen zu gestalten, gibt es zwei Möglichkeiten: Vereinfachung der Entscheidungssituation (Varietätsreduktion) und Stärkung der eigenen Gestaltungsmöglichkeiten (Varietätsgenerierung). Um die volle Wirkung zu entfalten, müssen diese beiden kombiniert werden.
Der Schlüssel zur Vereinfachung der Entscheidungssituation mit dem Ziel der Varietätsreduktion liegt in der Erkennung von Mustern. Die Forschung zur Selbstorganisation und zur Evolution von komplexen Systemen gibt hierzu wichtige