Klingen, um in sich zu wohnen 1. Udo Baer

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Klingen, um in sich zu wohnen 1 - Udo Baer

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Wer sich in der Therapie mit sich selbst beschäftigt, landet unweigerlich auch bei der Frage, wie wertvoll er sich selbst einschätzt. Wir werden einige Methoden darstellen, mit denen wir auf musiktherapeutischen Wegen KlientInnen darin unterstützen, sich selber besser kennen zu lernen und zu versuchen, das, was in ihnen kostbar und schätzenswert ist, zu entdecken und mit Zuneigung ernst zu nehmen.

      Namen sind wichtig. Namen sind Teil unserer Identität. Mit unserem Namen ist unser Selbstbild verknüpft. In unserem Namen steckt unsere Geschichte. Mit unserem Namen werden wir von anderen Menschen identifiziert. Es liegt also nahe, den Namen zum Klingen zu bringen. Wir wollen ihn, bevor es ans Musizieren geht, zum Ausgangspunkt eines Selbstbildes machen, also ein Namensbild gestalten.

      „Aber mit welchem Namen beginne ich?“, fragen sich viele KlientInnen. „Ist es mein Vorname oder mein Nachname? Nehme ich den Namen meiner Eltern oder lehne ich diesen ab? Ist es der Name, der Doppelname oder der Name meines Partners oder meiner Partnerin, den ich in der Ehe angenommen habe?“ Und dann fallen ihnen Schimpfnamen ein, Kosenamen oder Spitznamen. Jeder Name hat eine Geschichte und eine Bedeutung. Zu jedem Namen werden Geschichten assoziiert, angenehme und unangenehme, liebevolle und beschämende. Den Namen zu präsentieren, bedeutet, sich zu präsentieren, sich vorzustellen. „Ich heiße“, meint immer auch: „Ich bin“.

      Zur Erstellung des Namensbildes geben wir folgende Anregungen:

       „Wählen Sie einen Namen aus. Sie haben zwar einen offiziellen Namen, aber Sie haben sicher noch viele Namen darüber hinaus. Sie können Ihren Vornamen nehmen oder Ihren Nachnamen, Ihren Geburtsnamen oder Ihren Spitznamen oder einen Kosenamen, vielleicht sogar ihren Wunschnamen. Wählen Sie den Namen aus, der Ihnen jetzt am ehesten in den Sinn kommt, der Ihnen jetzt wichtig ist und Sie vielleicht auch neugierig macht.“

       „Nehmen Sie einen Stift, Ölkreide oder Pastellkreide in der Farbe Ihrer Wahl in die Hand und ein großes Blatt Papier und schreiben oder malen Sie Ihren Namen auf das Blatt.“

       „Betrachten Sie nun Ihren Namen und malen Sie das Bild weiter, lassen Sie aus Ihrem Namen ein Namensbild entstehen. Vielleicht braucht Ihr Name eine Umgebung, vielleicht regen der Schriftzug oder einzelne Buchstaben zur Gestaltung von Figuren, Landschaften, Personen, Fabelwesen usw. an. Lassen Sie Ihrer Fantasie freien Lauf.“

      Nun soll dieses Namensbild zum Klingen gebracht werden:

       „Befestigen Sie Ihr Bild an der Wand oder legen Sie es irgendwo auf den Boden, wo Sie es gut betrachten können. Schauen Sie es sich an, lassen Sie es auf sich wirken. Nehmen Sie wahr, welche Empfindungen, Gedanken und Gefühle es auslöst, und dann holen Sie sich ein Instrument – Sie können auch Ihre Stimme benutzen – und behandeln Sie Ihr Namensbild wie eine Partitur. Lassen Sie Ihr Namensbild erklingen …“

      Je nach Namensbild, je nach den Empfindungen beim Betrachten, je nachdem, was die Beschäftigung mit dem Namen, dem Malen und dem Sinnieren darüber ausgelöst hat, entstehen Klänge unterschiedlicher Art und Weise. Manche finden nach einigem Experimentieren und Suchen ein Namens-„Thema“, so, wie es bei Wagner das „Tristan-Thema“ oder das „Isolde-Thema“ gibt. Andere spielen eher Gefühle oder Stimmungen, die die Beschäftigung mit dem Namen hervorgerufen hat. Wieder andere sind angetan von dem, was sie an Neuem oder Vielfältigem in sich und auf dem Bild entdecken, und improvisieren, indem sie Töne, Klänge, Melodien, Rhythmen erklingen lassen.

      Danach gilt es, den KlientInnen eine Möglichkeit zu verschaffen, Echos auf ihr klingendes Namensbild zu erhalten. In der Einzeltherapie geben der Therapeut oder die Therapeutin die Rückmeldung, in der Gruppe zusätzlich andere TeilnehmerInnen. Die KlientInnen spielen die Klänge ihres Namens anderen vor, zeigen vielleicht auch noch ihr Bild, erzählen etwas darüber und erhalten Echos: Wie hat es sich angehört, was wurde beim Hören und Schauen gefühlt, was ist aufgefallen? usw. Die Rückmeldung kann in Worten erfolgen oder musikalisch. Das Selbstbild eines Menschen ist immer auch ein Fremdbild. Wir Menschen brauchen die Rückmeldungen anderer, um zu wissen, wer wir sind. Wir brauchen ehrliche Rückmeldungen, wohlwollende, auch kritische, aber keine niedermachenden oder verachtenden. Die bloße Gegenüberstellung von Selbstbild und Fremdbild ist unfruchtbar. Das Selbstbild erwächst aus dem Gemisch von Selbstwahrnehmungen und Rückmeldungen anderer Menschen. Es geht eher darum, zwischen den Fremdbildern zu differenzieren, Menschen darin zu unterstützen, aus den Rückmeldungen, die sie erhalten, diejenigen auszuwählen, die sie akzeptieren und integrieren können, und den Mut und die Kraft zu gewinnen, andere abzulehnen. Deswegen ist der gegenseitige Austausch über das klingende Namensbild so wesentlich. Und dann kann es sehr bewegend und hilfreich sein, noch einmal das Namensbild erklingen zu lassen, um diesen Prozess der Differenzierung musikalisch zu unterstützen und all das zu spielen oder zu singen und zu hören, was sich davon im Selbstbild verankern kann.

      Es besteht auch die Möglichkeit, den eigenen Namen unmittelbar zu vertonen. Dies hat sich aber für den Erlebensprozess als nicht so fruchtbar herausgestellt wie der beschriebene Weg. Bei einer unmittelbaren Vertonung sind häufig die Hemmungen größer und viele Menschen neigen dazu, nach formalen künstlerischen Tricks zu suchen, so, wie Bach sein B-A-C-H vertont hat. Doch wer kann das schon wie Bach! Häufig führen solche Bestrebungen zu Kopfknoten, die den Erlebensprozess bremsen oder gar nicht erst in Gang kommen lassen. Das Malen schafft Zeit und Raum für die vielfältigen Erinnerungen, Geschichten, Assoziationen, die mit dem eigenen Namen verbunden sind, und lässt das in den Vordergrund treten, was im Moment besonders wichtig ist. Und die Namensbild-Partitur bleibt erhalten; der musikalische Moment ist nicht ganz so flüchtig. Sie kann später wieder vertont werden, vielleicht ähnlich, vielleicht aber auch, z. B. durch Perspektivwechsel, indem man sie auf den Kopf stellt, neu – und damit der Entwicklung, der Veränderung, dem Überraschenden einen klingenden Spielraum gebend.

      Beginnen wir mit einem Beispiel:

      Eine Klientin leidet an Entscheidungsschwäche. Immer wenn sie Entscheidungen treffen muss, große oder kleine, gerät sie ins Schwanken, wird unsicher, weiß nicht, was sie tun, in welche Richtung sie sich bewegen soll. In der Therapie hat sie dieses und jenes versucht, sie kennt auch die Quellen und Gründe ihrer Entscheidungsunsicherheit – aber es ändert sich wenig.

      An der Entscheidungsfindung zu arbeiten, was für viele KlientInnen ein wichtiger Ansatz ist, hilft ihr nicht weiter, da ihre Entscheidungsunsicherheit in einer tiefgreifenden Verunsicherung ihres Selbstbildes begründet ist. Wenn andere Menschen ihr Positives zurückmelden, nimmt sie das einen Moment zur Kenntnis und lässt es dann von sich abperlen – wie von einer Teflonplatte. Sie nimmt positive Rückmeldungen nicht in sich hinein.

      Zu tief und zu selbstverständlich hat sie die von ihren Großeltern oft geäußerte Haltung übernommen, dass sie nichts wert sei, dass sie letzten Endes genauso „schlecht“ sei wie ihre früh verstorbene Mutter oder wie ihr Vater, der „Tunichtgut“.

      Therapeut und Klientin suchen gemeinsam nach Wegen, auf denen sie lernen könnte, sich selbst wertzuschätzen.

      In einer Stunde schlägt der Therapeut vor: „Ich möchte Sie heute bitten, mich zu einem Besuch in ein chinesisches Restaurant einzuladen. Dort werden wir auf die ‚sechs Kostbarkeiten’, die auf der Speisekarte angeboten werden, aufmerksam. Die sechs Kostbarkeiten vereinen das beste, was das Restaurant zu bieten hat. Ich bitte Sie, nun zu überlegen, welche sechs Kostbarkeiten Sie haben, was Sie an sich und in sich kostbar finden.“ Die Klientin schreckt zurück und meint, dass sie doch nie sechs Kostbarkeiten finden könne.

      Der Therapeut:

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