Dürnsteiner Würfelspiel. Bernhard Görg
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»Dieses Märchen vom Sprung zum Gruppeninspektor, der angeblich unmittelbar bevorsteht, kann ich schon nicht mehr hören.«
Die Tonlage seiner Frau bereitete seinem sensiblen Ohr genauso ein körperliches Unbehagen wie die Kartoffelsäure in seiner Hand.
»Die verwenden dich doch nur als nützlichen Idioten. Und du merkst es nicht einmal. Genauso wie der junge Polizist da im Fernsehen.«
Wie er diese Gabe seiner Frau hasste, im entscheidenden Augenblick immer einen wunden Punkt bei ihm zu finden. Aber der Vergleich mit diesem entsetzlich dummen Polizisten in der Fernsehserie war der Gipfel.
»Fall mir nur in den Rücken! Da warst du ja schon immer groß dabei.«
Felix beschloss, einen möglichst geordneten Rückzug anzutreten. Obwohl er diese junge FPÖ-Gemeinderätin, die seit Kurzem den Posten der Schriftführerin im Klub bekleidete, für sein Leben gern in der Sauna erlebt hätte. Natürlich war die FPÖ irgendwie ein Problem, obwohl er das Problem nicht hätte beschreiben können. Aber eines musste Felix Frisch den Blauen lassen. Sie hatten feschere Frauen als die Roten. Von den Schwarzen gar nicht zu reden.
»Also gut, ich werde meine Teilnahme absagen. Aber beklag dich dann nicht, wenn ich auf meinen dritten Stern noch länger warten muss.«
»Als ob ich mich darüber schon jemals beklagt hätte.«
Als sie ihn anlächelte, kam ihm zum hundertsten Mal die Geschichte vom Schuster in den Sinn, der besser bei seinen Leisten blieb.
Felix Frisch stand auf, strich seiner Frau über den Kopf und hörte sich sagen: »Du bist ja doch die Beste. Magst auch einen Schluck Bier?«
3. April,14:45 Uhr
Gestern hätte sich Anna Nimmervoll noch über das Eichkätzchen gefreut, das gerade den Stamm des Marillenbaums vor ihrem schmalen Fenster hinauflief. Es wollte wohl die weißen Blüten, die den Baum seit drei Tagen über und über bedeckten, ganz aus der Nähe inspizieren. Dieser Marillenbaum vor Annas Fenster war zwar nur ein Baum von insgesamt dreiundfünfzig im elterlichen Garten, aber er war der schönste.
Gestern noch wäre Anna in die Küche gegangen, um ein paar ausgelöste Nüsse zu holen, die ihre Mutter immer im Kühlschrank aufbewahrte. Sie hätte das Fenster geöffnet, die Nüsse in Richtung Stamm geworfen und die Sekunden gezählt, bis sie vom Eichkätzchen entdeckt worden wären. Ihr schien, dass sein dunkelbrauner, fast schwarzer Schwanz, den sie seit letztem Herbst regelmäßig beobachten konnte, über den Winter noch dichter geworden war. Nur heute hatte das kleine Mädchen, deren hellblonde Haare am Hinterkopf durch eine schwarze Schleife zusammengehalten wurden, keinen Blick für das flinke Tier, das sie sonst immer entzückte. Auch nicht für das Radfahrerpaar, das seine Räder am Zaun des Nimmervollschen Gartens abgestellt hatte, um dessen Blütenpracht zu bewundern. Meistens bestaunten die vorbeikommenden Radfahrer auch noch ihr Haus, das Anna jedoch gar nicht gefiel. Sie fand es viel zu alt. Doch heute dachte sie weder an die zu dicken Mauern, noch an die zu kleinen Fenster ihres Elternhauses. Ihre Augen waren voller Tränen, die sie seit heute früh geweint hatte. Der Grund war ihr geliebter Löwenherz, der in der vergangenen Nacht verendet war. Mit dreizehn Jahren war er nur um vier Jahre älter gewesen als sie selbst. Sie musste an den letzten Sonntag denken. Vor einer Woche noch war sie mit ihrem Liebling auf dem Seiberer spazieren gewesen. Sie versuchte, jede freie Minute diesen Spaziergängen zu widmen, oft gemeinsam mit ihrem zwei Jahre älteren Bruder. Wie oft hatten David und sie Löwenherz mit all der Kraft, die Kinder aufbringen konnten, zurückhalten müssen, wenn der Hund einen Hasen witterte oder gar sah. Löwenherz war ein Whippet. Wie man das schrieb, wusste sie erst seit einem Jahr, aber schon seit vier Jahren wusste sie, dass ein Whippet ein englischer Jagd- und Windhund war. Bis über die kleinen Ohren vollgestopft mit Genen, die ihn besessen machten von der Jagd auf Hasen. Im Hakenschlagen war er noch talentierter als seine Beute.
Letzten Sonntag war ein Hase auf einem Feldweg hundert Meter vor ihnen recht gemächlich vor sich hin gehoppelt, bevor er die Böschung hinaufhüpfte und ihren Blicken entschwand. Aber Löwenherz schien den Hasen gar nicht zu bemerken. Von einem erregten Zittern und einem heftigen Ziehen an der Leine, wie sie es sonst von ihm gewohnt war, auch keine Spur. Das war ihr eigenartig erschienen, aber als Neunjährige hatte sie darin natürlich keine Vorzeichen eines baldigen Todes erkennen können. Hätte sie es gekonnt, so hätte sie dem Hund in den letzten Tagen seines Lebens noch mehr Zuneigung und Liebe geschenkt.
Am liebsten wäre sie heute gar nicht in die Schule gegangen. Aber ihre Eltern hatten darauf bestanden. Auf die war sie seit heute früh ohnehin nicht gut zu sprechen, weil sie ihr verboten hatten, Löwenherz unter dem Marillenbaum vor ihrem Fenster zu bestatten.
Ihre Mutter, die immer ein sehr distanziertes Verhältnis zu dem Hund gehabt hatte, war dem Vater in den Ohren gelegen, den Kadaver zur Tierverwertung nach Krems zu bringen. Der Vater hatte wenigstens einen Funken Einsehen gehabt und ihr erlaubt, das Tier in einem der familieneigenen Weingärten zu vergraben. Er hatte den Hinweis der Mutter, dass so etwas womöglich gar nicht erlaubt war, ignoriert. Einen vom Vater angebotenen Platz in dem Wald, der ihm gehörte, hatte Anna abgelehnt. Sie wollte nicht, dass Ausflügler oder Schwammerlsucher auf ihrem Löwenherz herumtrampelten, selbst wenn er längst tot war.
Ihre Taufpatin hatte ihr den Hund vor vier Jahren überlassen, weil sie aus beruflichen Gründen von Rossatz nach Wien gezogen war. Anna hatte sich auf Anhieb in ihn verliebt und die spontane Entscheidung getroffen, dieser Liebe durch eine entsprechende Namensgebung Ausdruck zu verleihen. Der Name »Tasso«, mit dem ihre Tante den Hund gerufen hatte, schien ihr viel zu gewöhnlich. Für einen Whippet, der noch dazu nach ihren Erkundungen der einzige in ganz Weißenkirchen und Umgebung war, klang er geradezu ordinär. Sie hatte zu dem Zeitpunkt mit ihrer Klasse gerade einen Ausflug zur Ruine Dürnstein gemacht, wo ihre Lehrerin den Kindern die Geschichte vom englischen König Richard Löwenherz erzählt hatte. Anna hatte damals zwar nicht verstanden, wie ein Herzog einen König, der ja viel mächtiger war, einsperren konnte, dennoch war für sie von dem Moment an klar gewesen, dass ihr Liebling nur »Löwenherz« heißen konnte.
Sie hatte heute auf ihr Mittagessen verzichtet und war mit ihrem Rad die einzelnen Weingärten ihres Vaters, die um Weißenkirchen herum verstreut lagen, abgefahren, um einen geeigneten Platz zu suchen. Die Ried Lobenberg schien ihr am geeignetsten. Sie war in maximal zehn Minuten von zu Hause aus zu erreichen, und ab der vierten Terrasse bergaufwärts bot sie einen prachtvollen Blick auf die Ruine Dürnstein. Fünfzig Meter tiefer lag die Trasse der Wachau-Bahn.
Wie gern war doch Löwenherz mit der Bahn gefahren. Viel lieber als mit dem Auto. Einen schöneren und würdigeren Platz für die ewige Ruhe ihres Lieblings hätten sie nicht finden können. Schade nur, dass das sanfte Plätschern der Donauwellen hier oben nicht mehr zu hören war.
Ihr Bruder, der mittlerweile ebenfalls von der Schule nach Hause gekommen war, hatte ihr als zukünftiger Erbe des Weinbaubetriebs versprechen müssen, dieses Stück Weingarten zumindest so lange nicht zu verkaufen, bis sie gestorben war.
Weil der Vater seine Frau nicht noch zusätzlich verärgern wollte, hatte er es abgelehnt, den toten Hund mit seinem Traktor zum Weingarten zu transportieren. So holte ihr Bruder einen kleinen Karren mit zwei Gummirädern aus dem Schuppen und hängte ihn an sein Rad. Sie selbst hatte Löwenherz ganz behutsam auf die Ladefläche gelegt, während David zwei Schaufeln und eine Spitzhacke gebracht hatte. Dann waren sie losgefahren. Sie voraus, er hinterher.
Die letzten zweihundert Meter musste sie den Hund, den die Mutter ganz prosaisch in einen Kartoffelsack gestopft hatte, alleine tragen, weil ihr Bruder mit Spitzhacke und den zwei Schaufeln